Goethes Pfadfinder
Bloß nicht mit Ketchup!
Eine Pionierin und Dackel-Liebhaberin besuchte die Krönung der Weiβwurstkönigin.
Von Miroslava Tolarová
In der Regel mag ich Würste, also warum sollte man sich nicht auf den Weg zu den echten, weißen, bayerischen machen? Vor allem, wenn sie in Verbindung mit der Wahl zur „Königin der Weißwürste!“ stehen. Laut Titel und einer kurzen Beschreibung klingt es nach einem sehr komödiantischen Event. Also fahre ich mit meiner Freundin Bara in das bayerische Bodenmais und wir freuen uns auf das Essen und ein bisschen Vergnügen.
Wir parken, ich schalte den Motor aus und weiß sofort, dass wir hier richtig sind. Selbst durch das geschlossene Fenster höre ich die bayerische Blasmusik. Als wir zu dem Platz kommen, singt sogar eine Gruppe von Menschen vor der Bühne. Ich versuche die Situation zu überblicken – der Platz ist komplett mit Bänken und Tischen gefüllt, einen freien Platz zu finden ist eine Herausforderung. Herrgott, sind das wirklich eine aufblasbare Wurst und eine Brezel? Ich frage mich, ob ich je etwas Seltsameres gesehen habe. Damit muss ich mich einfach fotografieren lassen ... Das übertrifft sogar den Thron, der hier ausgestellt ist. Roter Überzug, goldene Armlehnen und ein Triumphbogen, der mit Bändern, Miniwürsten und Brezeln dekoriert ist.
Ich schaue mir also die Stände an. Würste, Senfpröbchen, Bier ... Das kann warten, mich fasziniert ein Stand mit verschiedenen Kuchen und Torten. Mit Schokolade, Eierlikör, Walnüssen, Kirschen – wer die Wahl hat, hat die Qual. Es scheint, dass einige Frauen sich einfach zusammengetan haben, gebacken haben und das jetzt hier verkaufen. Tolle Idee, die Torten sind unglaublich und man kann einfach nicht widerstehen. Hierher müssen wir nochmal zurückkommen.
Ein etwas anderes Königreich
Schon lange vor der Wahl ist klar, dass etwas Ähnliches stattfinden wird. Auf mehreren Tischen gibt es Banner zur Unterstützung der Kandidatinnen. Monika, Julia und Bianca werden es offensichtlich einfacher haben als die anderen Kandidatinnen.Um Punkt zwei Uhr kommt der Moderator Wolfie und begrüßt kurz darauf Steffi auf der Bühne, die Weißwurstkönigin des vergangenen Jahres. Es ist ihr letzter Tag in der Rolle der Königin und sie dankt für das, was sie alles in diesem Jahr erleben durfte. Sie dankt ihrer Familie und dem König der Weißwürste. Was? Es existieren wirklich König und Königin? Verdammt, es sieht echt so aus, als meinten sie es hier wirklich ernst. Und als Steffi danach tatsächlich gerührt ist und sich ihre Stimme bei einem Teil der Rede vor Emotionen überschlägt, begreife ich erst richtig, dass diese Veranstaltung nicht ironisch gemeint ist. Wenn ich es richtig verstehe, wird die Königin Bayern und die Weißwürste auf weiteren Veranstaltungen repräsentieren. Okay, also los geht’s.
Die Jury kommt auf die Bühne und beginnt langsam mit der Vorstellung der einzelnen Kandidatinnen. Die erste, zweite, dritte ... insgesamt sechs Mädchen im Dirndl – der Volkstracht, die die Vorzüge der Damen zum Vorschein bringt. Kein Wunder, dass die Männer Trachten und vor allem Dirndl so lieben. Ursprünglich haben sich sieben Mädchen angemeldet, aber eine ist nicht gekommen. Vielleicht hat sie festgestellt, dass sie Weißwürste eigentlich überhaupt nicht mag … ;-)
Ein Mädchen kommt aus Köln, eine andere hat ihre Wurzeln in Kanada, eine mag Skifahren, die zweite ist Metzgerin, eine andere fährt gerne Inline Skates. Es gibt wirklich einige, die es sehr ernst nehmen. Als die Kandidatin Monika auf die Bühne gerufen wird, donnert es auf dem Platz. Applaus, Pfeifen, Glocken, Geklingel ... Aha, sie scheint also von hier zu sein. Was auch immer sie sagt, die Tische unter der Bühne feuern sie an.
Vielleicht hätte ich auch gelacht, aber während den Vorstellungen und Interviews mit den verschiedenen Mädchen erkenne ich, dass ich viele Jahre vollkommen umsonst Deutsch gelernt habe. Ich verstehe einfach nix. Besser gesagt, Deutsch könnte ich verstehen, aber Bayerisch habe ich nie gelernt. Ich kann überhaupt nicht folgen und denke, dass der Moderator und die Kandidatinnen eine ganz andere Sprache sprechen, wo nur gelegentlich ein einzelnes deutsches Wort durchsickert.
