Im Gespräch mit
Barbara Maria Willi

Foto: Richard Procházka

1) Was ist für Sie „typisch tschechisch“?
An der Oberfläche betrachtet fallen mir Dinge ein wie Essen (Schweinebraten, Kraut und Knödel) und Trinken (die berühmten Brauereien); Bilder von Prags Türmen, von Mährens Schlössern und Weinbergen. Ein zweiter Blick offenbart innere Haltungen, symbolisiert durch die Figuren vom braven Soldaten Švejk (passiver Widerstand) oder der rätselhaften Persönlichkeit eines existierenden-nicht existierenden Jára Cimrman (tiefsinniger Humor und die Möglichkeit der Flucht in die Phantasie). Typisch tschechisch ist für mich auch eine indirekte Kommunikation, in der man den anderen nicht brüskieren will, gleichzeitig voraussetzend, dass der andere weiß, dass „ja“ nicht immer „ja“ heißt und „nein“ nicht immer „nein“.

2) Was ist für Sie „typisch deutsch“?

Typisch deutsch ist für mich eine direkte, manchmal harte Kommunikation. Der Hang, in Extreme zu verfallen: beispielsweise von einer autoritären, ideologischen Erziehung zum totalen Gegenteil einer pluralistischen, anti-autoritären Erziehung.

3) Welchen Einfluss übt Tschechien auf Ihr Schaffen oder Ihr Leben aus?

Der Einfluss von Tschechien auf mein Leben und Schaffen ist immens, weil ich schon zwanzig Jahre hier lebe. Meine Träume sind häufig auf Tschechisch und mein Freundeskreis ist vorwiegend tschechisch. Ich habe meine Doktorarbeit über Generalbass dem tschechischen und mitteleuropäischen Gebiet gewidmet, ich habe eine Konzertreihe und bin Dramaturgin eines Festivals in Tschechien. Ich habe ein Studienprogramm in Tschechien konzipiert und war drei Jahre lang Mitglied einer Kommission des tschechischen Kulturministeriums. Meinen akademischen Titel habe ich aus den Händen des tschechischen Präsidenten Václav Klaus erhalten. Kurz und gut, Tschechien ist meine zweite Heimat geworden und manchmal komme ich in die Lage, den Stolz dieses Landes in anderen Ländern, auch in Deutschland, zu verteidigen…

4) Mit wem in Tschechien würden Sie gerne einen Tag tauschen?

Ehrlich gesagt würde ich mit niemandem gerne einen Tag tauschen. Ich genieße mein Leben.

5) Was verbindet Ihrer Meinung nach Deutsche und Tschechen?

Meiner Beobachtung nach verbindet Tschechen und Deutsche mehr, als sich beide Seiten zugestehen wollen: Ein gewisser Hang, Dinge ernst zu nehmen, das Bedürfnis nach Qualität, die „Häusle-Bauen“-Mentalität, die Erfahrung ein Durchgangsland zu sein, ein bestimmter Ehrgeiz, etwas erreichen zu müssen.

6) Was war Ihr schönstes Erlebnis in Tschechien?

Ich bin dankbar für eine tolle Eigenschaft der Tschechen: die unendliche Geduld, die Tschechen mit Fehlern haben, die wir armen Ausländer ihrer schönen Sprache antun. Die Komplimente und die tatkräftige Unterstützung beim Lernen waren ein tolles Erlebnis.

7) Was war Ihr unerfreulichstes Erlebnis in Tschechien?

Ich kann mich immer noch nicht mit der Rechtsunsicherheit in Tschechien abfinden. Ich bin im Januar überfallen worden, der Täter ist bekannt und bis heute hat sich nichts getan…

8) Haben Sie einen Lieblingsort in Tschechien?

Ich liebe die Kirche auf dem sogenannten Grünen Hügel in Žďár nad Sázavou, die Santini erbaut hat.

9) Auf was könnten Sie in Tschechien gerne verzichten?

Auf die schlechten Wegbeschilderungen und die immer noch heruntergekommenen Züge und Busse.

10) Welche Gewohnheit oder Idee aus Tschechien würden Sie gerne in Deutschland übernehmen?

Dass sich die Leute ihre Schuhe ausziehen, wenn sie in eine Wohnung oder ein Haus eintreten, finde ich genial.
 

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