Global Control and Censorship
Prag | 19.06.–26.07.2018
Bis zur Wiedererrichtung der Demokratie im Jahr 1989 stand die damalige Tschechoslowakei als ein Satellitenstaat unter dem starken Einfluss der Sowjetunion. Hatten sich die Tschechen schon 1945 im Prager Aufstand gegen die Beherrschung durch eine fremde Macht aufgelehnt, so mussten sie in den Jahrzehnten nach der Befreiung von den Deutschen die harte Kontrolle durch Militär und Polizei einer kommunistisch orientierten Regierung ertragen. Der allgemeine Wunsch der Bevölkerung nach einer freiheitlichen Gesellschaft wurde 1968 im Prager Frühling durch sowjetische Truppen brutal niedergeschlagen. Und es sollte danach nochmals mehr als zwanzig Jahre der Unterdrückung dauern, bis sich 1989 in der Samtenen Revolution die im Bürgerforum vereinten Tschechen schließlich von einer Regierungsform befreien konnten, deren Machterhalt nur noch auf Kontrolle, Überwachung und Zensur beruhte. Die jeweiligen Machthaber waren indessen immer unter dem Titel der Freundschaft mit dem tschechischen Volk aufgetreten.
In der Politik aber ist Freundschaft immer nur eine Metapher für eindeutige Interessen. Deshalb gibt es auch heute vielfache Gründe wachsam zu sein, sei dies gegenüber implizierter politischer Einflussnahme von innen oder von außen oder sei es gegenüber den ausgesprochenen Interessen privatwirtschaftlich global operierender Konzerne.
Wissen ist Macht. Noch mehr Macht hat jedoch, wer den Fluss der Informationen beherrscht. Dies gilt heute vor allem in der digitalen Kultur, in der die gesamte Kommunikation von Menschen untereinander und alle Informationen im weltweiten Netz überwacht und auch manipuliert werden können.
Die euphorische Nutzung mobiler Kommunikationsgeräte hat dazu beigetragen, dass heute Milliarden Menschen weltweit miteinander verbunden sind. Inhalte und Daten jeder Art werden täglich milliardenfach generiert und sekundenschnell über den ganzen Globus übermittelt. Noch bevor sie aber ihre Empfänger erreicht haben, werden diese Daten massenhaft durch private Dienstleister und staatliche Dienste abgegriffen, ausgewertet, gespeichert und anschließend für deren Zwecke weiterverwendet. Galten die digitalen Kommunikationsformen bisher als Hoffnungsträger einer neuen demokratischen Mitwirkung, so sind sie in jüngster Zeit als ideale Türöffner zur perfekten Überwachung und Steuerung von Milliarden Menschen umgenutzt und pervertiert worden.
Wer sie nutzt, wird genutzt.
Das ist die Regel, auf die wir alle uns bequem eingelassen haben, um von diesen Kommunikationsformen zu profitieren. Smartphones, die ihre BenutzerInnen auf Schritt und Tritt begleiten, werden mit Spähsoftware infiziert und können ohne unser Wissen als Überwachungskameras und Abhörgeräte eingesetzt werden. Unsere Aufenthaltsorte und Bewegungsprofile werden jederzeit abgerufen. Informationen über unser Surf- und Kaufverhalten, unsere Kontaktdaten, Vorlieben und Schwächen werden jederzeit ungefragt analysiert und weitergegeben. Dies ist das Geschäftsmodell der heute erfolgreichsten Wirtschaftsunternehmen.
Überwachung und Zensur bedingen sich gegenseitig; sie können nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Überwachung von BürgerInnen sowie von Institutionen und Unternehmen, ja, auch die Überwachung von PolitikerInnen und Parlamenten oder JournalistInnen und RechtsanwältInnen ist seit jeher der geheime und gleichzeitig offen bekannte Auftrag staatlicher Dienste gewesen. In jüngster Zeit aber ist diese historische Praxis durch das staatlich legitimierte Ausspionieren aller BürgerInnen durch mächtige Dienstleister und Wirtschaftsunternehmen ausgeweitet worden.
