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Kästners Freund und Illustrator
Der „Malerfritze“ Walter Trier

Aus dem Buch "Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen und Abenteuer zu Wasser und zu Lande". Nacherzählt von Erich Kästner, Illustrier von Walter Trier (1951).
Aus dem Buch "Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reisen und Abenteuer zu Wasser und zu Lande". Nacherzählt von Erich Kästner, Illustrier von Walter Trier (1951). | © Walter-Trier-Archiv Konstanz

Erich Kästner ist alles andere als ein vergessener Autor. Sein Stammillustrator Walter Trier hingegen, trotz ehrenwerter Bemühungen Einzelner, ist heute mehr oder weniger unbekannt. Dieser Artikel möchte dem ein wenig entgegenwirken.

Von Dr. Jürgen Eder

„Malerfritze“, oder auch „Malermeister“ nennt, mit einem typischen Augenzwinkern, Erich Kästner die Figur des Karl in Der kleine Grenzverkehr (1938). Das klingt für Leser, die den Kästner-Sound nicht kennen, vermutlich recht despektierlich und abschätzig – ist aber alles andere als das! „Er ist ein lieber Kerl“ heißt es in dem besagten Text, aber halt auch „Künstler sind empfindlich“.

Diese wenigen Stichworte aus einer stark autobiographisch inspirierten Geschichte charakterisieren die Beziehung des Schriftstellers zu seinem Illustrator recht gut. Da ist viel Gemeinsamkeit, Nähe, aber gelegentlich auch das, was man „künstlerische Differenzen“ nennt – und auch die Lebenswege trennen sich in der Zeit des Nationalsozialismus. In einem „Vorwort an die Leser“ aus dem Jahr 1948 – das "1000jährige Reich" ist zum Glück schon nach 12 Jahren zusammengebrochen – summiert Kästner diese nicht nur räumliche Separation: „Der Verleger, der Autor und der Illustrator des Buches lebten früher einmal in derselben Stadt. In einer Stadt namens Berlin. Nun haust der eine in London, der andere in München und der dritte in Toronto.“

Alles, was er zeichnete und malte, lächelte und lachte, sogar der Schrank und der Apfel, die Wanduhr und der Damenhut.

Erich Kästner über Walter Trier


Erich Kästner arbeitete nicht nur mit Walter Trier als Illustrator: es gab da außerdem den nicht gerade unbekannten Erich Ohser, bekannt unter seinem Künstlernamen e.o. plauen. Oder Horst Lemke, der nach dem Tode Triers Kästners Illustrator wurde. Aber diese beiden, wie andere auch noch, sind nie so mit Kästners Werk verbunden gesehen worden wie Walter Trier. Seine Titelbilder und Illustrationen zu den Emil-Romanen, zum Doppelten Lottchen, zu diversen Nacherzählungen bekannter literarischer Vorlagen und zuletzt noch zur Konferenz der Tiere sind im kollektiven Gedächtnis haften geblieben. Der Kinderbuch-Autor aus Dresden und der Maler, Zeichner, Illustrator, Bühnenbildner aus Prag haben zu einer Symbiose zusammengefunden die man als einzigartig bezeichnen darf.

Kästner hat die Wirkung von Triers Arbeiten folgendermaßen charakterisiert – und für einen Moment verzichtet er da auf jede Art von Ironie oder Satire: „Alles, was er zeichnete und malte, lächelte und lachte, sogar der Schrank und der Apfel, die Wanduhr und der Damenhut. (…). Alles war und machte er heiter. Er sah die Bosheit und wurde nicht böse. Er sah die Dummheit und blieb gelassen. Er sah die Welt, wie sie war, und lächelte sie sich zurecht.“ Damit ist nicht Naivität gemeint, sondern der Erhalt einer „Kindlichkeit“, die ja schon für Schiller oder Freud die Bedingung von Künstlertum ist.

Erich Kästner ist dennoch alles andere als ein vergessener Autor. Der Kinderbuchautor, aber auch der Lyriker und der Roman Fabian sind präsent, in den Buchhandlungen, Schulen, Universitäten, es gibt Gedenkstätten, Straßennamen etc. etc. etc. Walter Trier hingegen, trotz ehrenwerter Bemühungen Einzelner, ist heute mehr oder weniger vergessen. Der Artikel möchte dem ein wenig entgegenwirken.

