Science-Fiction
In anderen Welten
Von freundlichen Marsianern, künstlichen Intelligenzen auf Verbrecherjagd und einer bolschewitischen Revolution in der Schweiz: Zehn deutschsprachige Science-Fiction-Romane, die man kennen sollte.
Von Sascha Mamczak
Deutschland hat eine große und weit zurückreichende Science-Fiction-Tradition: Der Traum (1634) von Astronom Johannes Kepler war die erste Erzählung überhaupt, die eine Weltraumreise wissenschaftlich fundierte, E.T.A. Hoffmann imaginierte in Der Sandmann (1816) den ersten künstlichen Menschen und Fritz Lang hob mit Metropolis (1927) den Science-Fiction-Film erstmals auf ein künstlerisches Niveau. Trotzdem hat man sich hierzulande mit Science-Fiction (SF) immer etwas schwergetan, was vor allem daran lag, dass die zwölf Jahre Nazi-Herrschaft diese Traditionslinie in den 1930er-Jahren unterbrochen haben. In der Nachkriegszeit war in Deutschland fast ausschließlich amerikanische SF populär. Mit der Heftserie Perry Rhodan versuchte man dem Anfang der 1960er-Jahre nachzueifern. Perry Rhodan erscheint heute immer noch, aber die deutschsprachige Science-Fiction hat natürlich viel mehr zu bieten.
Kurd Lasswitz: Auf zwei Planeten (1897)
Die Geschichte über den Erstkontakt mit den Marsianern erschien fast gleichzeitig mit H. G. Wells’ Der Krieg der Welten, aber mit einem völlig anderen Impetus: Lasswitz ging es um Frieden und Versöhnung zwischen den beiden Planeten. Ein zeitloser Klassiker vom „Vater der modernen deutschen Science-Fiction“: nach Kurd Lasswitz ist auch der wichtigste deutsche SF-Preis benannt.
Arno Schmidt: Die Gelehrtenrepublik (1957)
Bevor er sich für sein Opus Magnum Zettel’s Traum in seinem Zettelkasten vergrub, schrieb Arno Schmidt diese irre postapokalyptische Groteske, in der Europa durch einen Atomkrieg unbewohnbar geworden ist und ausgewählte Intellektuelle auf einer schwimmenden Insel im Pazifik ihre eigene kleine Welt verwalten dürfen – und dabei scheitern.
Wolfgang Jeschke: Der letzte Tag der Schöpfung (1981)
Wolfgang Jeschke, langjähriger Herausgeber der SF-Reihe des Heyne Verlags und selbst mehrfach preisgekrönter SF-Autor, schickt seine Held*innen fünf Millionen Jahre in die Vergangenheit, wo sie um die Energieressourcen der Gegenwart kämpfen müssen. Ein Buch, das einem in jeder Hinsicht den Boden unter den Füßen wegreißt. Einer der besten Zeitreiseromane aller Zeiten.
Angela und Karlheinz Steinmüller: Andymon (1982)
Es ist einer der bedeutendsten SF-Romane der untergegangenen DDR – und ein Beweis dafür, wie subversiv Science-Fiction als Utopie wirken kann: Denn die neuen Welten, die die von einem Raumschiff aufgezogenen Jugendlichen in diesem Buch errichten, gehorchen nicht dem Programm einer Partei, sondern der Realität – auch wenn es die Realität eines anderen Planeten ist.
Carl Amery: Das Geheimnis der Krypta (1990)
Carl Amery war der bayerischste aller deutschen SF-Autoren, aber er schrieb keine provinziellen Romane, ganz im Gegenteil: Mehr Welt kann man kaum zwischen zwei Buchdeckel packen. Das Geheimnis der Krypta ist eine von Wissen und Weisheit nur so strotzende Parabel über den Fortschrittswahn. Hätte Umberto Eco SF geschrieben, wäre er diesem Buch wohl ziemlich nahegekommen.
Andreas Eschbach: Die Haarteppichknüpfer (1995)
Bisher hat Deutschland keinen nationalen SF-Champion hervorgebracht – wie es etwa Isaac Asimov in den USA war –, aber sollte einmal jemand für diese Rolle benötigt werden, wäre Andreas Eschbach mein Kandidat. Die Haarteppichknüpfer war sein erster Roman: ein Abenteuer auf einem fernen Planeten, der so fern dann doch nicht ist – mit einer Pointe, die sich nur ein Eschbach ausdenken kann.
Christian Kracht: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (2008)
Ein bedeutendes, aber in der deutschsprachigen Literatur nur selten verwendetes SF-Motiv ist die Alternativwelt, also ein Gegenwarts- oder Zukunftsszenario, das aus einer veränderten Vergangenheit resultiert. In Krachts Roman ereignet sich die bolschewistische Revolution nicht in Russland, sondern in der Schweiz – mit wahrlich grotesken Folgen für die Welt.
Dietmar Dath: Pulsarnacht (2012)
Was wäre, wenn ... eines Tages alles anders wäre? In Pulsarnacht kommt Science-Fiction als kosmisches und politisches Gedankenexperiment daher, das niemand mit einer solchen intellektuellen Verve schreiben kann wie Dietmar Dath. Der FAZ-Journalist produziert Romane und Sachbücher wie am Fließband, aber jede seiner Geschichten funkelt und glänzt auf ihre ganz eigene Weise.
Tom Hillenbrand: Drohnenland (2014)
Weshalb dieses Buch als „Kriminalroman“ verkauft wird und nicht als Science-Fiction, ist ein Rätsel, das nur der Verlag lüften kann. Okay, es gibt einen Mord, aber der Rest des Romans ist Science-Fiction pur, denn im Europa der nahen Zukunft machen künstliche Intelligenzen Jagd auf die Verbrecher*innen. Das Problem ist nur: Diese künstlichen Intelligenzen können manipuliert werden.
Sibylle Berg: GRM – Brainfuck (2020)
Die Zukunft: ein soziales, politisches und geistiges Trümmerfeld. Wir haben uns angewöhnt, ein solches Szenario dystopisch zu nennen, aber so einfach macht es sich Sibylle Berg nicht, denn manches in der Welt muss eben erst einmal kaputt gehen, um Platz für etwas Neues, Besseres zu schaffen. Ein so verstörender wie berührender Text, deutsche Science-Fiction auf Speed.