Gleichzeitig wird die Weitergabe von für die Allgemeinheit wichtigsten Informationen durch mutige JournalistInnen, die Enthüllung illegaler Überwachung, ja sogar das Aufdecken von illegaler Zensur und Folter seitens staatlicher Institutionen aufs Schärfste verfolgt und bestraft. Auch heute werden systemkritische JournalistInnen, KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und WhistleblowerInnen als VerräterInnen gebrandmarkt. Man droht ihnen mit Publikationsverbot, mit Hausarrest und Reiseverbot sowie mit lebenslangen Gefängnisstrafen oder gar dem Tod. Gerade in jüngster Zeit sind viele Fälle grenzüberschreitender Verfolgung von JournalistInnen bis hin zu deren Ermordung auch in demokratisch verfassten Staaten bekannt geworden.
Nach der in der Verfolgung von Millionen von Menschen gipfelnden Kontrollmacht des Naziregimes, steht nach dem Zweiten Weltkrieg die durch George Orwell zur Metapher verdichtete, allgegenwärtige gottgleiche Kontrollinstanz Big Brother erstmals für eine totalitäre staatliche Kontrolle mittels elektronischer Medien. In der Diktatur Stalins wurden Millionen von Menschen wegen ihrer abweichenden freiheitlichen Gesinnung verfolgt, in Gefängnisse und Lager gesperrt, gequält und vernichtet. Dies trifft auch auf die Verfolgung von Dissidenten und regimekritischen Bürgern des tschechischen Volkes bis 1989 zu. Und neben den brutalen Diktaturen Francos in Spanien und Salazars in Portugal, den Regimen Pinochets, Suhartos und Ceaușescus, hatte neben dem Regime der Deutschen Demokratischen Republik auch die sowjetisch orientierte Tschechoslowakei ihren Fortbestand bis 1989 durch ein allgegenwärtiges Spitzelsystem gesichert.
Spätestens seit 1947 ist zudem das von den Five Eyes, den USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland weltweit betriebene Spionagenetz Echelon darauf ausgerichtet, politische, wirtschaftliche und private Kommunikation abzuhören, im Osten wie im Westen.
Seit rund drei Jahrzehnten erleichtert die digitale Vernetzung nun auch das automatisierte flächendeckende und gezielte Abgreifen, Verarbeiten und Speichern aller über das Internet verfügbaren Informationen sowie das gezielte Ausspionieren der NutzerInnen jederzeit und weltweit. Die mutigen Enthüllungen durch Edward Snowden im Jahr 2013 und andere WistleblowerInnen haben deutlich gemacht, dass diese Möglichkeiten totaler elektronischer Überwachung von Diensten westlicher wie östlicher Staaten auf breitester Basis entwickelt und eingesetzt werden. Die jüngst bekannt gewordenen Manipulationen der öffentlichen Meinung im Vorfeld demokratischer Wahlen durch ganze Armeen eingesetzter „Trolle“ gehört ebenso wie das Hacken digitaler Infrastrukturen von Regierungen und nichtstaatlicher Organisationen zum gleichen Repertoire undurchsichtiger Handlungsstrukturen.
Neben die Massenanalyse der kommunikativen Metadaten in elektronischen Netzen und den direkten Zugriff auf private Daten ist die offene oder geheime Zensur durch Störung, Manipulation und Abschaltung getreten. Wo die Angst vor drohender Zensur nicht wirkt, wird die Geheimhaltung von für die Bevölkerung wichtigen Informationen durch die Nicht-Zulassung und Kontrolle von JournalistInnen (embedded journalists), durch gezielte Behinderung einzelner Veröffentlichungen oder einer Berichterstattung über ganze Themenbereiche durchgesetzt. In jüngster Zeit ist ausgehend von den USA die arrogante Lancierung von „alternative news“ zu einem weltweit verbreiteten Instrument der politischen Beeinflussung geworden.
Seit langem nehmen sich die Five-Eyes-Staaten und andere Nationen das Recht heraus, alle anderen Staaten auszuspionieren, und dies in allen militärischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belangen, auf allen Ebenen: Regierungen, Organisationen, Wirtschaftsunternehmen, NGOs, AktivistInnen und einzelne BürgerInnen werden gleichsam überwacht. Die Devise lautet: Was technisch möglich ist, darf auch gemacht werden. Rechtlich und ethisch begründete Bedenken oder freundschaftliche Erwägungen gegenüber Staaten und Wirtschaftsunternehmen haben keine Gültigkeit mehr.
