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KI in der Literatur
Gott ist tot – Wir bauen uns eine Maschine

Zahlreiche Kinothriller und -krimis handeln von Macht und Missbrauch Künstlicher Intelligenz. Aber auch die Literatur beschäftigt sich seit der Klassischen Moderne vermehrt mit den Konflikten zwischen Mensch und Maschine.

„‚Die MASCHINE‘, riefen sie, ‚ernährt uns, kleidet uns und bietet uns Obdach. Durch sie sprechen wir einander, durch sie sehen wir einander, in ihr gründet unser Sein. […] Die MASCHINE ist allmächtig und ewig. Gesegnet sei die MASCHINE.‘“

Als E.M. Forster 1909 seine Kurzgeschichte Die Maschine steht still veröffentlichte, konnte er nicht ahnen, dass sie 100 Jahre später gar nicht mehr so abwegig klingen würde. In seiner dystopischen Zukunftsvision ist ein Leben auf der sauerstofflosen Erdoberfläche nicht mehr möglich. Die Menschen leben einzeln in kleinen Wohnwaben unter der Erde und werden von einer Art Super-Computer versorgt, aber auch rund um die Uhr beobachtet und gesteuert. Tag für Tag sitzen sie vor ihren Bildschirmen, eine Kommunikation mit anderen Menschen findet ausschließlich virtuell statt, das Verlassen des Raums ist verpönt. Wer sich gegen die Maschine auflehnt, wird im schlimmsten Fall mit „Heimatlosigkeit“ bestraft und ohne Atemmaske auf der Erdoberfläche ausgesetzt. Während sich Hauptfigur Vashti der Maschine unhinterfragt ausgeliefert hat, rebelliert ihr Sohn Kuno gegen die Diktatur des Computers. Er lehnt es ab, die menschengemachte Konstruktion wie eine omnipotente Gottheit anzubeten und ist überzeugt, dass sie früher oder später kaputt gehen wird – mit fatalen Folgen für die Menschheit.

Tote Materie wird zum Leben erweckt

Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine, ihren Hybriden oder komplett künstlich erschaffenen Menschen ist seit jeher ein Thema, das Philosophen und Schriftsteller fasziniert und inspiriert. So taucht bereits in der jüdischen Mystik der „Golem“ auf, ein aus Lehm geschaffenes menschenähnliches Wesen, das nicht zu eigenem Denken fähig ist oder sprechen kann, aber stur Befehle ausführt. Ebenfalls im Mittelalter gelangt der „Homunkulus“ zu größerer Bekanntheit, ein mithilfe alchemistischer Praktiken entwickeltes kleines Menschlein mit dämonischen Zügen, das im 1832 veröffentlichten Drama Faust II von Goethe erneut zum Leben erweckt wird.
 
Und auch Mary Shelley spielt in Frankenstein (1808) – übrigens ist Frankenstein nicht der Name des Monsters, sondern seines Erschaffers – mit der Vorstellung, aus toter Materie ein lebendiges Wesen zusammensetzen zu können. Frankenstein gelingt das Experiment, doch ist er ganz und gar nicht zufrieden mit dem Ergebnis und verstößt die Kreatur. Diese bildet mit der Zeit eine eigene, hilfsbereite und freundliche Persönlichkeit heraus, wird aber wegen ihres verschreckenden Aussehens nirgendwo willkommen geheißen. Als sie Frankenstein letztendlich ausfindig macht und um die Herstellung einer Frau bittet, willigt dieser zunächst ein, vernichtet die zweite Kreatur aufgrund ethischer Zweifel aber wieder; nun sieht er sich der ungezügelten Wut des von ihm erschaffenen Wesens ausgeliefert. Shelleys Schauerroman ist eine Mischung aus Phantasien rund um die Fortschritte der Technik sowie religiösen, moralischen und ethischen Fragestellungen. Darf der Mensch in die Schöpfung Gottes eingreifen beziehungsweise – indem er es ihm gleichzumachen versucht – sich sogar mit ihm auf eine Stufe stellen?
 
Ethische Bedenken sind es auch, die im Erzähler in Oskar Panizzas Erzählung Die Menschenfabrik (1890) höchste Empörung auslösen. Er gerät, auf der Suche nach einer Herberge für die Nacht, in ein großes, rätselhaftes Haus, das ihm der freundliche Besitzer als „Menschenfabrik“ vorstellt und ihn zu einem Rundgang einlädt. Entsetzt reagiert der Besucher auf die nüchtern vorgetragenen Beschreibungen, wie groß die Nachfrage nach den dort fabrizierten Menschen sei, dass sie nicht altern würden und sehr pflegeleicht seien.

„Noch eine Frage“, – rief ich, „bevor wir weitergehen: Tun Ihre Menschen denken?“ – „Nein!“ – rief er sofort mit dem Ton absolutester Sicherheit und nicht ohne freudige Erregung, als habe er die Frage erwartet oder sei froh, sie verneinen zu können. – „Nein!“ – rief er – „das haben wir glücklich abgeschafft!“.


Zum selbstständigen Denken ist auch Olimpia nicht fähig, in die sich Nathanel in E.T.A. Hoffmanns Kunstmärchen Der Sandmann (1816) verliebt: Sie ist eine mechanisch hergestellte Holzpuppe, die einer echten Frau täuschend ähnlich sieht, aber stets mit „Ach, ach“ antwortet. Nathanael hält das zunächst für Koketterie eines schüchternen Frauenzimmers, was ihn später zum Gespött der Stadt macht. 

