Kinder- und Jugendbuch
Oh, wie schön ist Digiland
Auch bei den kleinsten Lesern und Leserinnen sind digitale Leseformate gefragt wie nie. Aber die Umstellung auf Apps, Spiele oder VR-Formate stellt insbesondere kleine Verlage vor große finanzielle Herausforderungen.
Von Marlene Zöhrer
Pippi Langstrumpf, Pettersson und Findus, Tiger und Bär, der kleine Eisbär, Rapunzel, Aschenputtel, – die Liste der Märchenfiguren, Kinderbuch-Charaktere und Comichelden, die nicht mehr nur in Buch-, Film-, oder Hörspielwelten, sondern auch in digitalen Formaten zuhause sind, lässt sich beliebig erweitern. Längst gehören Lernprogramme, Games für PC oder Konsole, Apps für Smartphone und Tablet sowie trans- und crossmediale Produkte, die analoge und digitale Formate verbinden, zum festen Repertoire des Medienverbunds Kinder- und Jugendbuch. Verlage und Medienunternehmen versuchen damit, auf Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung zu reagieren.
Spielerisch Lernen
Verlage wie Beltz & Gelberg, Carlsen, Coppenrath, Knesebeck, mixtvision, Oetinger, Ravensburger oder Tulipan wollen ihren Lesern und Käufern mehr bieten als die mittlerweile beinahe obligatorischen E-Book Versionen ihrer Bücher. Games für Konsole, PC oder als App beispielsweise nutzen beliebte Kinderbuchfiguren und deren Geschichten als Ausgangpunkt für spannende oder knifflige Abenteuer: Sven Nordqvists Bilderbuch-Tüftler Pettersson steht Pate für knifflige Logikrätsel, Eric Carles Raupe Nimmersatt, Eva Muszynskis und Karsten Teichs Cowboy Klaus, und Alexandra Helmigs und Timo Beckers Kosmo und Klax werden zu Helden in Mini-Games, die beispielsweise bestimmte Gegenstände einsammeln. Das trägt zum spielerischen Lernen bei, denn es fördert die Wahrnehmung, motorische Fähigkeiten und Konzentrationsfähigkeit.
Bilderbuch- und Kinderbuch-Lieblinge finden ihren Platz häufig auch in Lernspielen, die Rechen- und Lesefähigkeiten oder erste Fremdsprachenkenntnisse schulen sollen. Darunter beispielsweise Martin Baltscheits Löwe, Prinzessin Lillifee, die Olchis und Conni. Adaptionen, die versuchen, die im Buch in Wort und Bild erzählte Geschichte in eine für das neue Medium adäquate Form zu bringen, gibt es beispielsweise von den Grimmschen und anderen Märchen, von Die große Wörterfabrik, Emma, Oh, wie schön ist Panama oder Pippi Langstrumpf. Diese Apps bewegen sich oft bewusst einige Schritte weg vom eigentlichen Erzähltext und integrieren spielerische Elemente, Minispiele oder Interaktion.
Ferner gibt es für Kinder und Jugendliche interaktive Geschichten, die nur im digitalen Format erscheinen, sowie medienübergreifende Produkte, die Buch und App verbinden. Der Carlsen Verlag beispielsweise setzte mit seiner LeYo!-Reihe – beziehungsweise mittlerweile mit Carlsen Clever – Augmented und Virtual Reality (AR bzw. VR) im Bilder- und Sachbuchbereich ein. Hier ergänzt die App das gedruckte Buch um zusätzliche Inhalte, die über Smartphone oder Tablet ausgegeben werden. Auch die bei Knesebeck erscheinenden App-Geschichten sowie die unter dem Label „SuperBuch“ zusammengefassten Bilderbücher verschiedener Verlage basieren auf dieser Idee. Anders Was ist denn hier passiert? von Julia Neuhaus und Till Penzek (Tulipan Verlag). Hier ist neben zwölf rätselhaft-skurril anmutenden Bilderbuchszenen ein QR-Code abgedruckt, der die Betrachter zu kleinen Trickfilmen führt. Diese verraten, was der jeweiligen Situation im Bild vorangegangen ist. Auf diese Weise bietet die analog-digitale Medienkombination einen ausgesprochen unterhaltsamen Mehrwert.
Hochwertige App-Entwicklungen haben ihren Preis
Doch auch wenn insbesondere das Angebot für Klein- und Grundschulkinder durchaus beachtlich und facettenreich ist, so beteiligen sich bei weitem nicht alle Kinder- und Jugendbuchverlage am digitalen Reigen. Manche aus Überzeugung, andere aus dem einfachen Grund, dass die digitalen Produkte eine kostspielige Angelegenheit sind. Gerade Klein- und Kleinstverlagen fehlt schlicht das finanzielle Polster, um beispielsweise eine App zu einem ihrer Bilderbücher entwickeln zu lassen. Denn selbst wer knapp kalkuliert, wird – will er ein funktionierendes, ästhetisch ansprechendes und konzeptionell stimmiges Produkt auf den Markt bringen und im kleinen Rahmen bewerben – schnell einen fünfstelligen Betrag vorstrecken müssen. Ein beachtliches finanzielles Risiko, wenn man bedenkt, dass das fertige Produkt im App-Store nicht mehr als 3,49 Euro kosten soll. Eine App, die in der Produktion beispielsweise 50.000 Euro kostet (darin enthalten sind rund zwanzig Arbeitspakete, von der Ausarbeitung der Projektidee und Storyline über Animation, Ton- und Sprachaufnahmen bis hin zum Gamedesign, der eigentlichen Programmierung sowie dem Testing und dem Einstellen in die entsprechenden Shops) muss bei einem Verkaufspreis von 1,99 Euro mindestens 25.126 Mal heruntergeladen werden, bevor Produzenten oder Verlage daran zu verdienen beginnen.
Zu einem Wagnis werden digitalen Spiele, Lernangebote und interaktive Geschichten für Kinder zudem aufgrund fehlender Präsentations- und Vertriebsmöglichkeiten. Noch gibt es keine Plattform, auf der Eltern, Lehrer und Vermittler das Gefühl haben, gute beziehungsweise passende Kinder-Apps zuverlässig und schnell zu finden. Entsprechend ist es auch für Verlage schwierig, ihre aufwändigen Entwicklungen erfolgversprechend zu präsentieren.