Die typische Begründung für Zensur war immer schon die reale oder vorgetäuschte Infragestellung von Sicherheit durch die Enthüllung von Information und schließlich die Abwehr vermeintlich terroristischer Bedrohungen. So ist Sicherheit heute der gängige und billige Schlüsselbegriff geworden, mit dem jede noch so autoritäre Maßnahme widerspruchslos durchgesetzt werden kann. Dass Kontrolle und Zurückhaltung von Information, Überwachung und Bestrafung, die intelligente Manipulation von Wissen und Kommunikation letztlich aber nicht in erster Linie dazu dienen, die Sicherheit der BürgerInnen zu garantieren, sondern auch dazu führen, bestehende illegitime Macht aufrecht zu erhalten, wird nahezu grundsätzlich bestritten.
Niemand überblickt heute mehr die technischen Möglichkeiten von Überwachung und Zensur in elektronischen Netzen. Neben der Kenntnis um tief greifende politisch motivierte Spähmanöver durch staatliche Institutionen, wissen wir auch längst um die massive Einflussnahme von Wirtschaftsunternehmen auf den öffentlichen wie auf den privaten Bereich, auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen wie auch auf unser konkretes, individuelles Verhalten. Global operierende, an den Börsen hoch gehandelte Konzerne wie Alphabet, Amazon, Google, Facebook, Microsoft, Apple und viele mehr profitieren durch ihre massenhafte Datengewinnung gezielt von individuellen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten ihrer NutzerInnen von allen Formen der social media. Der digitale Kapitalismus ist allerseits zum neuen Wirtschaftsmodell ausgerufen.
So ist das Ausgeliefertsein an übermächtige Instanzen der Überwachung und Zensur zur conditio humana, zur Grundbedingung unserer Kultur geworden.
Wir haben uns an die Abschöpfung privater Informationen von unseren Smartphones und Computern gewöhnt, ebenso wie an die unzähligen Videokameras, von denen wir uns auf dem Weg zur Arbeitsstätte, nach Hause oder in den Urlaub nicht mehr aufhalten lassen. Wir sind auf dem besten Wege, Überwachung und Zensur als allgemein gegeben zu akzeptieren, so wie wir andere Bedingungen unserer modernen Existenz – Verkehrslärm, Allgegenwart von Werbung, Umweltverschmutzung, Bedeutungslosigkeit im politischen Raum – als grundsätzlich gegeben zu akzeptieren gelernt haben.
Trotz höchst alarmierender Erkenntnisse hat heute bereits ein großer Teil der Öffentlichkeit vor der Allgegenwart staatlicher und privater Überwachung resigniert. Unsere Enkel werden uns hoffentlich noch fragen können, was wir denn dagegen unternommen haben – in einer gleichgeschalteten Gesellschaft werden solche Fragen nicht mehr aufkommen.
Die Ausstellung GLOBAL CONTROL AND CENSORSHIP untersucht das unaufhaltsame Eindringen von Überwachung und Zensur in unseren Lebensalltag. Sie stützt sich auf die Kooperation mit der Arbeitsgruppe Netzpolitik am Institut für Politische Wissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und mit dem Kompetenzzentrum für angewandte Sicherheitstechnologie (KASTEL) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Weitere wichtige Kooperationspartner sind Reporter ohne Grenzen, der Chaos Computer Club e.V. (CCC) sowie netzpolitik.org.
Größten Dank schuldet die Ausstellung all jenen WhistleblowerInnen, die den Mut hatten und haben, die Öffentlichkeit über undemokratische Praktiken von Staat und Privatwirtschaft aufzuklären.
Die Ausstellung wird vom Goethe-Institut Prag und der NTK Galerie in Kooperation mit dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe veranstaltet. Sie wurde von Bernhard Serexhe und Lívia Nolasco-Rózsás kuratiert.
— Bernhard Serexhe