Internationale Gastronomie
„Geschmack ist so wandelbar wie die Identität“
Pizza, Cappuccino, Döner Kebab – die ausländische Küche ist in Deutschland nicht mehr wegzudenken. Die Kulturhistorikerin Maren Möhring erzählt im Gespräch, ob Essen eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen bilden kann und die Ankunft von einer Million Flüchtlingen einen Boom der internationalen Küche in Deutschland nach sich zieht.
Frau Möhring, die kulinarische Vielfalt und ihre Gastronomie prägen Alltag und Stadtbild in Deutschland. Diese Vielfalt hängt auch mit der Arbeitsmigration aus Italien, dem früheren Jugoslawien und der Türkei zusammen. Können Sie kurz die Entwicklung der ausländischen Küche in Deutschland skizzieren?
Der Boom der sogenannten Gastarbeiterküchen setzte in den späten 1960er-Jahren ein und verstärkte sich in den 1970er-und 1980er-Jahren. Hatte es 1975 etwa 20.000 ausländische Gaststätten in der Bundesrepublik gegeben, verdoppelte sich diese Zahl binnen eines Jahrzehnts. Zunächst etablierten sich italienische Restaurants und Balkan-Grills. In den 1970er- Jahren kamen türkische Imbisse und Schnellrestaurants hinzu sowie griechische Tavernen.
„Über den Tellerrand hinausblicken“, „Viele Köche verderben den Brei“ – es gibt zahllose Redewendungen und Metaphern zum Thema. Hat Essen eine eigene Sprache und kann sogar Grenzen der Herkunft, Sprache und Kultur überwinden?
Essen oder Mahlzeiten stellen komplexe Systeme dar, deren Codes ebenso erlernt werden müssen wie eine Sprache. Nicht nur Esstechniken – das Essen mit Stäbchen etwa – wollen gelernt sein, sondern auch was, wann, wie gegessen wird. Migrantische Gastronomen und Kellner müssen oft Übersetzungsarbeit leisten, um den Gästen esskulturelle Regeln und Sinnsysteme nahezubringen. Als sinnliche Erfahrung, die stark von Geschmack und Geruch geprägt ist, ermöglicht Essen zum einen eine Kontaktaufnahme auf nonverbale Weise und zum anderen ein Gespräch über das eigene Erleben. Doch der Konsum „fremder“ Speisen allein sagt herzlich wenig aus über die generelle Einstellung gegenüber Migrantinnen und Migranten.
Hürden in Deutschland
Wo wird im Ausland typisch Deutsches gegessen?
„Die“ deutsche Küche erfreut sich weltweit keiner besonders großen Beliebtheit – anders als etwa italienische oder chinesische Gerichte. In den USA stehen Bier und bayerische Küche oftmals für ‚das Deutsche‘.
Und wie gängig ist die Migrantenküche in Deutschland im internationalen Vergleich?
In Großbritannien haben sich migrantische Küchen früher und umfassender als in Deutschland etabliert. In Frankreich und Italien – dort, wo die eigene Küche stark zum nationalen Selbstverständnis beiträgt – konnten sich ausländische Lokale erst viel später durchsetzen. Zentral waren und sind vor allem gewerberechtliche Regularien, die es Migranten und Migrantinnen in England, in den USA und in Kanada leichter machen, ein Lokal zu eröffnen, als in der Bundesrepublik.
Im Jahr 2015 sind über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Wird es – trotz behördlicher Hürden – vermehrt syrische Lokale geben? Ist in Städten oder Dörfern bald sogar ein erneuter Boom der Migrantenküche zu erwarten?
Ich vermute, dass es mit der Zeit eine größere Zahl an syrischen Restaurants und Imbissen geben wird. Der arbeitsintensive und konjunkturanfällige Gastronomiesektor ist nach wie vor ein von Migranten überproportional gewählter Tätigkeitsbereich – nicht zuletzt deshalb, weil viele ihrer Ausbildungsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden. Flüchtlinge, die sich selbständig machen wollen, stehen aber vor großen Schwierigkeiten, auch finanziell. Möglicherweise wird sich das jedoch ändern, weil gerade Metropolen migrantische Ökonomien als wichtigen Standortfaktor erkannt haben, um für ein urbanes, kreatives Milieu interessant zu sein.
Essen und Identität
„Du bist, was du isst“ – inwiefern ist Ernährung identitätsstiftend?
Gerade nach Flucht oder Migration in ein anderes Land können vertraute Speisen und Getränke dazu dienen, biografische Brüche zu überbrücken. Dem Essen haftet oft ein nostalgisches Element an, die Gerichte aus der Kindheit sind hoch emotional besetzt. Aber das bedeutet nicht, dass unser Essverhalten unveränderlich wäre. Allem Geschmackskonservatismus zum Trotz ist der Geschmack so wandelbar wie die Identität.
Die Frage nach Identität hat auch einen bitteren Beigeschmack. Von harmloseren Konflikten über Beleidigungen und Lokalschließungen bis hin zu den NSU-Verbrechen. Die rechtsextremistische Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ ermordete ausschließlich ausländische Betreiber und Mitarbeiter von Ladengeschäften und Verkaufsständen. Gibt es einen Rechtsruck in Bezug auf die Esskultur?
Die ausländischen Restaurants, Imbisse und Lebensmittelläden haben deutsche Städte nachhaltig und sichtbar verändert. Gegen diese sichtbare Diversität Deutschlands richteten sich – meines Erachtens nicht zufällig – die Anschläge des NSU. Einerseits werden migrantische Unternehmer angegriffen, die mit ihren Betriebsgründungen zu erkennen geben, dass sie hierbleiben wollen; andererseits geht es um die „Gefährdung“ der als heimisch verstandenen Esskultur. Vermeintlich homogene und klar abgrenzbare National- Kulturen, die es so nie gegeben hat, sollen vor einer „Verunreinigung“ geschützt werden. Es ist erschreckend, dass solche Positionen in einer globalisierten Welt wieder Akzeptanz finden. Bei diesen Auseinandersetzungen geht es nie ausschließlich um Esskultur, sondern um Kultur in einem umfassenden Sinn.
„Bockwurst statt Döner“ skandierten Rechtsextremisten: Wie deutsch ist die Bockwurst eigentlich?
Die Bockwurst kam erst mit der Ansiedlung französischer Hugenotten im 17. Jahrhundert in deutschsprachige Gebiete. Ihren Namen erhielt sie vermutlich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als sie von einem Berliner Gastwirt zusammen mit Bockbier serviert wurde. Die Geschichte lehrt: Das „Eigenste“ kommt oft aus der Fremde.