Afrika, mein Herz
Anfang der 80er Jahre flüchtete František Nekovář aus der kommunistischen Tschechoslowakei nach Westdeutschland. Eine echte neue Heimat fand er aber erst in Westafrika. Schier unglaubliche Zufälle machten aus dem Maschinenbauingenieur František den Goldgräber und Regenwaldretter Frank. Auch wenn er heute wieder bei seinem „Stamm“ in Prag lebt: Afrika lässt František Nekovář nicht mehr los. Ein Gespräch mit einem Mann, dem die Geschichten nie auszugehen scheinen.
In Afrika haben Sie einen beträchtlichen Teil Ihres Lebens verbracht. Was bedeutet der Kontinent für Sie?
Afrika – das ist das Herz. Afrika packt einen und dann lässt es nicht mehr los. Mich hat es schon sehr früh gepackt, als ich mit meinem Vater gehört habe, wie Zikmund und Hanzelka dorthin gefahren sind. Afrika war exotisch und geheimnisvoll. Und als ich nach Jahren tatsächlich dorthin kam... kam es mir vor, als sei ich von da.
War es schwer für Sie, die kommunistische Tschechoslowakei zu verlassen? Und wie war der Beginn in der Bundesrepublik Deutschland?
Die Tschechoslowakei zu verlassen, war mein Plan. Ich habe mich von langer Hand darauf vorbereitet. Ich wollte nach Kanada. Ich habe die staatliche Englischprüfung abgelegt, dafür habe ich sehr intensiv gelernt. Ich habe mich sogar in kanadischer Landeskunde fortgebildet. Deutsch konnte ich aber auch, denn von allen „westlichen“ Sprachen, konnte man das hier am leichtesten lernen. Als ich schließlich in Westdeutschland ankam, wollten sie mich nicht nach Kanada lassen. In die USA oder nach Australien wollte ich aber nicht, also bin in Deutschland geblieben. Dort Fuß zu fassen war nicht so schwer, wenn man fleißig ist, aber eine Anstellung zu finden, die meiner Ausbildung entsprach, war natürlich schwierig. Ich habe deshalb angefangen als Kanalreiniger und auf dem Bau. Ich habe ganz gut verdient, und so habe ich dann schließlich begonnen mich als Händler und Unternehmer zu betätigen.
Und wie kommt ein tschechoslowakischer Exilant aus Deutschland nach Afrika?
Das war eine Verkettung von Zufällen. Ich wusste von Anfang an, dass ich als Angestellter nie im Leben Mercedes fahren würde. Mir war klar, dass ich nicht nur meine Arbeitskraft, sondern meine Ideen verkaufen und mich selbstständig machen will, also mir etwas Nützliches ausdenken und damit Geld verdienen. Darum habe ich begonnen zu handeln. Ich habe mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer zusammengearbeitet, die regelmäßig Anfragen aus dem Ausland veröffentlichte. Darauf habe ich geantwortet – von Alaska bis Borneo.
Eine Folge dieser munteren Korrespondenz war, dass mich ein in Deutschland ausgebildeter Handwerker aus Westafrika kontaktierte: Boubacar. Es stellte sich heraus, dass er aus Burkina Faso stammt. Das sagte mir gar nichts. Obervolta, der frühere Name seines Heimatlandes, auch nicht. Aber er sprach ganz passabel deutsch und wir waren uns sympathisch. Nach einem Abend hatten wir einen Vereinbarung getroffen, einen Monat später hatte ich das Flugticket nach Burkina Faso in der Tasche. Und so haben wir begonnen mit Autos und landwirtschaftlichen Maschinen zu handeln.
Welcher afrikanische Brauch hat Sie am meisten überrascht?
Man aß mit den Fingern. Und auch wenn ich eine eigene Schale hatte, hat mir oft jemand ohne Umschweife darin herumgewühlt und das beste Stück geklaut. Das waren oft entfernte Verwandte von Boubacar, die unter seinem Dach wohnten und die beim Essen immer versuchten das meiste für sich zu ergattern. Für einen Europäer war es schon verwunderlich, wie weit der Begriff Familie gehen kann: Manchmal hatte ich das Gefühl, das Einzige, was sie mit Boubacar gemeinsam hatten war, dass ihre Großmütter die Wäsche unter der gleichen Sonne zum Trocknen aufgehängt haben.
