Der Bär in olympischen Fesseln
Der Berliner Senat bemüht sich nach der erfolglosen Bewerbung in den 90er Jahren um eine erneute Kandidatur für die Austragung der Olympischen Spiele. Dabei spielt es keine Rolle, ob im Jahr 2024 oder 2028. Es handelt sich bei der Bewerbung um einen Langstreckenlauf in den viel Geld investiert wird. Das Bündnis NOlympia kämpft dagegen an.
Der Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit Pierre de Coubertin appellierte an das Gebot der Gleichheit aller Sportler ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, ihrer politischen Ansichten oder religiösen Bekenntnisse. Ebenso formulierte er das Gebot der Demokratie und des Internationalismus. Die heutigen Olympischen Spiele erinnern aber eher an einen kurzen Spaß für Milliarden Fernsehzuschauer. Sie werden oft begleitet von einer Verschuldung der Austragungsstädte mit problematischen Folgen für die Umwelt und das soziale Gefüge.
Was vermag Aktivismus?
In Berlin hat der Widerstand gegen die Austragung der Olympischen Spiele Tradition. Bereits zu Beginn der 1990er Jahre, als die Stadt ihr Interesse an einer Kandidatur für die Spiele im Jahr 2000 äußerte, bildete sich ein breites Bündnis von Organisationen und Initiativen, die Berliner Anti-Olympia-Koordination (BAK). Dass die Olympischen Spiele schließlich im australischen Sydney stattfanden, feierten die Aktivisten ausgiebig. Sie sahen in der Entscheidung gegen den Austragungsort Berlin zum Teil auch einen Erfolg ihrer Proteste. Dank der Kreativität und der Entschlossenheit ihrer Initiative gelang es den Widerstand ins öffentliche Bewusstsein zu tragen und die Mehrheit der Bürger zu überzeugen, dass die Berliner Olympiabewerbung Unsinn sei. „Zu Beginn der 90er Jahre war das Bemühen der Stadt um die Ausrichtung der Olympischen Spiele im öffentlichen Raum wesentlich präsenter als jetzt. Das wird sich aber sicher noch ändern, schon bald werden Werbung und PR-Veranstaltungen zunehmen. Die Leute werden feststellen, dass dies auch etwas mit ihrem Leben zu tun hat, und dass es ihre Stadt stark verändern könnte“, sagt Judith Demba.
Wenn jemand dazu berufen ist über die negativen Auswirkungen zu sprechen, die die Austragung der Spiele für Berlin haben könnte, dann ist es Judith Demba vom Verband NaturFreunde. Demba ist ehemaliges Mitglied der Grünen. Heute gehört sie der Partei Die Linke an. Schon in den 90er Jahren gehörte sie zu den führenden Figuren in der Bürgerbewegung gegen die Berliner Olympia-Kandidatur. Und so ist es auch heute. Im November 2014 fand die Veranstaltung N’Olympic-City überall statt, auf der die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von NOlympia-Initiativen diskutiert wurde. Im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung wurde auch der Film Olympia und Tschüß gezeigt, sowie ein Video, das die Aktivisten im Jahr 1993 im Rahmen ihrer Kampagne gegen die Berliner Olympiakandidatur dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) übergeben hatten. Zum heutigen Charakter der Olympischen Spiele sagt Demba: „Die Spiele sind gegenwärtig eine ausschließlich kommerzielle Veranstaltung, bei der das IOC und Sponsoren gewinnen und die Austragungsstädte und -staaten verlieren. Die Städte haben hinterher noch jahrelang mit einer riesigen Verschuldung zu kämpfen. Auch in der Antike hieß es nicht, dass dabei sein alles ist. Die Verlierer wurden verspottet. Auch heute ist der Sieg und ein neuer Rekord das, was zählt.“
Unter dem Namen NOlympia traten die Berliner Olympiagegner bereits bei ihren Protesten zu Beginn der 90er Jahre auf. Die Erneuerung dieser Aktivitäten geht zurück auf eine Initiative der Umweltschutzorganisationen Grüne Liga Berlin und NaturFreunde Berlin. Im Juli 2014 wurde nach einer ersten öffentlichen Diskussion über die Absicht des Senates sich um Olympische Spiele zu bewerben ein Bündnis gegründet. Diesem schlossen sich zum Beispiel die Grüne Jugend Berlin, der NABU Landesverband Berlin, der politische Sportverein Roter Stern Berlin und die Fraktion der Linke im Berliner Abgeordnetenhaus an – und natürlich viele Privatpersonen. Gemeinsam treten sie unter anderem ein für eine ökologische und sozial gerechte Entwicklung der Stadt. Und dies ist nicht nur auf Berlin beschränkt, sondern auch auf weitere deutsche Städte wie etwa München oder Hamburg. Die aktivsten Kämpfer des gegenwärtigen NOlympia Bündnisses sind die Umweltschutzorganisationen. Worin besteht der Zusammenhang zwischen Sport und der Umwelt?
