Das Manchester der Tschechoslowakei
Baťas Businessstadt Zlín
Baťa und die Stadt Zlín sind eines der wichtigsten Phänomene der Tschechoslowakei des letzten Jahrhunderts. Tomáš Baťa war ein erfolgreicher Industriemagnat und seine Stadt Zlín wurde zum Laboratorium der Moderne, das sich bis heute in der örtlichen Architektur, im Städtebau, Schulwesen und in Filmen widerspiegelt.
Ende des 19. Jahrhunderts gründete der Unternehmer Baťa in Zlín die gleichnamige Schuhproduktionsfirma, die schnell zum größten Hersteller und Exporteur von Schuhen in Europa wurde. Die Blütezeit des Unternehmens hielt bis zur Machtübernahme der Kommunisten nach Ende des Zweiten Weltkriegs an. Trotzdem haben die Stadt Zlín und ihre Bewohner bis heute die unbesiegbare Emanzipation und den Unternehmergeist beibehalten.
Das Manchester der Tschechoslowakei
Das historische Kaufmannsstädtchen im Weidehochland verwandelte sich durch die Industrierevolution in ein globales Industriezentrum, das man das Manchester der Tschechoslowakei nannte. Die Familie Baťa gründete ihr Schuhimperium im Jahre 1884. Tomáš Baťa entwickelte es später auf der Basis von Prinzipien der Moderne, wie Fordismus, Taylorismus und der Keynesianischen Wirtschaftstheorie weiter.Beim Aufbau der Stadt ging er, wie auch bei der Schuhherstellung, sehr rational vor. Bei den Plänen beteiligten sich alle Bau- und Städtebaufirmen, die finale Gestaltung entschied Tomáš Baťa aber immer alleine. Seine Visionen der „Idealen Industriestadt“ sind im Zlíner Archiv der Stadt Brünn, dem einstigen Baťa Archiv zu finden. Das Konzept entstand aus barroken und klassizistischen Plänen, in denen sich die Stadt strahlenförmig um den Herrschaftssitz ausbreitete. In Baťas Städtebau war das Zentrum das Fabrikareal, zu dessen Eingang alle Hauptstraßen führten. Nach Plan wurden zuerst die Fabrikgebäude, nach dem Vorbild der Ford Betriebe in Amerika erbaut. Kennzeichnend waren der Stahlbeton-Skelettbau mit dem Raster 6,15 x 6,15 m, die mit rotem Backstein verkleideten Wände und die modernen Fensterbänder. Im Fabrikareal befanden sich sowohl die Werkstätten für die Schuhherstellung, als auch Hilfsbetriebe für das Unternehmen und die Stadt.
Arbeiten, wohnen, leben
Die Fabrikarbeiter benötigten Unterkünfte und so folgte der Bau von Familienhäusern und Wohnungen, schnell und praktisch wie am Fließband. Diese schachbrettförmig angeordneten Kolonien von zweistöckigen Backsteinhäusern mit Gärten ohne Zäune findet man in Letná, Nad Ovčinou, in Zálešná, Podvesná, Díly, Lesní čtvrť (Waldviertel) und Mokrá. Die Architekten der Siedlungen waren Vladimír Karfík, F.L.Gahura, Jan Kotěra und Miroslav Drofa. Die Vorfertigung und Standardisierung der Produktion ermöglichte einen außergewöhnlich schnellen Aufbau einer neuen Stadt. Ganz nach dem Credo „zusammen arbeiten, individuell wohnen“ lehnte Baťa Le Corbusiers Konzept des kollektiven Wohnens der Beschäftigten ab. Dazu kam es erst später, mit Jiří Voženíleks Form des Kollektivhauses aus dem Jahr 1950. Baťas Angestellten und ihre Familien konnten aber nicht nur Leben und Arbeiten, also folgte nun der Aufbau von sozialen und kulturellen Einrichtungen: Kinos, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Sportstätten, Zoo und Krankenhäuser. So wurde dem Städtebauprozess noch anspruchsvolle Sozialpolitik mit festen Regeln für ihre Bewohner beigefügt. Interne kommunikative Propagandamittel gewährleisteten die