Und plötzlich ist dort eine Wand, die man nicht mehr durchdringen kann. Vermutlich jeder von uns kennt diesen psychologischen Effekt, wenn wir uns gefangen fühlen in einer Situation, aus der wir – emotional oder körperlich – nicht entrinnen zu können glauben. Auch im Leben der Protagonistin von Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ taucht eine solche Wand auf. Eines Morgens ist sie plötzlich da; nicht sichtbar zwar, aber doch undurchdringlich. Die namenlose Frau ist eingeschlossen in einem Wald, ihr bleiben nur ein Jagdhaus, ein paar tierische Begleiter und der Rückblick auf ein Leben, das sie nicht auf dieses Stranden im Wald vorbereitet hat. Draußen, vor der Wand, versinkt die Zivilisation in Lautlosigkeit. Die Menschen erstarren, verschwinden. Lautlos und langsam werden die Anzeichen der menschlichen Existenz von der „Natur“ verschluckt.
Was klingt wie ein apokalyptischer Psychothriller, ist – je nach Deutung – eine fundamentale Zivilisationskritik und Ausdruck einer tiefgreifenden Zukunftsangst oder das Psychogramm einer feministischen Selbstermächtigung durch die Ich-Erzählerin. Immerhin ist es, ganz anders als bei den meisten anderen Waldgängern, eine Frau, die mit ihrer Rolle als menschliches Wesen im Wald konfrontiert wird.
So oder so, der 1963 erschienene Roman der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer knüpft an zwei Themen an, die in den 1950er und 60er Jahren die deutschsprachige Öffentlichkeit bewegten: die Angst vor dem Atomkrieg und das sich verändernde Verhältnis der Geschlechter. Nicht zufällig war das Buch überaus erfolgreich und gehört bis heute zur Pflichtlektüre an vielen Schulen.
Der Ort für beides – Kritik an der alten Welt und Selbstermächtigung – ist nicht zufällig der Wald. Auf sich allein gestellt, eignet sie – die Frau - sich die Techniken an, die sie zum Überleben braucht. Zurückversetzt in die Natur fühlt sie sich freier, echter und bekennt gar eine heimliche Befriedigung darüber, dass die Natur die in ihren Augen verkommene Zivilisation überdauert. Der Wald ist kein Paradies, die Arbeit ist hart, Tod und Not sind stetig nah. Doch sie fühlt sich am richtigen Platz, im beinahe menschenleeren Wald.
Übersetzung: Kateřina Lepic
Audio: Anita Krausová