Band des Monats
Günter Baby Sommer

Günter Baby Sommer
Günter Baby Sommer | © Francesca Pfeffer

Günter Baby Sommer ist ein deutscher Jazzschlagzeuger und Perkussionist, der bereits in den 1960er Jahren einen Stil entwickelt hat, der ihn zu einem der bedeutendsten Vertreter der internationalen Jazzszene gemacht hat.

Der 1943 in Dresden geborene Günter Sommer studierte von 1962 bis 1966 an der Musikhochschule Carl Maria von Weber Dresden – eine der ersten deutschen Hochschulen, die überhaupt eine eigene Jazzabteilung hatten. Im Zuge dieses Studiums kam er schon früh mit zahlreichen Musikern in Kontakt und spielte in verschiedenen Gruppen den amerikanischen Modern Jazz der 1960er Jahre. Im Rahmen seiner Arbeit in der Big Band des Jazzkomponisten und Bandleaders Klaus Lenz kam Günter Sommer zu seinem Spitznamen Baby. Er selbst beschreibt die Anekdote in einem Interview anlässlich seiner Ernennung zur European Jazz Legend wie folgt: Klaus Lenz gefiel Sommers Spiel bei einer Probe nicht und fragte ihn: „ ‚Was machst’n da für ’n Scheiß? Willste alles neu erfinden, wie Baby Dodds? ‘Und da hat ein anderer Musiker der Band gesagt: ‚Hey Klaus, das ist nicht Baby Dodds, das ist Baby Sommer.‘ So ist der Name entstanden. Alles andere ist Legende." Diese Geschichte kann als exemplarisch für Baby Sommers musikalisches Schaffen gesehen werden. In den 1970er Jahren spielte er in verschiedenen Gruppen, etwa mit Ulrich Gumperts Workshopband und im Trio Chicago – Wuppertal – Dresden mit dem Bassisten Peter Kowald und dem Trompeter Wadada Leo Smith aus Chicago. Durch die Zusammenarbeit mit dem Saxophonisten Friedhelm Schönfeld kam er in den 1960er Jahren mit dem freien Spiel in Berührung und entwickelte daraus seinen ganz eigenen Stil. Während sein Künstlername Baby eine Hommage an den Schlagzeuger Baby Dodds aus Louis Armstrongs Hot Seven ist, orientiert sich sein Stil vorrangig an solchen künstlerischen Vorbildern wie Art Blakey, Max Roach und Philly Joe Jones.

Nach dem Studium konnte Baby Sommer seinen eigenen Stil durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Vertretern der europäischen Avantgarde des Free Jazz wie Peter Brötzmann, Fred van Hove, Evan Parker, Gianluigi Trovesi, Alexander von Schlippenbach, Irene Schweizer und den Amerikanern Antony Braxton und Cecil Taylor festigen und weiterentwickeln.



„Für uns stand ‚free‘ für Freiheit in jede Richtung"

Gemeinsam mit Ulrich Gumpert, mit dem er bereits im Studium musiziert hatte, spielte er im Oktober 1973 in der frisch gegründeten Band Synopsis (später Zentralquartett) in Warschau auf der Jazz Jamboree. Die Gruppe hatte dort mit ihrer freien Interpretation des Jazz derartig Erfolg, dass in der Folge des Auftritts von einem Paradigmenwechsel des Jazz in der DDR gesprochen werden kann. Obwohl ihre Musik keineswegs mit den Idealen des sozialistischen Realismus vereinbar war, erwirkte sie durch ihre große internationale Anerkennung eine Toleranz von Seiten der ostdeutschen Kulturbürokratie und ermöglichte es Baby Sommer am Ende der 70er Jahre dank eines entsprechenden Reisepasses zu wichtigen internationalen Jazz-Festivals und in viele Länder der Welt zu reisen und dort aufzutreten.

Entscheidend für den Erfolg war seine musikalische Herangehensweise: „Für uns stand ‚free‘ für Freiheit in jede Richtung". Es wäre folglich falsch, ihn lediglich einen Schlagzeuger zu nennen. Treffender ist vielmehr Klangkünstler und Perkussionist, denn der vielseitig interessierte Musiker legt nach wie vor großen Wert auf die Nutzung verschiedenster Materialien und die Erweiterung seines Instrumentenschatzes. Neben diversen Pauken, Trommeln, Röhrenglocken und Glöckchen, Gongs, afrikanischen Kalimbas, Vibraphon, Hang, Hörnern und Orgelpfeifen gehören eine Reihe gesammelter und selbstgebastelter Gegenstände und Percussion-Instrumente zu seinem Schlaginstrumentarium. Durch Schlagen, Reiben, Rascheln, Pinseln, Akzentuieren, Streichen und Streicheln, mit Trommelstöcken, Besen oder den Händen entlockt er seinen Instrumenten Töne, Geräusche und Melodien, baut gezielt Pausen und Phasen der Stille ein und bewegt sich damit seit den 1970er Jahren jenseits der herkömmlichen Genres. Dazu gehört auch die für Jazzmusiker eher untypische Einbeziehung von mittelalterlichem Liedgut oder sein Projekt Songs for Kommeno, welches er einem 1943 von der deutschen Wehrmacht massakrierten Dorf in Griechenland gewidmet hat. Darin verbindet er orthodoxe Gesänge und griechische Folklore mit zeitgenössischen Spielpraktiken des Jazz. Er kontrastiert hier bewusst Tradition und Moderne und liefert mit diesem Projekt einen wichtigen Beitrag zur geschichtlichen und politischen Erinnerungskultur.