Nachhaltige Olympische Spiele
In Deutschland hat außer Berlin auch Hamburg sein Interesse an der Austragung der Olympischen Spiele geäußert – beziehungsweise der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit und der Hamburger Erste Bürgermeister Olaf Scholz. Als Vorteil Hamburgs führte Scholz ins Feld, dass alle Stadien, Sportanlagen und Hotels nur 30 Minuten voneinander entfernt lägen. Wowereit hingegen argumentierte mit dem kosmopolitischen Charakter Berlins und dass die Stadt in der Lage sei die Olympischen Spiele nachhaltig und maximal nach den Vorstellungen der Bürger auszurichten. Sowohl die Grüne Liga Berlin als auch die NaturFreunde forderten daraufhin die „korrekte Verwendung“ des Begriffs Nachhaltigkeit. Demba erklärt: „Dieses Wort ist nur ein Etikett. Ein Beispiel: während der Spiele sollen Sportler und Funktionäre mit Elektroautos fahren. Nur kommt der elektrische Strom dafür aus der Lausitz, aus dem Braunkohletagebau.“
Nachhaltigkeit ist ein Modewort. Die Aktivisten von NOlympia bezeichnen seine Verwendung im Rahmen der Olympia-Bewerbung „falsch“. Sie halten sie für ein typisches Beispiel von „Greenwashing“ – der Begriff bezeichnet die Methode, ökologisch nicht-nachhaltigen Aktivitäten und Produkten einen grünen Anstrich zu verpassen. Laut Demba stehe die Verschwendung sowohl von natürlichen Ressourcen als auch von öffentlichen Mitteln – zum Beispiel beim Bau des olympischen Dorfes – im Gegensatz zur langfristigen Koexistenz einer Gemeinschaft mit ihrer Umwelt. Das Engagement der Umweltschutzorganisationen geht aber über den Diskurs über die Bedeutung des Begriffs Nachhaltigkeit hinaus. „Die Veränderung der Stadt und die Inbeschlagnahme freier Flächen ist doch ein überaus ökologisches Thema“, sagt Demba.
Neben der Finanzierung geht es auch um die künftige Gestalt der Stadt, die sich ständig ändert. Die allgegenwärtige Gentrifizierung verwandelt Demba zufolge Berlin in einen Ort, an dem für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten unterschiedliche Regeln gelten würden. Der grüne, gesunde oder freundschaftliche Anstrich, den die Infrastruktur habe, ändere daran nichts. „Die Probleme, denen sich die Stadt vor zwanzig Jahren gegenüber sah, haben sich fortwährend verschärft. Die Mieten steigen, der öffentliche Nahverkehr ist unbefriedigend. In der Stadt herrscht ein Mangel an Kapazität für das soziale Wohnen, an Unterkünften für Flüchtlinge und auch an erschwinglichen Wohnmöglichkeiten für Studenten. Wenn man in die Zukunft der Stadt investieren will, sollte man in Schulen und Infrastruktur für Studenten, Kinder und Jugendliche investieren… und nicht in eine Party für die ganze Welt, die nur vier Wochen dauert“, findet Demba.
Ein Happening mit einem traurigen Bär
NOlympia mobilisiert die Öffentlichkeit nach klassischen Schemata des Aktivismus. Zu bestimmten Initiativen im Abgeordnetenhaus oder Stellungnahmen des Deutschen Olympischen Komitees gibt NOlympia Presseerklärungen ab. Und das Bündnis verbreitet Broschüren mit Argumenten gegen die Ausrichtung der Olympischen Spiele. Zugespitzte Versionen dieser Argumente zieren Aufkleber, die man in der Stadt vielerorts entdecken kann. Es fanden auch mehrere Veranstaltungen statt, wie zum Beispiel die erwähnte Debatte mit der Filmvorführung oder ein Treffen mit Olympiagegnern aus anderen Städten. Außerdem gab es ein Happening, während dessen Aktivisten als Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees verkleidet in Anzügen mit dunklen Brillen den Berliner Bär gefangen nahmen und mit olympischen Ringen fesselten. Der traurige mit den olympischen Ringen gefesselte Bär ist nämlich das Symbol von NOlympia. Die öffentlichen Aktionen riefen allerdings vor allem bei denen ein Echo hervor, die ohnehin bereits mit dem Protest sympathisieren. Die Veranstaltungen erfreuen sich auch nicht eines massenhaften Besuches, sie sind aber auch deswegen interessant, weil sich auf ihnen die „Veteranen“ der NOlympia-Kampagne der 90er Jahre und die jungen Aktivisten begegnen, die damals wegen ihres Alters noch nicht teilnehmen konnten.
Megalomane Projekte rufen in Berlin traditionell großen Widerstand hervor, aber die Proteste zeigen auch, dass der Aktivismus der Bürger Sinn macht und konkrete Ergebnisse mit sich bringt. Ein Beispiel ist der Fall des Tempelhofer Feldes: Über die Nutzung des Geländes des ehemaligen Flughafens Tempelhof wurde dank Bürgerinitiativen ein Referendum abgehalten; die riesige Fläche dient jetzt der Naherholung. Einen Teilerfolg brachten auch die Proteste gegen das Vorhaben, Teile des Spreeufers zum Medienviertel „Mediaspree“ umzustrukturieren. Aber auch trotz des aktiven Kampfes gegen die Gentrifizierung entstehen immer wieder neue Pläne zu kontroversen riesigen Bauten. Dabei ist Berlin eine der am meisten verschuldeten deutschen Städte. Demba rechnet vor: „Die Verschuldung verursacht Zinsen von sechs Millionen Euro täglich, das bedeutet jeden Tag eine neue Turnhalle.“ Und gerade Turnhallen und andere Sportanlagen würden in Berlin tatsächlich fehlen, sagt Demba. Auf der Grundlage der Erfahrungen der Olympischen Winterspiele in Sotschi fürchtet sie, dass neu errichtete Sportstätten nach den Spielen nicht kostendeckend betrieben werden können und verfallen.
Jede Stadt muss also seine Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele sorgfältig abwägen und das vor allem im Dialog mit den Einwohnern. Ökonomische Aspekte dürfen nicht über dem olympischen Gedanken stehen, also einer internationalen Zusammenkunft im Zeichen der Solidarität, der Toleranz und des Friedens. Pierre de Coubertin wollte nämlich, dass die Spiele für jede neue Generation in erster Linie Freude, den Glauben an die Zukunft und den Willen weiterzugehen symbolisieren.
Übersetzung: Patrick Hamouz