Design
Omas gewöhnliche Vase
Wenn Sie nicht gerade Expertin oder Experte für tschechoslowakisches Pressglas oder historische Gebrauchskunst sind, ist Ihnen der Name Rudolf Schröter bisher eher nicht begegnet. Sein Werk aber kennen Sie bestimmt, sind damit doch seit über einhundert Jahren Generationen von Tschechen, Slowaken, Polen, Serben und auch Deutschen aufgewachsen.
Von Tomáš Moravec, Goethe-Institut
Sie kennen das bestimmt – alle sind wir umgeben von Dingen, die wir für selbstverständlich erachten. Wir denken kaum darüber nach, ob sie uns gefallen oder nicht, diese Dinge gibt es einfach und sie sind Teil unseres Alltags. So zum Beispiel die ganz gewöhnliche Vase, die immer bei Oma auf der Anrichte stand. Oder die Trinkgläser aus gepresstem Glas in der Küche, von denen jeder zweite Haushalt ein volles Dutzend im Schrank hat. Oder das Serviertablett für kleine Häppchen, das versucht geschliffenes Glas zu imitieren – das alles ist doch nichts Besonderes? Irrtum! Manchmal genügt ein bisschen zu recherchieren und diese scheinbar unscheinbaren Alltagsgegenstände beginnen ihre eigenen, manchmal auch überraschenden Geschichten zu offenbaren. Wie etwa die Geschichte von Rudolf Schröter.
Eine dickköpfige Blüte und Geschäfte mit der Luftwaffe
Rudolf Schröter wurde am 3. April 1887 im sächsischen Freital geboren. Als ausgebildeter Zeichner arbeitete er später als Glasgestalter in Köln. Bereits als 25-Jähriger siedelte er nach Böhmen über in die Rudolfshütte in Eichwald bei Teplitz-Schönau (Rudolfova huť v Dubí u Teplic), wo er dank seiner Arbeit mit rasender Geschwindigkeit zu einem Star wurde. Wie ihm das gelang? Schröter verschaffte den Eichwalder Produkten einen unverwechselbaren Charakter und ein originelles Design: Er konzentrierte sich auf Pressglas und hob dessen Verarbeitung auf ein völlig neues Niveau.So zum Beispiel mit dem Entwurf eines legendären Glases von 1914, das unter den Namen „Durit“ bekannt wurde. Ganz genau, das dickwandige stoßfeste Glas, das wir aus beinahe allen Kantinen kennen, ist tatsächlich schon so alt. Das verbreitetste Modell war die „Květa“ von 1934, die von oben angeschaut tatsächlich an eine aufgegangene Blüte erinnert. Sie wurde das gesamte 20. Jahrhundert über produziert und ihre „Tochter“ können Sie heute für ein paar Euro unter dem Namen „Picardie Duralex“ kaufen.
Das „dur“ im Wort „Durit“ verweist angeblich auf eine Terminologie aus der Musik – auf die Tonart Dur, also eine harte Tonart. Durit wurde nämlich durch schlagartiges Abkühlen von glühendem Pressglas durch kaltes Öl erzeugt, was dem Material seine hohe Härte verschafft. Durit kann auf den Boden fallen, ohne kaputt zu gehen. Also natürlich nur, wenn diese Unfälle nicht allzu häufig geschehen, ansonsten fallen auch diese Gläser tatsächlich auseinander. Dies zeigte sich übrigens vortrefflich im Jahr 1940, als der damalige Leiter der Rudolfshütte Durit-Gläser für die Kantinen der deutschen Luftwaffe anbot. In dem Bemühen die Festigkeit seiner Gläser zu demonstrieren warf er eines von ihnen mit voller Kraft zu Boden. Das Ergebnis waren ein verdorbenes Geschäft und ein Haufen stumpfer Splitter... Zwar hatte er dies zuvor trainiert, hatte aber offensichtlich die innere Spannung vergessen, der das Material ausgesetzt ist: Die ersten Würfe hatten das Glas zwar nicht sichtbar beschädigt, das Material aber stand unter Spannung und ging deutlich geschwächt in die nächste „Runde“.
Europa, Totalität und Heimweh
Aber zurück zu Schröter. Nicht nur seine Gläser, auch andere seiner Produkte aus Pressglas fanden von den Dreißiger- bis Sechzigerjahren des 20. Jahrhundert eine derartige Verbreitung, dass sie heute in jedem zweiten Haushalt zu finden sind. Und dies nicht nur in der ehemaligen Tschechoslowakei, wo Schröter als Urvater des Pressglases gilt, sondern dank Schröters Schülern auch in Deutschland, Polen oder auf dem Balkan.Das 20. Jahrhundert brachte selbstverständlich nicht nur Erfolge für Schröters Produkte, sondern auch Turbulenzen für die Rudolfshütte und das persönliche Leben des Glasmachers. Für die jüdische Familie Inwald, der die Glashütte gehörte, bedeutete der Zweite Weltkrieg eine unfassbare Tragödie. In der Glashütte selbst wurden in den Jahren 1944 und 1945 Antipersonenminen aus Glas statt Gebrauchsglas hergestellt. Rudolf Schröter blieb auch nach dem Krieg in der Rudolfshütte – der Aussiedlung konnte er im Gegensatz zum Großteil der übrigen deutschsprachigen Glasmacher entkommen, war er für die tschechoslowakische Glasindustrie doch praktisch unverzichtbar. Er erlebte auch die Verstaatlichung „seiner“ Hütte, die er erst 1958 verließ, als er – im Alter von 71 Jahren – in Rente ging.
Der Rest ist eine unvollendete Geschichte. Schröters jüngere Mitarbeiter erinnern sich, dass der alte Meister nicht in der Nachkriegstschechoslowakei sterben wollte. Möglich ist, dass er zurück in seine Geburtsstadt Freital ging; diese liegt kaum 50 km Luftlinie von der Rudolfshütte entfernt. Wir wissen heute nicht, wann und wo Rudolf Schröter starb. Wir wissen nicht einmal, ob er nach seiner Pensionierung an weiteren Mustern gearbeitet hat. Sogar seinen Namen schreiben die meisten falsch: Obwohl man meistens die Schreibweise „Schrötter“ finden kann, hat er selbst mit einem „t“ weniger unterschrieben…
Wir wissen nur, dass wir hunderte seiner Entwürfe in Form hunderttausender Vasen, Krüge, Gläser, Tabletts, Schüsseln und Dosen bis heute täglich in die Hand nehmen, ohne den Namen ihres Schöpfers zu kennen.