Wer also war dieser Walter Trier?

Walter Trier wurde 1890 in Prag geboren, gehört also zur Generation Kästners. Wie bei vielen Juden in Prag wurde in der Familie Triers Deutsch gesprochen. Er begann seine Studien in Prag und setze sie dann in München bei Franz von Stuck fort. Im Anschluss daran arbeitete er schon vor 1914 bei fast allen Satireblättern, die im Wilhelminischen Kaiserreich zugelassen waren: Simplicissimus, Lustige Blätter, Berliner Illustrierte, Ulk und dem Uhu. Im Krieg, wie so viele Künstler, stellte er sich in den Dienst der deutschen Propaganda, zeichnete u.a. antienglische Karikaturen. In der Weimarer Republik dehnte sich seine Vielseitigkeit noch aus, da die Kultur dieser Epoche neue Formen und Genres anbot. Trier arbeitete als Werbezeichner, entwickelte Trickfilme, gestaltete für Theater Bühnenbilder und Kostüme und lieferte Beiträge für Filmzeitschriften. Das künstlerische Milieu, das er hier bedient, deckt sich in vielem mit dem, in dem sich auch Kästner bewegte. Auch Kästner arbeitet in den 20er Jahren für Kabarett und Revuen. Die Großstadt-Bilder in seinen Gedichten, teils kritisch, teils fasziniert zeugen davon und werden bis heute als Ausdruck jener Zeit gelesen.

Trier arbeitet in diesen Jahren nicht nur für und mit Kästner, sondern u.a. auch mit Tucholsky, Klaus und Erika Mann oder Alexander Roda Roda. Mit spitzer Feder illustriert er deren Texte und wird so zu einer gefragten Größe. Der Piper-Verlag verpflichtet ihn noch bis 1934 für diverse Umschlagentwürfe, und der fußballbegeisterte Trier zeichnet die Bilder zum populären Band Klapperzahns Wunderelf.

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Walter Trier eine namhafte Größe im Weimarer Kulturleben war. Nach der Machtergreifung gab es in Deutschland allerdings keine realistische Beschäftigungsoption mehr, deshalb emigrierte Walter Trier 1936 nach London. Dort arbeitete er für die englische Satirezeitschrift Liliput und die Illustrierte Picture Post.

Unter umgekehrten Vorzeichen im Vergleich zum Ersten Weltkrieg zeichnete er nun satirische Blätter gegen Nazi-Größen wie Hitler, Göring, Goebbels. Ein von ihm gestaltetes Flugblatt mit dem Titel Nazi-Deutsch in 22 Lektionen wurde über von Nazis besetzten Gebieten abgeworfen. Es war, mit anderen Mitteln, eigentlich schon das, was Victor Klemperer nach dem Krieg unter dem Titel LTI vorlegen sollte – die Wirklichkeit hinter dem Nazi-Jargon.
Die Antikriegszeichnung „Das ist der Weg“, die während Triers Exil im Jahr 1943 in England entstand.

Die Antikriegszeichnung „Das ist der Weg“, die während Triers Exil im Jahr 1943 in England entstand. | © Walter Trier / gemeinfrei

Persönlich musste Trier erleben, dass seine Prager Verwandten Opfer des Holocaust wurden, und er war sich bewusst, wie viele der überlebenden Juden, dass dies auch sein Schicksal gewesen wäre. Nach dem Ende des Krieges wanderte Trier zu seiner Tochter nach Kanada aus, wo er bis zu seinem Tode 1951 als Werbegrafiker und Illustrator weiterarbeitete. Ein Angebot von Walt Disney, der Trier als Mitarbeiter gewinnen wollte, lehnte er ab er wollte seine Selbständigkeit als Künstler nicht verlieren.

