Unabhängige Filmproduktion
Deutsche Filmemacher erforschen neue Wege
Aus der Perspektive vieler ausländischer Filmemacher herrschen in Deutschland paradiesische Zustände – ein vielfältiges Fördersystem unterstützt die Filmkultur. Doch immer mehr Filmemacher entscheiden sich auch bewusst für neue Wege jenseits der etablierten Strukturen. Mit Erfolg.
Von Cathy de Haan
Als freies Projekt mit reduzierten Mitteln ist der abendfüllende Spielfilm Love Steaks von Regisseur Jakob Lass an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam entstanden. National und international hat er zahlreiche Preise gewonnen und es sogar – neben Produktionen mit Millionenbudgets – unter die Nominierten für den Deutschen Filmpreis geschafft. Möglich wurde dies durch die Unterstützung diverser Sponsoren, aber vor allem durch die Ideen des Projektes Fogma.
Fogma – das kollektive Potenzial befeuern
Mit Fogma hat sich eine Gruppe Filmschaffender ein Manifest für unabhängiges Filmemachen gegeben und lebt dieses konsequent bei der Gestaltung ihrer Filme. Das Plädoyer für Freiheit („Fogma ist ein Experiment für Freiheit“) steht dabei neben der Verpflichtung zur Qualität („Fogma erlaubt keine Pseudo-Professionalität“). Gedreht wurde Love Steaks gänzlich ohne geschriebene Dialoge – aber mit einer kollektiv entwickelten Vision und einer konsequenten Regiearbeit. Die Mischung aus Improvisation, Dokumentation und Fiktion entstand in einem normalen Arbeitsrhythmus. „Nach acht Stunden Dreharbeiten war täglich Schluss“, erklärten die Produzenten Ines Schiller und Golo Schultz. Denn: „Fogma ist Filmemachen und Leben“.Mengamuk Films – sich wild und leidenschaftlich einsetzen
Wie Fogma akzeptieren auch Michel Balagué und Marcin Malaszczak von Mengamuk Films keine ästhetischen oder dramaturgischen Formeln. „Wir verstehen Film als Kunstform und Instrument des ästhetischen Widerstandes. Wir suchen die Zusammenarbeit mit Film- und Kunstschaffenden, die zur Weiterentwicklung dieser jungen Kunstform beitragen möchten und der Auffassung sind, dass Kunst aus einem unabhängigen Geist heraus entstehen und sich wild und leidenschaftlich für etwas einsetzen muss“, lautet das Credo von Mengamuk Films.Fast alle Mengamuk-Produktionen sind bislang außerhalb des Systems der deutschen Filmförderung entstanden. Wie war das möglich? „Wir sind keine klassischen Koproduzenten, die aus dem eigenen Land die jeweilige Finanzierung sicherstellen, sondern engagieren uns bei jedem Film persönlich. Das heißt konkret, wir bringen unsere kreative Kompetenz mit ein und haben beispielsweise eigene Schnittplätze und können auch selbst Farbkorrekturen durchführen“, so Balagué. „ Wir wollen einen Ort schaffen, der es ermöglicht, mit eigener Infrastruktur, so unabhängig wie möglich Filme zu produzieren. Es ist unser Ziel, flexibel zu bleiben, was aber nicht ausschließt, auch einmal deutsche Filmförderung zu beantragen“ ergänzt Malaszczak.
Bislang entstanden so zum Beispiel Koproduktionen mit Filmemachern aus Belgien, Jordanien oder Polen. Alle wurden vielfach ausgezeichnet, wie Malaszczaks Sieniawka (FID Marseille: Bester Erstlingsfilm, Arte–Dokumentarfilmpreis bei der Duisburger Filmwoche). Die Preisgelder wurden konsequent mit den Partnern geteilt und fließen in die nächsten Projekte.
Alternative Distribution und neue Kinowege
Eine der großen Hoffnung der unabhängigen Filmemacher liegt dabei auch auf neuen Distributionswegen, speziell im Internet. Doch das ist nicht immer ganz einfach. Das Fogma-Team hatte in Kooperation mit dem Online-Vertrieb Daredo beispielsweise zur Distribution von Love Steaks, der ohne langwierige und bürokratische Fernseh- oder Verleihbeteiligung entstanden ist, eine neue Idee entwickelt. Das Konzept sah vor, dass die beteiligten 20 Kinos über ihre eigenen Webseiten parallel zum Kinostart den Film als kostenpflichtigen Stream anbieten. Aber kurz vor Start entschied sich der Verband der Programmkinos gegen das Modell.Einige Filmemacher suchen außerdem nach neuen Kinoformen, die dem Publikum die Möglichkeit des Austauschs und der Diskussion bieten. Einen solchen Ort möchte die freie Programmgestalterin und Filmkuratorin Verena von Stackelberg mit ihrem interdisziplinären Kinoprojekt Wolf in Berlin-Neukölln schaffen: „Ein Kino muss im täglichen Wirken die Atmosphäre der Festivals bieten, muss einen Ort sein, der um der Kommunikation willen aufgesucht wird. Es muss das Kino als kulturellen Ort in den Vordergrund stellen, als Stätte des Austauschs. Es muss Café-, Ausstellungs- und Filmkultur verbinden und einen öffentlichen Platz bieten, der dem Begriff des Art House ganz in seinem Wortsinne neue Bedeutung verleiht“, sagt Stackelberg.
Im Juni 2014, während des Stadtteilfestes 48 Stunden Neukölln, öffnete Wolf erstmals seine Tore. Workshops und Filmvorführungen standen auf dem Programm. 2015 sollen zwei digitale Kinosäle sowie eine Bar und ein Ausstellungsraum in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Berliner Bordells und Imbisses fertiggestellt sein, ein „Heim für Kino und Filmkunst, Filmemacher und Filmbegeisterte“.
Mit der Kombination von Streaming- und Kinoabonnement hat Verena von Stackelberg kein Problem. „Damit lässt sich das Publikum auf eine Weise binden, die eher unerprobt ist. In einem Kino, das offen ist für die Neugier des Publikums, für die Unabhängigkeit vom Markt, für die anderen Künste und für die neuen Medien. Dem gehört die Zukunft.“