„Der Mensch ist ein miserables Werk“

Literatur, die künstlich hergestellte Menschen zum Thema hat, spiegelt oftmals den zur Zeit der Entstehung aktuellen Stand der Technik und Forschung wider. Die Genre-Literatur – allen voran Science-Fiction und Thriller – lässt sich gerne zu Gedankenspielen über hyperintelligente Computer hinreißen. Manchmal mit viel Humor: Wer muss nicht schmunzeln bei dem Gedanken an Deep Thought, den von einer außerirdischen Kultur entwickelten Super-Computer aus Douglas Adams Per Anhalter durch die Galaxis (1979), der 7,5 Milliarden Jahre braucht, um die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ zu beantworten – mit „42“? Selbst schuld, wenn die Frage so unpräzise gestellt wird, antwortet er auf die verständnislosen Blicke der Menschen.
 
Da hat der GOLEM deutlich weniger Humor: Stanislav Lem greift in Also sprach GOLEM (1981) die mystische Figur des Mittelalters namentlich auf, doch versteckt sich hinter ihr ein Computer, dessen Namen die Abkürzung für „General Operator, Longrange, Ethically stabilized, Multimodelling“ ist. Golem besitzt eine eigene Vernunft und kann denken, was er dafür nutzt, den Menschen lange Vorträge über die Fehler ihrer Entwicklung zu halten: „Vom Standpunkt der Hochtechnologie ist der Mensch ein miserables Werk.“
 
Ähnlich kritisch sehen das auch viele Androiden, die in der Literatur zum Leben erweckt werden. In Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten, dem überzeugenden Neuling von Emma Braslavsky (2019), haben menschlich aussehende „Hubots“ die lästige Partnersuche in der Single-Hauptstadt Berlin überflüssig gemacht. Wer keine Lust hat, sich persönlich um Liebesdinge zu kümmern, lässt sich einfach einen passgenauen Roboter anfertigen. Ob homo- oder heterosexuell, mit Hang zu Fetisch, monogamer oder polyamorer Beziehung: Alles möglich. Doch weil die Androiden für Hausputz und sexuelle Befriedigung einsetzbar sind, aber keine Gefühle empfinden können, steigt die Einsamkeit in der Stadt trotzdem an – und mit ihr die Selbstmordrate. Damit die Stadt nicht alles bezahlen muss, wird „Roberta“ entwickelt, die die Angehörigen der Verstorbenen ausfindig machen und sie mit Nachdruck von der Übernahme der Beerdigungskosten überzeugen soll. Mit ihrer unemphatischen Art stößt der Hubot dabei auch auf viel Widerstand bei ihren menschlichen Kolleg*innen.
 
Mit der Zeit entwickelt Roberta ein immer stärker ausgeprägtes Selbstbewusstsein und den Wunsch, eine „richtige“ Frau zu werden:

„Roberta teilte ihr Sichtfeld und fokussierte alles, was sie zur typisch weiblichen Lebensweise in der Stadt finden konnte. Sie versuchte zu verstehen, was als weiblich markiert wurde, warum nach traditionellem Verständnis einer männlichen Mehrheit das Weibliche in ein Schattenreich verbannt werden sollte, dass Frauen sich mit Chaos und Finsternis zu teilen hatten. Worin bestand diese Macht des Weiblichen über das Männliche, die ihnen eine derartige Angst einflößte, dass sie Frauen wie Dreck oder wie Sklaven behandeln mussten, um sich selbst davor zu schützen.“

Ihr Blick von außen auf das Verhalten der Menschen, insbesondere auf die Ungleichheit der Geschlechter, ist kritisch und entlarvend.

Könnte Künstliche Intelligenz die Weltherrschaft übernehmen?

Während Emma Braslavsky ihre Geschichte in einer nahen Zukunft angesiedelt hat, entwirft Ian McEwan in Maschinen wie ich (2019) eine alternative Vergangenheit. Der Falklandkrieg hat 1982 gerade begonnen, aber es gibt bereits das Internet und Smartphones, als Charlie sich von seinem Erbe einen Androiden kauft. „Adam“ ist einer von zwölf Prototypen – das weibliche Gegenstück heißt natürlich „Eve“ –, hat eine Haltbarkeit von 20 Jahren und sieht aus wie ein rassiger Südländer:

„Endlich saß er, einen Haufen Styropor und Plastik um die Knöchel, an meinem kleinen Esstisch, nackt, die Augen geschlossen. Ein schwarzes Stromkabel schlängelte sich von der Buchse, seinem Bauchnabel, zu einer Dreizehn-Ampere-Steckdose an der Wand. Ihn voll aufzuladen, würde sechzehn Stunden dauern.“

Gemeinsam mit seiner Nachbarin Miranda entscheidet er, welche Charaktereigenschaften Adam besitzen soll, was einem Akt der Zeugung gleichkommt und die beiden als Konsequenz zu einem Liebespaar macht. Dass Adam, der mit allen Datenbanken der Welt verbunden ist, später ein Geheimnis aus Mirandas Vergangenheit aufdeckt und damit die Beziehung auf die Probe stellt, gehört wohl zu den Tücken der modernen Technik.
 
Was unterscheidet den Menschen noch von einer Maschine, wenn diese eigenständig denken kann? Wird man Computern irgendwann beibringen können, nicht nur auf der Basis menschlicher Vernunft handeln zu können, sondern auch eigene Charaktereigenschaften zu entwickeln oder Gefühle zu empfinden und auszudrücken? Und könnte Künstliche Intelligenz wirklich die Weltherrschaft übernehmen? Das wäre dann wohl neuer Stoff für einen mitreißenden Thriller.
 

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