Jitka Nešporová über die Übersetzung von Norbert Scheuers
Winterbienen.
Nur wenige zeitgenössische Romane werden von zwei Dutzend Seiten mit verschiedenen Metatexten begleitet, die der Autor selbst verfasst hat. Die Autoren fiktionaler Welten geben oft zu, von realen Ereignissen inspiriert worden zu sein, die ehrlicheren geben Zitate an, und dann wird das Kunstwerk in den Köpfen der Leser und in den Überlegungen der Interpreten oder Literaturpublizisten lebendig, die Verbindungen aufspüren und erfinden, spekulieren und verschiedene versteckte Anspielungen interpretieren. Es liegt zweifellos im Ermessen des Autors, ob er den "Text an sich" in die Welt hinausschickt oder ob er ihn mit Anmerkungen, Erläuterungen und Kommentaren versieht. Immerhin – der Leser kann sie dann im Buch überspringen. Wer sich das keinesfalls herausnehmen kann, ist der "ideale Leser", d.h. der Übersetzer oder die Übersetzerin, der bzw. die dann als Suchende:r nach einem Äquivalent in der Zielsprache die Rolle des neuen Texterstellers übernimmt.
Ein Roman mit Apparat
Der deutsche Schriftsteller Norbert Scheuer hat seinen Roman Winterbienen (2019, tsch. 2021) mit einem ausführlichen Anmerkungsapparat versehen. Dem Buch ist ein erklärender Text vorangestellt, in dem der Autor die Motive und Gründe zusammenfasst, die ihn zum Schreiben des Romans veranlasst haben: Er wurde von Einheimischen eingeladen, die Geschichte eines Landsmannes nachzuerzählen, der während des Zweiten Weltkriegs Juden rettete, indem er sie in Bienenstöcken zur belgischen Grenze transportierte. Der Mann führte ein Tagebuch, das Norbert Scheuer aufbewahrte und das auch im Buch erwähnt wird, als Teil einer Liste von Literatur, Filmen und anderen Informationsquellen, die er während seiner Recherchen für den Roman studierte. Ein separater Punkt ist ein Verzeichnis der belegten lateinischen Zitate – und der Autor merkt außerdem an, dass er offenbar unbewusst eine Reihe von uneingestandenen Verweisen auf andere literarische Werke in den Roman eingewoben hat und dankt seinen Lesern im Voraus dafür, dass sie diese Detektivarbeit übernommen und bestimmte Fälle aufgedeckt haben.
Die zwölf lateinischen Zitate erscheinen im Roman im Original, aber der Autor kommt seinen Lesern entgegen – er gibt die deutsche Übersetzung sofort in einer Fußnote an und wiederholt und ergänzt die Quelle des Zitats am Ende des Buches. Ähnlich freundlich geht er mit seinen Lesern um, wenn er einige Fachbegriffe oder Dinge erklärt, die im Roman eine wichtige Rolle spielen. Am Ende des Buches finden die Leserinnen und Leser ein Glossar, in dem zum Beispiel folgende Einträge zu finden sind: Konfiteur, Kamm, Winterhilfswerk, Hausierer, Jupp, Abkommandierung, Urbarium, Würzburg-Radar.
Bienen, Bergleute, Piloten und Kleriker
So führt der belesene Autor mit Hang zum Akribischen den Leser in die Funktionsweise des Superorganismus Biene (und da es sich um die Tagebuchaufzeichnungen eines Imkers handelt, versteht es sich von selbst, dass der Imker alles fachgerecht benennen kann und alle Zusammenhänge versteht), in die Morphologie der Landschaft im ehemaligen Bergbaugebiet (die er als Einheimischer genau kennt) und in das System der Schächte, der unterirdischen Gänge, Höhlen und Grotten, die er nutzt, um Flüchtlingstransporte zu organisieren), Kriegstechnik (da der Bruder des Erzählers ein erfolgreicher Luftwaffenpilot ist und sich beide Brüder seit ihrer Kindheit für Raumfahrt und Flugzeuge interessieren), aber auch in die regionalen und zeitgenössischen Begriffe, die in der Eifel während des Zweiten Weltkriegs verwendet wurden (der bereits erwähnte Jupp oder der Goldfasan) und die Erscheinungsformen der Epilepsie (an der der Protagonist leidet und somit aus eigener Erfahrung berichtet) ein. Diese Koordinaten markieren die Gegenwart des Erzählers, d. h. die Mitte der 1940er Jahre, als der Zweite Weltkrieg seinen Höhepunkt erreicht.