Und die Hygiene?
Die Hygiene ist in den Ländern, in denen ich gelebt habe, auf einem recht hohen Niveau. Die Leute versuchen sich sauber zu halten und machen nicht hinter den nächsten Strauch. Ein trauriger Fakt ist aber auch, dass man nur gesunde, junge und saubere Menschen sieht – die anderen sterben leider sehr schnell.
Später haben Sie auch mit Karawanen Waren durch die Sahara transportiert. Wie ist es in der größten Wüste der Welt?
Steine... Steine, Staub, Dreck. Tausende Plastiktüten und hinter jedem Stein Kot, um es vornehm auszudrücken. Keine Romantik, menschenleere Landschaft. Es gibt dort viele Nomadenstämme, meist hört man in diesem Zusammenhang von den Tuareg. Aber es gibt dort auch Berber und andere, insgesamt sind die Stämme sehr durchmischt. Aus dem Süden kommen Schwarzafrikaner aus Mali und dem Niger dazu, und alle zusammen ergeben eine bunte Mischung. Der Weg durch die Sahara ist sehr steinig und staubig, Sanddünen sucht man vergeblich. Nichts, was man aus Filmen kennt.
Springen wir ein bißchen in der Zeit vorwärts – Wo erreichte Sie die Nachricht von der Samtenen Revolution? Haben Sie sich sofort auf den Weg nach Hause gemacht?
1989 hatte ich in Europa nichts mehr verloren. Ein Jahr zuvor war meine Mutter gestorben. Das war meine letzte Bindung gewesen. In Afrika hatte ich eine weitreichende Familie und Geschäftsbeziehungen, mit denen ich mehr verdient habe als hier in Europa. Hier sind die Karten verteilt, aber dort ist es immer noch sehr leicht mit etwas Eigenem und Originellen zu kommen. Ich habe mich auf den Weg nach Europa gemacht, um in Deutschland einige formale Angelegenheiten zu klären. Dann wollte ich mich dauerhaft in Afrika niederlassen. Es war Herbst, ich ging aufs Amt und da sagte mir die Sachbearbeiterin: „Herr Nekovar, Sie können nach Hause fahren. Bei Ihnen ist Revolution.“ Zuerst hab ich das nicht geglaubt. Aber dann bin ich zurück nach Tschechien gefahren und nach Afrika kam ich erst wieder vier Jahre später. Da war mein Sohn schon auf der Welt.
In Afrika haben Sie unter anderem Gold abgebaut. Wie wird aus einem Ingenieur und Mechaniker ein Goldgräber?
Gold hatte mich schon länger gelockt. Gold gibt es da genug, aber die Gesetze waren früher unklar und sie machten den Abbau des Goldes für Ausländer fast unmöglich. Während meines Besuches 1994 bin ich mit Boubacar nach Mali gefahren. Er war sehr unglücklich darüber, dass ich direkt wieder nach Europa zurückkehre. Er packte seinen letzten Trumpf aus und sagte: „Die Regierung hat offiziell den Abbau von Gold erlaubt.“ Klar, dass ich angebissen habe. Vier Jahre lang haben wir nach Gold gesucht und auch welches gefunden. Mit der Hilfe von Einheimischen haben wir es der Regierung verkauft. Die hat uns dafür großzügig bezahlt, denn sie hatte Interesse daran, dass das Gold in ihren Händen blieb.
Heute sind Sie unter anderem Leiter der internationalen gemeinnützigen Organisation World’s Green Lungs, die in der Demokratischen Republik Kongo eine Fläche von 17.700 Quadratkilometern verwaltet, also ein Gebiet etwa von der Größe Thüringens...
(unterbricht mich) ... Nicht Leiter! Ich muss Präsident sein! (lacht) Meine beiden engsten Mitarbeiter aus dem Kongo sind nämlich Diplomaten und die Vorstellung, dass sie unter irgendeinem „Leiter“ stehen, kam ihnen beleidigend vor. Also sind sie Vizepräsidenten und ich bin der Präsident!
War es – im übertragenden Sinn – ein weiter Weg von Burkina Faso in den Kongo?