Informiertheit der neuen Gesellschaft, aber auch ihre Kontrolle. Es entstand ein neuer Mensch: der junge Baťa Mann, die junge Baťa Frau und die Baťa Familie. Das Unternehmen bot ihnen nicht nur Arbeit, Wohnmöglichkeiten und Bildung, sondern auch frei zur Verfügung stehende Freizeit. Kultur und Einkaufsmöglichkeiten führten zu einer neuen Emanzipation und Selbstbewusstsein der Stadtbevölkerung, die meist aus ländlichen Gebieten kamen. Diese Ambivalenz im sozialen Kapitalismus wurde offen von der zeitgenössischen Avantgarde-Moderne kritisiert.Das Ende eines Imperiums
Im Jahr 1932 starb Tomáš Baťa bei einem Flugzeugabsturz auf dem Weg zu der Fabrikeröffnung im Schweizer Möhlin. Sein Halbbruder Jan Antonín Baťa leitete die Firma weiter. Er führte die Baupläne seines Bruders weiter aus und trug bis 1939 zur Entwicklung der Stadt bei. Unter anderem ließ er das Verwaltungsgebäude der Firma Baťa bauen und das sogenannte „jednadvacítka“ Hochhaus, mit dem mythischen, mobilen Büro im Fahrstuhl (1938). Nach dem Krieg wurde die Firma verstaatlicht und umbenannt in das nationale Unternehmen Svit. 1949 wurde auch Zlín umbenannt in Gottwaldov. Die Tradition des kontrollierten Städtebaus klang zur Zeit des Kommunismus, der Fünfjahrespläne und der sozialistischen Industrialisierung langsam ab und es entstand zum Beispiel der Bau der großen Plattenbausiedlung Jižní Svahy. Nach der Samtenen Revolution wurde die Stadt wieder Zlín genannt. Mit dem Aufkommen der liberalen Wirtschaft kam es zu massiven Veränderungen der Besitzverhältnisse, einer Individualisierung der Gesellschaft und Deindustrialisierung Zlíns. Aus den meisten Fabrikgebäuden wurden Brachflächen.Von der Brache zur Gentrifizierung
Heutzutage versucht die Stadt an die weltbekannte Tradition anzuknüpfen und sie im Rahmen gegebener Möglichkeiten und neuer Erfahrungen weiterzuentwickeln. Im historischen Zentrum am Náměstí Míru entstand das multifunktionale Robot Haus (2004) und das beliebte Einkaufszentrum Zlaté Jablko (2008) des Architekten Svatopluk Sládeček. Auch der Versuch neue Funktionen für die alten Fabrikgebäude zu finden, trägt langsam Früchte. Das Gebäude 21 wurde von den Architekten Pastrnek, Bergmann und Všetečka rekonstruiert und im Jahr 2004 wiedereröffnet, als Sitz des Landkreises und des Finanzamts. Im Gebäude 23, rekonstruiert von den Architekten Mudřík und Míček, befindet sich ein erfolgreicher Unternehmensinkubator.Mit Spannung wird auch die diesjährige Eröffnung der Gebäude 14 und 15 erwartet, die den Titel Baťa Institut tragen werden. Bald werden hier auch das Museum Südostmährens, die Landesbibliothek František Bartoš und die Regionalgalerie für bildende Künste einziehen. Ein langjähriger Plan der Stadt ist es auch, in die Fabrikgebäude einen Teil der Universität unterzubringen. Dies gelingt nicht nur wegen komplizierten eigentumsrechtlichen Verhältnissen nicht wirklich und so wurde der umstrittene Entwurf der gebürtigen Zlinerin und mittlerweile Londonerin Eva Jiřičná für ein Kongress- und Universitätszentrum ausserhalb des Industriegebiets realisiert.
Dafür ist aber die Renovierung von den Baťa-Häuschen, die mittlerweile meist in Privatbesitz sind, in den letzten Jahren immer populärer geworden. Mit dem Zuzug junger Kreativer, ihrem Einleben und der dadurch unauffälligen Gentrifizierung der Stadtteile –wie vor allem in Letná– fängt eine weitere Veränderungsphase dieser Unternehmerstadt an.