Ein erfolgreiches Künstler-Tandem

Die Zusammenarbeit zwischen Erich Kästner und Walter Trier begann 1929 und währte bis zum Tod Triers 1951. Kennengelernt haben sie sich über die Verlegerin Edith Jacobsohn, die Kästner animiert hatte, doch einmal ein Kinderbuch zu schreiben: Emil und die Detektive. Daraus entstand dann eine lebenslange Verbindung und – charakterisiert unter anderem in Der kleine Grenzverkehr – eine Freundschaft, die über die gemeinsame Arbeit hinausging.

Neunzehn Bücher haben Kästner und Trier gemeinsam gemacht, von Emil und die Detektive und dessen Nachfolgebänden, Das Fliegende Klassenzimmer, Das doppelte Lottchen bis zur Konferenz der Tiere. Zumeist verlief das in relativer Harmonie, doch gelegentlich kam es auch zu kleineren Konflikten, wie im Falle von Pünktchen und Anton, jenem „Zehntagewerk“ Kästners, das Trier zunächst zu unfertig schien. Aber hier wie sonst auch: gezeichnet hat er dann trotzdem, macht für eine Bühnenfassung des Textes sogar die Bühnenbilder.

Kästner andererseits gefallen Triers Entwürfe auch nicht immer sofort, so z.B. die für Das doppelte Lottchen. Neben den berühmten Romanen für Kinder illustriert Trier auch diverse Nacherzählungen Kästners von Texten aus der Weltliteratur oder von volkstümlichen Stoffen wie Der gestiefelte Kater, Münchhausen , Till Eulenspiegel oder Die Schildbürger. 
Im Künstlerischen also eine gelungene Symbiose, und soweit Kästners komplizierter Charakter dies zuließ sogar eine Freundschaft, gelebt natürlich vor allem in der gemeinsamen Berliner Zeit. Aber – wie stand es damit nach 1933, in der Zeit des Nationalsozialismus? Der eine, Jude aus Prag, muss ins Exil – der andere bleibt, trotz aller Gefährdung als verbotener Autor, in Deutschland, obwohl er mehrfach die Möglichkeit hat ins Ausland zu wechseln. Die Gründe und Begründungen Kästners sind komplex, die Frage hier aber ist nur: hat Trier es „seinem“ Autor übel genommen? Soweit wir es aus den vorhandenen Quellen erschließen können - nein. Kästner will unbedingt auch mit dem Emigranten Trier zusammenarbeiten, was noch 1936 mit Entwürfen zu seinem Gedicht-Band Die lyrische Hausapotheke realisiert werden kann. Danach aber wurde die Lage für Kästner selbst immer schwieriger, publizieren konnte er, wenn überhaupt, nur unter Anwendung von allerlei Winkelzügen.

Wer Der kleine Grenzverkehr liest - wo das Zusammentreffen der beiden anlässlich der Salzburger Festspiele geschildert wird – muss zustimmen, dass hier keine politischen Zwistigkeiten sichtbar sind. Hier wie bei seinem Besuch in London noch 1938 scheint Kästner Trier von seinen Gründen, nicht ins Exil zu folgen, überzeugt zu haben. Es ist sogar überliefert, dass sich beide bei dieser Visite freundschaftliche Tennis-Matches geliefert haben.

In jener Schlüssel-Geschichte Der kleine Grenzverkehr findet Kästner, im Rahmen einer nächtlichen Alkohol-Tour, ein schönes Bild für die Beziehung der beiden Protagonisten: „Zwei befreundete Silhouetten“. Schatten sind Abbilder von realen Objekten – und obwohl sich beide in der Zeit nach 1935 nur noch zweimal treffen konnten: die Realität dieser freundschaftlichen Beziehung blieb erhalten, bis zum Tode Triers – und auf Kästners Seite darüber hinaus!  

