E. T. A. Hoffmann – Genie des Schreckens und der Wunder
„Als ich im Land der Träume war, erlebte ich tausend Qualen und Ängste! Die Nacht war um mich herum, ich war erschrocken über grinsende Larven von Monstern, die mich bedrängten und mich mal in die Tiefen des Meeres mitrissen, mal in schwindelerregende Höhen trugen. Dann zuckten Strahlen durch die Nacht und die Strahlen waren Töne, die mich in einem lieblichen Leuchten umarmten.“ E. T. A. Hoffmann
Man kann sich kaum eine merkwürdigere Geschichte als diejenige vorstellen, die sich aus dem Lebensschicksal eines der außergewöhnlichsten Autoren der weltweiten Kunstgeschichte entfaltet. Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776–1822) wurde als Musiker, Maler und Dichter berühmt. Tagsüber arbeitete er als einfacher Büroangestellter, um sich nachts in einen mitreißenden Geschichtenerzähler zu verwandeln. Doch da er neben der Dichtung eben auch die Malerei und die Musik liebte, ging er darüber hinaus. Er konnte diese dreifache Welt in eine faszinierende Einheit verwandeln. Sein Werk umfasst eindringliche Bilder in den wildesten Tönen. Hoffmann als Liebhaber von Emotionen, mit der Fähigkeit, das Leblose zum Leben zu erwecken, ist Autor der schrecklichsten Geschichten, die am Anfang des modernen Horrors und der Phantastik stehen.
Seine Geschichten bewegen sich am Rande des Wahnsinns und der Unglaubwürdigkeit und berühren die tiefsten Schrecken, die man sich vorstellen kann. Er beschäftigte sich mit Schizophrenie (Lebens-Ansichten des Katers Murr, Die Elixiere des Teufels), künstlicher Intelligenz (Der Sandmann, Die Automate) und Serienmördern (Das Fräulein von Scuderi). Sein Werk steht zum Beispiel am Anfang der Gattung der Kriminalgeschichte. Seine Schriften voller raffinierter Kontraste enthalten jedoch neben dem Grauen auch wunderschöne, fesselnd magische Passagen, in denen der Autor wie ein Zauberer den banalsten Gegenständen Leben einhaucht (der weltberühmte Nussknacker, Das fremde Kind, Der goldne Topf).
E. T. A. Hoffmann galt als Inspirator und sprachgewandter Kritiker. Seine satirischen und ironischen Märchen (Meister Floh, Klein Zaches genannt Zinnober) feiern immer noch weltweit Erfolge, seine Gruselgeschichten (Die Elixiere des Teufels, Der Sandmann) wurden mehrmals verfilmt. Berühmt wurde er auch als Held in Werken anderer Künstler, am bekanntesten ist die Oper Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach.
Er hat Dutzende von Schriftstellern beeinflusst, unter ihnen zum Beispiel Edgar Allan Poe, Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Alexandre Dumas, Charles Baudelaire, Franz Kafka, Gustav Meyrink, Hanns Heinz Ewers, Michail Bulgakow, den Filmemacher Andrei Tarkowski. In der Musik waren es Hector Berlioz, Richard Wagner und andere. Im Bereich der Psychiatrie war es der aus Příbor stammende Sigmund Freud, der ihm große Aufmerksamkeit widmete. Unter den Malern interessierte sich zum Beispiel der in Prag geborene Hugo Steiner-Prag für ihn.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts fand das Werk von E. T. A. Hoffmann auch bei den tschechischen Schriftstellern Anklang, als die ersten Übersetzungen bei uns erschienen waren. Im 20. Jahrhundert inspirierte es Dutzende von audiovisuellen Künstlern, von der Vorkriegszeit des deutschen Expressionismus bis zur Gegenwart.
Martin Jiroušek
Martin Jiroušek ist ein Experte für literarischen und filmischen Horror, Dämonismus und Dekadenz. Er beschäftigt sich genreübergreifend mit der Poetik des Horrors mit diversen multimedialen Formaten. Zu seinen Publikationen gehören Černý bod aneb Historie hororu v českých zemích (2015, Der schwarze Punkt oder die Geschichte des Grauens in den böhmischen Ländern), Fialoví ďábli (2020, Violette Teufel) und Fantasmagoriana, kniha, která zrodila Frankensteina (2021, Fantasmagoriana, das Buch, aus dem Frankenstein hervorging). Er kuratierte diverse Buchausstellungen, z.B. Edgar A. Poe: Erste tschechische Ausgaben, Kvílení. Karásek ze Lvovic potkává vlkodlaky. (dt. Heulen. Karásek aus Lvovice trifft Werwölfe). In diesem Jahr war er an der Multimedia-Ausstellung Hluboká voda, nejhlubší les (dt. Tiefes Wasser, tiefster Wald) beteiligt.