Als ich noch in Afrika lebte, habe ich auf einer Reise in Guinea einen Pygmäen mitgenommen, der auf dem Weg zu einer Beerdigung war. Yusuf hieß er. Pygmäen sind kleingewachsene Menschen aus dem Regenwald. Bei vielen dort gelten sie gar nicht als Menschen. Aber sie sind grandios und vor allem unglaublich treue Seelen. Sie haben mir geholfen eine wertvolle Fracht zu bewachen, die manchmal sogar die Fahrer selbst gestohlen haben, um sich „weibliche Gesellschaft“ zu kaufen. Jahre später sollte irgendein Diplomat aus dem Kongo, der mütterlichseits auch Pygmäe war, nach Prag kommen. Seine Verwandten erinnerten sich, dass Onkel Yusuf mal erzählt hatte, dass er einen großen, weißen Mann mit Namen Frank kannte. Wenn er Bier getrunken hatte, hätte der immer so merkwürdige Lieder in einer komischen Sprache gesungen und von dem Ort Prag gesprochen... und dass sein Stamm dort leben würde, irgendwo östlich von Paris.
Und als dieser Diplomat dann nach Prag kam hat er direkt nach der Ankunft gefragt, ob mich jemand kennen würde. Dank eines großen Zufalls traf er dabei auf meine Nachbarn von gegenüber, also haben die ihn vom Flughafen direkt zu mir gebracht. Von meinem Computer hat er dann direkt eine Email nach Hause gecschrieben, dass mich hier jeder kennt und er schon beim mir im Garten sitzt und trinkt.
Aufgrund dieser Reputation wandten sich einige Leute aus dem Kongo an mich, ob ich ihnen nicht dabei helfen könnte die Abholzung des Urwaldes zu organisieren. Sie wollten seltene Hölzer nach Indien und China verkaufen und für das Geld Werkzeug und Medikamente erwerben. Aber ich hab ihnen gesagt: „Macht das nicht! Lasst euch euer Land nicht plündern. Ich treibe das Geld irgendwo anders auf und helfe euch Schulen und Krankenhäuser zu bauen. Hauptsache ihr hört auf den Urwald abzuholzen.“ Und damals fiel der Nebensatz: „..., wenn ihr die grünen Lungen der Welt stehen lasst.“ Deshalb haben wir unsere Organisation World’s Green Lungs (Die grünen Lungen der Welt) genannt.
Heute kämpfen Sie also gegen die Abholzung des Regenwaldes?
Es ist eine himmelschreiende Dummheit den Regenwald abzuholzen. Aber gleichzeitig ist es nicht der Hauptgrund für sein Verschwinden, wie viele Leute glauben. Wenn man zehn Meter abseits des Weges einen seltenen Baum fällt, kann man ihn wegen Bewuchses drumherum nicht zum Weg ziehen. Die Abholzung kann gar nicht in einem solchen Maßstab stattfinden, dass sie sich grundsätzlich bemerkbar macht. Das tut sie auch nicht. Das größere Problem ist die Brandrodung, die die Einheimischen durchführen, um wenigstens ein bißchen Ackerland zu gewinnen – ein kleines Feld für zwei Ernten, was unter den dortigen Bedingungen ein Jahr bedeutet. Danach ist der Boden ausgezehrt, er stirbt. Dann ist es Zeit ein Stück weiter zu ziehen. Und der verbrannte Boden wird zu einer unfruchtbaren Halbwüste.
Wie sieht Ihre Lösung aus?
Wir nennen das Projekt Agroforestry. Sie haben dort selbst keine Mittel dafür. Afrika kann sich aus eigener Kraft nicht aufrappeln. Wenn der Welt wirklich etwas daran liegt, dass die Regenwälder im Kongo erhalten bleiben, muss Geld investiert werden, um den toten Boden zu rekultivieren und dort Ölpalmen oder andere Nutzhölzer zu pflanzen. Aber nicht so wie in Indonesien, wo man erst den Regenwald abbrennt und dann Ölpalmenplantagen anlegt! Ich rede von einer Veredelung des zerstörten Bodens, vom Pflanzen eines Kulturwaldes, den man den Einheimischen schenkt, damit er sie ernährt und es ihnen ermöglicht mit dem Überschuss Handel zu treiben. Den Urwald kann man leider nicht wiederherstellen. Er braucht 10.000 Jahre, um zu enstehen, und das können wir nun mal nicht beschleunigen. Wir retten ihn, indem wir ihn nicht abbrennen.
Übersetzung: Patrick Hamouz