Hörzwang durch Spiel hinter dem Vorhang

Mit seinen Konzerten in der DDR-Jazzbühne Berlin und in der Westberliner Philharmonie sorgte er 1980 für Aufsehen und bewies, dass auch mit einem Schlagzeug ein Solokonzert gespielt werden kann. Bei diesem Konzert stellte er sein Hörmusik-Programm vor. Es wurde hinter geschlossenen Vorhängen gespielt. Das Publikum musste sich so voll und ganz auf das Hören konzentrieren. Dieses Programm hat Baby Sommer seither erweitert. Die Zusammenarbeit mit Schriftstellern wie Günter Grass, Christa Wolf und Christoph Hein, deren Texte er musikalisch gestaltete, oder mit dem Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge (Hörtheater), sind ebenso Teil seines Oeuvres wie die Integration der Hörmusik in Hörspielen. Zu seinem Repertoire gehören außerdem Filmmusiken und ein Werk für Chor und Kammerorchester. Seit über 20 Jahren spielt er gemeinsam mit französischen Musikern und ist regelmäßig auf Festivals im frankophonen Ausland zu hören, z. B. bei Europa Jazz Le Mans, D’Jazz de Nevers, Jazz à Mulhouse oder bei Banlieues Bleues.

Sommers gegenwärtige künstlerische Tätigkeit sind sein Solospiel, das Spiel im Duo mit seiner Frau, der Flötistin Katharina Sommer, seine internationalen Gruppen wie Baby Sommer Greek Connection, Baby Sommer Polish Connection, Baby Sommer Italian Connection und Baby Sommer French Connection mit dem Klarinettisten Sylvain Kassap und dem Bassisten Didier Levallet.

Sein umfangreiches Wirken wurde durch zahlreiche Kunstpreise (z. B. Pollwinner des Internationalen Jazzforums, Kunstpreis der DDR, Kunstpreis der Stadt Dresden) gewürdigt und schlägt sich in einer mehr als einhundertdreißig Schallplatten und CDs umfassenden Diskographie nieder. Seine Alben erschienen vor allem bei den Plattenfirmen FMP, Intakt und bei französischen Labels. Die Cover zieren häufig Werke befreundeter zeitgenössischer Maler und Grafiker wie Peter Graf, Jürgen Böttcher Strawalde, Gerda Lepke, A. R. Penck oder Klaus Dennhardt.

Von 1995 - 2010 bekleidete er die Professur für Drums und Ensemble an der Dresdner Musikhochschule Carl Maria von Weber. Er lebt und arbeitet in Radebeul bei Dresden. Im Jahr 2014 wurde er mit dem Film Als Mensch ein Solist gewürdigt. Über Günter Baby Sommer liegt eine umfangreiche Doktorarbeit vor.

 
Diskographie (Auswahl) :

- Touch The Earth (1979) – avec Wadada Leo Smith, Perter Kowald
- L’Arlesienne (1983) – avec Bernard Vitet, Sylvain Kassap, Didier Levallet
- Ascenseur pour le 28 (1984) – avec Ernst-Ludwig Petrowsky, Conrad Bauer, Ulrich Gumpert
- Rencontres (1985) – avec Louis Sclavis, Conrad Bauer, Philippe Deschepper, Gérard Marais
- Reunion (1987) – avec Conrad Bauer, Manfred Hering, Sylvain Kassap, Ulrich Gumpert, Didier Levallet
- Riobec (1988) – avec Cedil Taylor
- Cordes Sur Ciel (1990) – avec Sylvain Kassap, Didier Levallet
- BIB (1992) – avec Sylvain Kassap, Didier Levallet
- Mein Jahrhundert (2001) – avec Günter Grass
- Songs for Komeno (2001) – avec Savina Yannatou, Floros Floridis, Evgenios Voulgaris, Spilios Kastanis
- 11 Songs aus Teutschen Landen (2005) – avec dem Zentralquartett
- Wisdom in Time (2006) - avec Wadada Leo Smith
- Das donnernde Leben (2009) – avec Ulrich Gumpert
- Dedications (2013) – en solo
- Three Seasons (2014) – avec Michel Godard, Patrick Bebelaar

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