Der Erzähler der Geschichte ist ein Lateinlehrer an einem Gymnasium, der seine Sprachkenntnisse nutzt, um lateinische Fragmente zu übersetzen, die im 15. Jahrhundert von seinem Vorfahren, dem Mönch Ambrosius, aufgezeichnet wurden. Der Lehrer sucht in der örtlichen Bibliothek nach seiner Geschichte und stößt dabei auf die spannende Geschichte der Rettung des Herzes von Kardinal Nicolaus Cusanus, der auf dem Weg nach Ancona, Italien, starb. Norbert Scheuer verwebt die Übersetzungen der lateinischen Fragmente mit der Haupthandlung des Romans – und lässt den Leser in der archaischen Sprache der mittelalterlichen Dokumente schwelgen.
Jedes Wort zählt
Beim Lesen fließt alles leicht dahin, und jeder Satz, jedes gewählte Wort klingt natürlich, der Leser vermisst selten einen Ausdruck, dessen ungefähre Bedeutung sich nicht aus dem Kontext ergibt. Neben den angedeuteten Themen gibt es natürlich wie in jedem guten Roman viel Raum für Liebe und "Stille" zwischen den Zeilen. Damit meine ich eine gewisse schriftstellerische Disziplin: Der Roman ist trotz seiner großen Motivfülle relativ unartikuliert, die Tagebucheinträge sind kurz, und obwohl sich die Handlung des Romans vor dem Hintergrund von Alltagsbeschreibungen entwickelt, stört die Wiederholung nicht, weil sie nur angedeutet wird. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein hat, füllen die fast dreihundert gedruckten Seiten nur etwa 150 Standardseiten an Text.
Es kommt also auf jedes Wort an, hier geht nicht viel in der Übersetzung verloren. Die entscheidende Wahl eines angemessenen Äquivalents findet typischerweise auf Wortebene statt (wie im Fall der Kriegslexik, der Bergbau- oder Bienenzuchtterminologie), betrifft aber auch die Morphologie, die Wortstellung und den allgemeinen Ton des Textes, um die Sprache der lateinischen Originalfragmente zu archaisieren. Wörterbücher sind in einem solchen Fall unzureichend; die einzige und unschätzbare Hilfe kann dann von Experten geleistet werden, die mit dem Thema vertraut sind.
Lob für Expertenwissen
Ich möchte mich noch einmal bei Doz. Robert Adam, der sich als langjähriger Hochschullehrer an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität u. a. mit der Morphologie des zeitgenössischen und älteren Tschechisch beschäftigt, bedanken, er hat die übersetzten Passagen mit den Notizen des Mönchs Ambrosius wiederholt gelesen und kommentiert. Ich bat Dr. Martin Pokorný und Ladislav Kylar um Rat zur "Qual der Wahl", unter anderem bei der Wahl des Namens des mittelalterlichen Denkers und Kardinals Nicolaus Cusanus, der auch als Nicolaus von Kusa/Cues oder Kusánus/Cusanus bezeichnet wird, während Kristina Hellerová, Jan Lukavec und Milena Přecechtělová mir bei der Suche nach lateinischen Zitaten in den tschechischen Ausgaben der Klassiker halfen. Michael Rund, Direktor des Museums in Sokolov, half mir zusammen mit weiteren Bergbauexperten in zahlreichen Telefongesprächen und E-Mails, die ruhrgebietsspezifischen Fördertürme und Grubenbaue adäquat zu benennen. Die Besatzung des Flugzeugs korrekt als Crew (und nicht als Besatzung) zu bezeichnen, die Möglichkeit zu haben, die Motor- und Bewaffnungsvarianten des Flugzeugs zu verifizieren, dessen detaillierte technische Beschreibung von dreizehn Illustrationen des Sohnes des Autors, Erasmus Scheuer, begleitet wird, oder im Roman solche Wendungen wie das Alter des Wehrpflichtigen, die Begradigung der Front, die leichten Flugbahnen der Leuchtspuren anzuwenden – das verdanke ich der Fachkompetenz von Dr. Jiří Rajlich, dem Direktor der Abteilung für Geschichte und Dokumentation des Militärhistorischen Instituts. Großer Dank gebührt der Familie Pardus, namentlich dem Imker Ivo, der mit mir alle Kapitel und Abschnitte durchging, die sich mit dem zentralen Thema des Buches befassen: Bienen und Imkerei. Und was oft vergessen wird: Ein großer Teil der Arbeit an jedem Buch wird von der Lektorin geleistet; für ihre sorgfältige Lektüre und ihr unermüdliches Einfordern einer treffenderen Übersetzung danke ich Marta Eich.
Der Roman Zimní včely (Winterbienen) erschien 2021 als erster Band der Edition Zeitgenössische Prosa der Welt im Verlag Prostor. Möge er auch Ihnen gefallen!