Star-Förster
„Ich gehe auch bis unten in den Dreck“: Peter Wohlleben im Interview
Peter Wohlleben verändert die Art und Weise, wie Menschen auf der ganzen Welt über Bäume und Waldschutz denken. Mit seinem Buch Das Geheime Leben der Bäume wurde er 2015 wohl zum bekanntesten Förster Deutschlands. Im Interview spricht er über seinen Karrierewechsel und die Beziehung des Menschen zum Wald.
Von André Leslie
Zwanzig Jahre lang arbeitete der gelernte Förster Peter Wohlleben in der staatlichen Forstverwaltung. Dann änderte er seinen Ansatz. Gemeinsam mit der abgelegenen Ortschaft Wershofen sonderte er sich von der staatlichen Forststruktur ab, um die lokalen Waldgebiete ökologischer zu bewirtschaften. In seinen eigenen Worten befreite er sich von den „Fesseln einer großen Verwaltung.“ Seine steile Karriere seit diesem mutigen Schritt scheint ihm Recht zu geben.
Mit über einer Million verkauften Exemplaren in Deutschland und rund vier Millionen weltweit wurde Wohllebens populärstes Buch Das Geheime Leben der Bäume nun als 96-minütiger Dokumentarfilm umgesetzt. Der sympathische deutsche Förster führt die Zuschauer darin durch die Welt der Bäume und erklärt, wie diese miteinander kommunizieren. Außerdem nimmt er sie mit in seinen Alltag als Leiter von Wohllebens Waldakademie, einem Familienunternehmen, das forstwirtschaftliche Denkweisen verändern soll.
In unserem Literaturpodcast Waldgänger stellen wir einen Auszug des Buches vor.
In Das geheime Leben der Bäume sprechen Sie über Ihren 20-jährigen Weg vom herkömmlichen Förster zum Leiter eines zukunftsweisenden, umweltfreundlichen Forstbetriebs. Gab es in diesem Prozess einen Moment, in dem Sie erkannten: „Ich möchte eine andere Art von Förster sein?“
Es gab verschiedene Momente: Immer, wenn ich zum Beispiel schöne alte Bäume fällen lassen musste. Damals dachte ich ja auch, das muss so sein, um den Wald zu erneuern. Es hat mir aber leidgetan und ich habe manchmal auch nicht verstanden, wie genau das jetzt dem Wald helfen soll. Das erzählen die Förster und die Forstindustrie bis heute, dass es dem Wald gut tut, wenn Bäume gefällt werden. Aber ich habe es nie richtig verstanden. In einem anderen entscheidenden Moment – der in dem Buch und dem Film auch eine Rolle spielt – ging es um alte Baumstümpfe, die im Prinzip Hilfe von Nachbarbäumen erhalten. Im Studium lernt man, dass Bäume in gegenseitiger Konkurrenz stehen. Aber warum sollten sie schwächeren helfen, wenn es wirklich Konkurrenz ist? Und da bin ich eben ins Stolpern gekommen, gedanklich, und habe mir gesagt: „Da stimmt doch irgendwas was nicht.“ Im Film sehen wir Sie bei einer Demo im deutschen Hambacher Forst, wo Demonstranten versuchen, die Zerstörung des Gebietes zu stoppen. Sie stehen auf der Bühne und sagen Ihre Meinung über Klimawandel und Naturschutz – und wirken ein bisschen wie ein Aktivist...
In allerletzter Konsequenz geht es um uns, also um uns Menschen, weil die Natur ohne uns bestens überleben kann. Wir werden einige Arten ausrotten, aber die Natur können wir nicht kaputt machen. Das kriegen wir gar nicht hin. Also es geht schon um Klimaschutz. Aber Klimaschutz ist ja nur ein Bestandteil von Umweltschutz. Umweltschutz ist eigentlich viel größer. Wir machen zum Beispiel für Klimaschutz sehr viel Umwelt kaputt.
Und die Bezeichnung „Aktivist“ ist auch nicht völlig unberechtigt. Vor kurzem waren wir im Dannenröder Forst, da wird eine Autobahn durch den Wald gebaut. Wir waren mit vielen NGOs da und haben uns vor die Bäume gestellt. Da gab es einen Polizeieinsatz, mit Knüppel und allem drum und dran, und es entstanden richtig böse Bilder. Das mache ich auch. Also ich gehe auch bis unten in den Dreck, um es mal so auszudrücken.
In Europa – auch in Deutschland – sehen wir zum Beispiel gerade oft, dass Kohlekraftwerke auf Holz umgestellt werden. Alle Wissenschaftler sind sich einig, dass Holzverbrennung dem Klima mehr schadet als Kohleverbrennung – außer den Wissenschaftlern von der Forstwirtschaft. Aber die deutsche Forstwirtschaft hat eine so starke Lobby, auch in der EU, dass Holz als CO2-neutral angesehen wird, und deswegen werden in der EU viele Kohlekraftwerke momentan auf Holz umgestellt. Und das führt dazu, dass zum Beispiel in Estland, in Deutschland und im Südosten der USA, große Wälder zur Energiegewinnung kahlgeschlagen werden. Und das ist wirklich verrückt. Sie sagen an einer Stelle im Film, dass wir als Menschen eine Beziehung zu Tieren entwickelt haben, während wir diese Verbindung zu Pflanzen und Bäumen verloren zu haben scheinen. Trotzdem verkaufen sich Ihre Bücher über Bäume auf der ganzen Welt, und die Menschen sind offensichtlich von der Kernbotschaft begeistert. Warum sind Sie mit dem Thema plötzlich so populär geworden?
Ich glaube nicht, dass das ein neuer Trend ist, sondern dass bei den meisten Menschen schon das Bewusstsein da ist, dass die Natur keine Maschine ist. Das ist eine traditionelle Denkweise der letzten 100 bis 200 Jahre, dass man immer gesagt hat, der Mensch ist etwas Besonderes und die Natur ist eine Maschine. Bei Tieren, aber auch nur bei höheren Tieren, haben wir das abgelegt und langsam merken die Leute, dass Bäume auch nicht einfach nur herumstehen.
Bäume sind allen Menschen grundsätzlich sympathisch. Das finde ich übrigens witzig. Das Buch verkauft sich ja auch in Israel, in Island oder in der Mongolei – und dort gibt es ja nicht so sehr viele Wälder. Also es gibt eine Sehnsucht nach Bäumen und ich kenne kaum einen Menschen, der schöne, große alte Bäume nicht mag. Es ist faszinierend, was man inzwischen schon wieder alles herausgefunden hat. Zum Beispiel, wie Bäume lernen. Bäume stellen sich auf den Klimawandel ein und lernen sehr viel schneller als wir denken. Und wenn man solche Sachen weiß, dann werden einem die Bäume eben noch sympathischer. Und ich glaube, die Wissenschaft geht ja sowieso verstärkt dazu über, Wissen anders zu vermitteln, man macht das jetzt ein bisschen unterhaltsamer und benutzt eingängigere Sprache. Der Erfolg von Buch und Film kam wahrscheinlich durch diese Kombination. Also im Endeffekt kann ich es natürlich nicht hundertprozentig sagen, aber ich denke, es war die Kombination, dass sich das leicht liest und dass viele Leute nicht gewusst haben, dass Bäume nicht einfach nur schön sind, sondern auch noch ein bisschen mehr können.