Würstchen für Fortgeschrittene
Eine weitere Wettbewerbsdisziplin ist ein Quiz über Weißwürste – was sonst! Wo wurde der spezielle Senf erfunden? Warum ist die Wurst weiß? Welche Gewürze kommen hinein? Ich weiß jetzt, wie man sie richtig serviert, und dass ich sie nie in Supermärkten kaufen darf, sondern immer nur beim Metzger. Nun, wenn so viele von ihr schwärmen, werde ich sie mal probieren.Auf dem Teller befinden sich ein Paar Würstchen, dicker als die, die ich gewohnt bin, dazu bekomme ich groben Senf und eine Brezel. Nur eine? Na gut, Tradition ist Tradition. Ich beiße also hinein und – bin verblüfft. Irgendwie ist die Wurst ganz anders als die, die ich gewohnt bin. Kein gebratener Leckerbissen. Die Wurstpelle lässt sich nicht einmal wirklich schneiden, weil sie nicht knackig ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich woanders Bratwurst und nicht Weißwurst esse! Aber was ist das? Das ist kein grober Senf, er ist süß! Wow, das ist so anders als erwartet; das esse ich zum ersten Mal in meinem Leben ... Ich gestehe, geschmacklich ist die Wurst nicht so schlecht, aber man muss sie noch im heißen Zustand essen. Das Ende der zweiten Wurst ist bereits kalt geworden und dann schmeckt sie wirklich nicht mehr so gut. Die Brezel ist allerdings fantastisch. Das sollte mal jemand bei uns anfangen zu backen ...
Aber zurück auf die Bühne. Eine weitere Disziplin bahnt sich an. Und hinter der Bühne ein ordentlicher Regen. In dem Moment, in dem die Mädchen versuchen, Buchstaben zum Zusammenpuzzeln merkwürdiger bayrischer Wörtern von den Zuschauern einzusammeln, versuchen eine Menge Leute ihre Regenschirme, Planen und ähnliche Dinge zu suchen und zu verteilen, denn auf einmal fliegen solche über den ganzen Platz. Für eine Weile regnet es so stark, dass auch das Programm unterbrochen wird. Aber nur für einen Moment.
Das bayrische Schneewittchen
Dann ist es auch schon Zeit für die abschließende Bewertung. Wolfie, selbst in typischen Lederhosen mit Zugbrückenhosenschlitz, lässt alle Damen noch mal auf die Bühne treten. Ihre verzierten Dirndl sind wirklich schön. „Das ist wie Schneewittchen und die sieben Zwerge, aber irgendwie umgekehrt. Ein fast zwei Meter großer Zwerg und sieben Schneewittchen, also wenn die letzte Kandidatin auch gekommen wäre“, stellt Bara fest und ich lache voller Zustimmung. Die Vorstellung trifft absolut zu. Drei Mädchen schickt Wolfie sofort wieder von der Bühne, die restlichen sind die Finalistinnen. An ihren Gesichtern kann man die Spannung förmlich ablesen. Zack, eine weitere muss gehen. Es bleibt der lokale Favorit Monika und Christin, ein sympathisches Mädchen, das in der Metzgerei ihren Eltern arbeitet.Die Anspannung ist sowohl in den Gesichtern der beiden Kandidatinnen spürbar sowie bei allen, die trotz des Regens auf dem Platz geblieben sind. Und ich muss zugeben, dass auch ich neugierig bin und in der Tat das Ergebnis mit Spannung erwarte. Tatadataa! Die neue Königin der Weißwürste (auf Tschechisch klingt es noch viel merkwürdiger als auf Deutsch) ist Christin. Umarmungen, Glückwünsche, Blumen, Thron und Krone folgen. Wenn ich nichts von den Würstchen und Brezeln am Triumphbogen wüsste, würde ich denken, dass es einfach eine regionale Runde eines klassischen Schönheitswettbewerbs wäre. Bis zu dem Moment, indem Christin ihr Zepter bekommt. Ein Zepter mit einer Wurst obendrauf...
Sooo, die Titel wurden vergeben, hurra, dann noch schnell eine Torte. Zu unserem Pech sind alle ausverkauft, dafür kamen Bara und ich zu spät. Also kaufen wir uns zumindest eine klassische Wurst (d.h. Bratwurst) im Brötchen und eine Brezel. „Nächstes Jahr kommen wir wieder, oder?“ sagt Bara auf dem Weg zum Auto. Ähm, ja, was soll ich da antworten? Am besten mit den Worten des tschechischen Klassikers Jara Cimrman: Es war zwar schön, aber, ob ich es nochmal sehen muss ... Ich weiß jetzt aber, dass es die größte Grausamkeit ist, sich eine Weißwurst mit Ketchup zu bestellen. Ich schwöre, dass ich dies wirklich nie tun werde! Indianerehrenwort!