2019—2020
Erinnerungen an die Gegenwart
Was ist es, ein Goethe-Institut während einer Pandemie zu führen? Was muss im alltäglichen Betrieb umgestellt werden, wenn aus der Kultur- und Spracharbeit plötzlich Krisenmanagement wird? Angelika Ridder, die Leiterin des Goethe-Instituts Tschechien im Gespräch.
Von Angelika Ridder
Mit meiner Prager Zeit werde ich – leider – auch die Corona-Pandemie verbinden. Meine Zeit an jedem Auslandsinstitut ist begrenzt, das ist die Regel in der Goethe-Welt. Üblicherweise hat man ungefähr fünf Jahre Zeit, um für das lokale Goethe-Institut zu arbeiten; dann muss man wieder weiter zu einem neuen Dienstort.
Normalerweise läuft das so ab: Erstes Jahr: Man kommt am neuen Ort an und erlebt Euphorie und Unsicherheit: Alle Eindrücke werden aufgesogen und sortiert. Man versucht Schritt für Schritt hineinzufinden in die Aufgaben, die Partnerinstitutionen und den Kolleg*innenkreis kennenzulernen, die Sprache zu üben (ach!) und natürlich auch in Fragen des Alltags Fuß zu fassen. Wo gibt es einen guten Bäcker, welcher Schuster repariert meine Lieblingsschuhe, wo treibe ich Sport?
Das zweite Jahr ist genial, im Normalfall: Man ist angekommen, hat sich eingerichtet, kennt sich soweit aus, hat den Jahreslauf mit seinen Fixpunkten kennengelernt und auch die anderen Goethe-Institute in der Region mindestens einmal besucht. Man hat eine Vorstellung von den Themen, die im Gastland interessieren und kennt Partner, mit denen man sie angehen kann. Und mitten in diesem Stadium wird der Stecker gezogen. So habe ich das empfunden, als Mitte März 2020 der Notstand ausgerufen wurde und das Leben auf Distanz ging. Die Krise selbst fand ich in den ersten Wochen nicht schwierig. Regelungen finden, Entscheidungen treffen, in alle Richtungen kommunizieren: Das war anstrengend, aber nicht frustrierend.
Komplexer empfinde ich die Situation jetzt, im Corona-Herbst. Denn realistisch gesehen wird es noch lange dauern, bis das Goethe-Institut wieder ein richtig offenes Haus sein darf. Die Sehnsucht danach wächst mit jedem Tag.
Die Wärme der menschlichen Begegnungen
Meine Zeit in Prag läuft also vollkommen anders ab, als es bei meinen vorherigen Stationen in Oslo, Paris oder München der Fall war. Dennoch bleibt mir mein Aufenthalt in Tschechien sicher nicht nur als Zeit der Pandemie im Gedächtnis. Die Stadt Prag kenne ich ja durch mehrere Besuche in den letzten zwanzig Jahren. Im Institut selbst und der Wohnung fühle ich mich jetzt auch zuhause. Das Gebäude bietet einen wunderschönen Blick Richtung Hradschin. Ich genieße fast jeden Abend bewusst dieses faszinierende, in dezenten Farben beleuchtete Bauwerk, wenn ich „nach Hause“ komme.Auch die greifbare Begeisterung der Gäste für die Arbeit des Goethe-Instituts und die Wärme der menschlichen Begegnungen bleibt in meiner Erinnerung, genauso wie meine erste Dienstreise in Tschechien. Gleich am ersten Tag als Institutsleiterin in Prag angekommen, hat es mich nach Karlsbad zu den Karlsbader Autorentagen, einem Treffen deutscher, tschechischer und österreichischer Autor*innen verschlagen. Dorthin fuhr ich zusammen mit dem ehemaligen Botschafter František Černý. Was für eine Reise, erfüllt mit spannenden Erzählungen! Herr Černý erlebte als Zeitzeuge zuerst – noch als junger Mensch – die Kriegs- und Nachkriegsjahre, als engagierter Erwachsener den Kommunismus und das Jahr 68, die schwierigen Jahre danach und dann die Samtene Revolution. Auch den Präsidenten Havel kannte er aus nächster Nähe! Mit seinem profunden Wissen und seinen Anekdoten gab er mir eine großartige Einführung in das Land und dazu passte dann auch, dass in meine Prager Jahre die 30. Jubiläen des Mauerfalls/der Samtenen Revolution/der Wiedervereinigung Deutschlands und des Goethe-Instituts Tschechien fielen.
Immer wieder neu
Wenn wir schon über das 30. Jubiläum sprechen: Das Gebäude, in dem das Goethe-Institut seit der Wende zuhause ist, wurde vom Vermieter in den Jahren 2019–2020 Stück für Stück denkmalgerecht renoviert und das merkt man natürlich. Leider bringt die Pandemie mit sich, dass viel weniger Besucher*innen zu uns kommen dürfen – so kommt der neue Glanz noch nicht so recht zum Strahlen.Viele Besucher*innen haben mich mit ihrem Interesse, auch ihrer Kenntnis über Deutschland immer wieder überrascht. Ebenso bleibt auch der Besuch in einem Kindersprachkurs hier im Haus in Erinnerung. Mit welcher Freude eine wirklich nicht einfache Sprache „erspielt“ wird, bereitete mit große Freude!
Zusammenfassend kann ich sagen, dass es eine Herausforderung ist, sowohl für mich als auch für alle Mitarbeiter*innen, den Alltagsbetrieb des gesamten Goethe-Instituts umzustellen, jetzt, da uns die Corona-Pandemie zu bestimmen scheint. Doch es bleiben immer noch genügend Möglichkeiten zur Begegnung und zur Weiterführung der Kultur- und der Spracharbeit. Auch wenn überwiegend „nur“ online. Es ist mir immer wichtig, das Haus so lange wie möglich offen zu halten und für unsere Besucher*innen und Kursteilnehmende erreichbar zu sein. Auch 30 Jahre nach der Eröffnung des Goethe-Instituts in Tschechien ist klar, dass wir Vieles anzubieten haben; und dass diese Angebote, auch in schwierigen Zeiten, gerne angenommen werden, darüber freue ich mich sehr.
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