Sonniges Gelb als Wahrzeichen

Die Zeichnerin Rotraut Susanne Berner, bekannt durch ihre „Wimmelbücher“, hat berichtet, dass Triers Stil sie stark beeinflusst habe. Charakteristisch für ihn sei das „Definitive der Linie“, die „berühmte Triersche Diagonale“, die sich durch seine Bilder ziehen lässt. Natürlich fällt einem neben solchen strukturellen Ordnungselementen die Farb-Komposition seiner Bilder ins Auge: das „sonnige, saftige Gelb“, wie es in einem SZ-Artikel von Monika Goetsch charakterisiert wird. Sie zitiert auch eine Stimme aus dem Jahr 1930, wo von „appetitlichen Aquarellfarben“ die Rede ist. Eine andere Bezeichnung, die für diesen besonderen Stil gefunden wurde, war auch „Grotesker Realismus“.
Walter Trier: Emil und die Detektive (Collage)

Walter Trier: Emil und die Detektive | © Walter Trier / gemeinfrei

Man muss aber keine Etikettierung finden – über die Wirkung bei Kindern wie Erwachsenen ist man sich einig. Diese Bilder sind heiter, spielerisch, dem jeweiligen Betrachter offenliegend und anschaulich. Das berühmte Titelbild zu Emil und die Detektive bringt als Wiedererkennungseffekt das leuchtende Gelb, ansonsten deutet der Zeichner lediglich an: ein Platz in einer Stadt, zwei hinter einer Litfaßsäule versteckte Jungen, ein Mann mit Hut, der durch die Szene stolziert. Das macht sofort neugierig, ohne schon zu viel zu verraten. Trier gelingt es auch, den „Strich“ zwischen Kinder-Bild und Erwachsenen-Zeichnung zu finden. Das Titelbild zu Emil offeriert außerdem die Bandbreite von reinem Kinderspiel und einer Kriminalgeschichte.

Farbliche Variationen in den Gestaltungen Triers gibt es natürlich, das Gelb ist der Emil-Welt reserviert. Das Titelbild des Doppelten Lottchens erstrahlt in Landschafts-Grün und See-Blau, im Vordergrund das Rot-Weiß-Blond der Zwillinge Luise und Lotte. Heiterkeit, Harmonie, Herzlichkeit ist der Dreiklang, der sich beim Betrachter einstellt. Allerdings entspricht es nicht ganz dem Inhalt des Buches, der immerhin auch von den familiären Wirren einer Nachkriegszeit erzählt. Vielleicht lag es auch daran, dass es wie schon erwähnt zwischen Autor und Zeichner zunächst einigen Widerspruch gab über die ersten Entwürfe Triers. Doch letztlich hat auch das dann gewählte Motiv sein ikonisches Potential bewiesen.
Erich Kästner schrieb Das doppelte Lottchen im Jahr 1949. Illustriert wurde es von keinem Geringeren als Walter Trier - obwohl der Autor der literarischen Vorlage von den ersten Entwürfen seines Illustrators nicht gerade begeistert war.

Erich Kästner schrieb Das doppelte Lottchen im Jahr 1949. Illustriert wurde es von keinem Geringeren als Walter Trier - obwohl der Autor der literarischen Vorlage von den ersten Entwürfen seines Illustrators nicht gerade begeistert war. | © Walter Trier / gemeinfrei

Die Kunsthistorikerin und Leiterin des Walter-Trier-Archivs in Konstanz – dessen Besuch man nur aufs wärmste empfehlen kann! – Antje M. Warthorst hat vielleicht am zutreffendsten ausgedrückt, warum die Bilder von Walter Trier bei Kindern ins Schwarze treffen: „Er zeichnet so, wie Kinder gern zeichnen möchten, er spricht ihre Kindersprache aber in Vollendung und deshalb müssen sie ihn verstehen und lieben.“

Erich Kästner – ein auch heute noch gefeierter und „sogar“ gelesener Autor. Walter Trier - ein leider nahezu vergessener, zu seiner Zeit gefeierter Zeichner: Der Kontrast könnte kaum größer sein. Und doch, die Frage ist erlaubt: Welchen Anteil am Erfolg der Kinderbücher hatte der liebenswürdige Herr aus Prag? Denkt man an Emil und die Detektive – kommt einem zuerst die Story, der Plot in den Sinn - oder doch dieses signalhafte Gelb, die Szene auf dem Umschlag? Ich lasse die Frage offen, weil ich glaube, dass sie so einfach nicht zu beantworten ist.
Walter Trier: The Jolly Steamer, ca. 1948

Walter Trier: The Jolly Steamer, ca. 1948 | © Walter Trier / gemeinfrei

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