Goethes Pfadfinder
Glanz und Elend der Kurtisanen
Eine böhmische Buchhalterin wurde auf eine begleitete Tour durch Hamburg: Sex & Crime auf St. Pauli geschickt – fürwahr ein wenig weihnachtliches Thema!
Von Milada Servítová
Ehe man sich versieht vergeht das Jahr wie im Fluge und es ist schon wieder Weihnachten. Für manchen bedeutet das Hektik und Stress, für mich aber nach Deutschland zu reisen und Neues zu entdecken. Dieses Jahr schickt mich das Goethe-Institut auf eine begleitete Tour durch Hamburg: Sex & Crime auf St. Pauli – fürwahr ein wenig weihnachtliches Thema!
Hamburg ist mehr als Hafen und große Ozeandampfer, Hamburg ist auch die bekannte Reeperbahn auf Sankt Pauli, das bekannte Zentrum des Nachlebens. Man nennt sie auch “die sündige Meile” und sie ist der wohl einzige Ort in Deutschland, wo Prostitution erlaubt ist. Und um dies nicht zu vergessen – in den hiesigen Clubs hat eine Gruppe langhaariger Halbstarker ihre Musikkarriere begonnen, später wurden sie unter dem Namen The Beatles gefeiert.
MIT EMILY AUF DIE SÜNDIGE MEILE
Also dann, wie sieht so ein Spaziergang über die sündige Meile aus? Stellen Sie sich ein verrufenes Viertel vor, es ist zehn Uhr am Abend und die Tourleiterin Emily begrüßt unsere kleine Gruppe (etwa 15 Leute). Interessanterweise macht die Mehrheit unserer Gruppe Paare aus – von den jüngsten um die 18 Jahre bis zu zwei älteren Rentnerpaaren. Ich habe meinen Sohn Martin bei mir, der dieses Jahr 18 geworden ist und diese Unternehmung ist auch ein bisschen mein Weihnachtsgeschenk für ihn.Wir erfahren, wie die Straße eigentlich ihren Namen bekommen hat. Auch wenn „Reeper“ fonetisch bei mir die Assoziation mit Jack the Ripper weckt – die späte Stunde und Anwesenheit der Prostituierten sprächen für diese Theorie – ist dem natürlich nicht so. In der Hafenstadt Hamburg brauchten die Matrosen ständig eine große Menge von Tauen, also gedrehte Seile, und die Herstellung dieser langen und starken Tauwerke (und die man früher „Reeper“ nannte) erforderte eine Menge Platz. So entstand die Reeperbahn, also eigentlich eine „Straße für die Reeper“, und diese Bezeichnung blieb schließlich bestehen. Wir sind aber vor allem gekommen wegen – ja, es ist so, wenn auch einem rein ethnografischen Blickwinkel – der Prostituierten. Von denen gibt es hier gelinde gesagt viele. Jede Straße auf Sankt Pauli hat ihre eigenen Preise, und das, was die Mädchen in der einen im Monat verdienen, schaffen die Mädchen in einer anderen in einer Nacht. Ansonsten kann man den Preis an ihrem Aussehen und Auftreten erkennen, die weniger zurechtgemachten und vulgären sind natürlich billiger. Emily erläutert uns die Geschichte dieses Ortes und einige ortsübliche Gepflogenheiten. So gibt es einen Teil, in dem man nichts bei sich haben darf, was an ein Messer erinnert, ansonsten erhebt die Polizei erbarmungslos eine Strafe von bis zu 500 Euro und das Messer wird beschlagnahmt. Die anwesenden „Sozialarbeiterinnen“ nehmen uns kaum wahr – an die Touren sind sie bereits gewöhnt und sie wissen, dass unsere Gruppe nicht unbedingt zu ihrer Klientel gehört.
VOR ALLEM SICHERHEIT
Nochmals zur Polizei – durchschnittlich umfasst diese in einem Hamburger Ortsteil plus minus fünf Polizisten, hier sind es unglaubliche 140. Die Kriminalität hier ist hoch und es verwundert kaum, dies war immer so. Früher waren es vor allem die Seeleute, die von langen Fahrten zurückgekehrt sind und die ihre ersten Schritte auf dem Festland zum Amüsement führten. Alkohol und Trunkenheit taten ihr Übriges. Heute werden die Matrosen durch Touristen ersetzt, das Prinzip aber bleibt das gleiche – die wie auch immer geartete Überzeugung, dass hier alles geht.Es kommt der Höhepunkt – wenigstens für Martin und mich: eine Gasse nur für Männer. Emily fordert die Männer auf, allein durch die Gasse zu gehen, Frauen dürfen die Straße nicht betreten, und versichert uns, dass wir uns am Ende wiedertreffen, weil wir Frauen einen anderen Weg nehmen würden. Die anwesenden Männer verunsichert sie und sie schließen ihre Reihen, am Ende aber siegt die Neugierde und die Hälfte unserer Gruppe traut sich in die Straße. Von Martin weiß ich, dass es dort Schaufenster wie in Amsterdam gibt, hinter denen die Prostituierten ihre potenziellen Kunden mit einflussreichen Bewegungen zu sich locken. Also zu sich – oben gibt es vorbereitete Zimmer, die für Privatsphäre sorgen. Laut Emily bleibt den Mädchen etwa 10 Prozent von dem, was sie von ihren Klienten bekommen und den Rest geben sie ab für den Unterhalt des Gebäudes und die Pflege ihres Äußeren. Von den übrigen 90 zahlen sie also Miete, Reparaturen am Haus, aber auch ärztliche Untersuchungen, Pediküre und etwa auch Massagen und die Rentenversicherung. Nun, sie haben es nicht leicht, die leichten Mädchen.
Hier endete unsere Tour und die meisten der Paare machten sich noch auf, allein durch das Viertel zu schlendern und in irgendeiner Bar ein oder zwei Bier zu trinken. Wir aber steuerten bereits auf unser Hotel zu, Abenteuer ja, aber übertreiben sollte man es auch nicht.
Um die Reportage komplett zu machen, muss ich noch die morgendliche Zugfahrt erwähnen. Während bei Nacht auf St. Pauli überall die Lichter und Hochglanzwerbetafeln leuchten, erblickt man am Morgen genau das Gegenteil. Aus dem nächtlichen Glanz wird das Trübsal des morgendlichen Katers. Wir haben Trunkenbolde gesehen, die auf den Bänken herumlagen, Prostituierte mit Zigaretten und abwesendem Blick, die ihren ersten morgendlichen Kaffee tranken, während ihnen die Schminke über das müde Gesicht lief. So hat alles das Seine oder wie meine Großmutter immer sagte – Jedem nach seinem Gusto. Der Einblick in das verrufene Viertel der Hansestadt war für mich eine interessante Erfahrung und ich habe sicher viel erfahren, für eine gewisse Zeit reicht es mir aber auch. Nächstes Mal machen wir uns auf den Weg zu irgendeiner ruhigen deutschen Burg oder einem Schloss, oder ruhig auch wieder nach Hamburg, dann aber lieber zur Modelleisenbahn oder in den Hafen.