In 25 Stunden nach Dresden
Am liebsten bis Hamburg, aber wir sind keine Supermänner
Helm aufsetzen, Kamera einschalten, die nächsten 25 Stunden die Natur vom Sattel aus genießen und ganz nebenbei die eigenen Grenzen überwinden. Weder David Jedlička, noch Aleš Pavlík oder Petr Dvořák ist Profi, das schmälert jedoch bei keinem der drei Jungs aus Mittelböhmen die Begeisterung und Entschlossenheit. Im vergangenen Jahr haben sie beschlossen, eine Tradition zu begründen. Jedes Jahr im Sommer wollen sie mit einem eintägigen Fahrrad-Marathon die Strecke Pardubice – Dresden bezwingen.
Aleš, David und Petr unternehmen regelmäßig gemeinsame Fahrradtouren, egal ob die Sonne in den Nacken brennt oder der Schnee unter den Reifen knirscht. Der Fahrrad-Marathon Pardubice – Dresden ist jedoch ein Projekt jenseits der Radler-Routine. Die Leistung wird dabei sorgfältig dokumentiert, und Petr verewigt ihre Reisen auf Videos.
Die Reise nach Dresden geht im mittelböhmischen Roztoky bei Křivoklát los und beginnt mit dem Auto. Der Plan lautet: motorisiert nach Pardubice fahren, dort in einem Hotel übernachten, Kräfte sammeln und anders als im Vorjahr schon am Vormittag losradeln. „Damals sind wir erst um Mitternacht losgefahren und dachten, dass wir vor sechs Uhr abends in Dresden ankommen, ein bisschen ausruhen und dann unsere Ankunft mit einem Abendessen in einem schönen Biergarten oder einem Dresdener Restaurant feiern. Allerdings hatten wir keine rechte Vorstellung wie die Strecke aussieht und ahnten auch nicht wie anstrengend die Reise wird“, sagt Petr Dvořák, im Hauptberuf Meteorologe und der Hauptinitiator der Expedition. Weil sie damals allerdings Reisefieber hatten, fanden sie nur wenig Schlaf, fuhren schon müde los und mussten dann bereits in Děčín entkräftet die Segel streichen. In diesem Jahr ist die Sache aber schon viel besser ausgegangen.
Planen und sich überraschen lassenDer Weg ab Pardubice führt mehr oder weniger die Elbe entlang und ist somit für eine lange Tour wie gemacht; deshalb starten sie in der ostböhmischen Stadt und nicht in ihrer mittelböhmischen Heimatregion. Auf dieser Strecke lassen sich die Pausen viel besser einplanen, da man sich nicht den Kopf darüber zerbrechen muss, wie die Kräfte eingeteilt werden müssen, wenn ein Teil der Trasse deutlich hügeliger ist, als der andere. Gerade die Auswahl eines günstigen Trassenprofils ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zielankunft – genauso wie die Auswahl der Dinge, die man auf eine solche Fahrt mitnimmt.
„In unseren Rucksäcken hatten wir Getränke, Ersatzteile und Werkzeuge für den Fall technischer Pannen, ein paar Energieriegel, eine Kamera sowie Kleidung für die Nacht. Es hat sich bewährt, den Rucksack so wenig wie möglich zu füllen – die ganze Zeit eine kiloschwere Last auf dem Rücken mitzuschleppen ist keine gute Idee“, sagt Petr.
„Beide Fahrten haben wir lange vorher geplant. Wir haben Karten studiert, über die beste Strecke diskutiert, die Pausen geplant und natürlich auch über das Begleitfahrzeug nachgedacht, mit dem wir dann zurückreisten. Auf so einer Reise kann man nicht groß improvisieren, dafür ist nicht ausreichend Zeit.“ Warum die Streckenwahl besonders wichtig ist, illustriert ein Erlebnis auf ihrer ersten Tour 2012. „In der Gegend von Kolín haben wir im Dunkeln die Schilder des Fahrradwegs nicht gesehen und irrten dann in den Wäldern an der Elbe umher. Dieses Jahr hatten wir schon sehr viel mehr Streckenabschnitte vom vorigen Jahr im Gedächtnis, und so fiel die Orientierung leichter“, sagt Petr.
Petr ist der Hauptnavigator, er kümmert sich also auch um das GPS-Gerät. Die Navi hat nicht nur den Weg vorgegeben, sondern auch die Zeit gemessen. „Am Ende haben wir festgestellt, dass wir fast ein Viertel der Reisezeit mit Pausen verbracht haben. Wenn wir nächstes Jahr also weniger und dafür effektiver pausieren, dann können wir die Gesamtreisezeit verkürzen“, erklärt Petr.
Obwohl das möglichst schnelle Erreichen des Reisezieles Priorität hatte, fanden sie die Zeit, während der Fahrt die Natur oder auch die Architektur kleiner unscheinbarer Dörfer spontan zu genießen. Die Entdeckungen dieses Jahr waren die Waldhäuser zwischen Káraný und Stará Boleslav sowie die Gemeinde Bysičky, eines der am besten erhaltenen Barockdörfer Tschechiens.
Trügerisches LitoměřiceAls größte Komplikation erwies sich die Fahrt bei Dunkelheit – das war von vornherein die große Unbekannte. Durch das permanente In-die-Pedale-treten wird man müde, ob man nun will oder nicht – und Straßenlaternen gehören nicht zur Standardausstattung von Fahrradwegen oder Straßen außerhalb von Ortschaften. Petr Dvořák begreift die Nachtfahrt jedoch nicht als Schwierigkeit, sondern als Herausforderung und Abenteuer: „Am Tag kann jeder Depp fahren, aber die Nacht mit ihrer beschränkten Sichtweite erfordert erhöhte Konzentration und Vorsicht. Aus dem schimmernden Licht und den flirrenden Schattenspielen kann wie aus dem Nichts eine Wurzel oder ein Stein auftauchen, dem man ausweichen oder geschickt überfahren muss.“ Außerdem muss sich Petr immer bewusst sein, dass keine Schilder zu sehen sind und dass das Risiko, von der geplanten Strecke abzukommen, hoch ist.
Psychisch anspruchsvoller ist die „Fata Morgana“ bei Litoměřice (Leitmeritz). Mit 200 Kilometern in den Beinen verliert die Umgebung ihren Reiz, und man möchte eigentlich nur wissen, wie viel Kilometer es noch bis in das Ziel sind. „Die Berge des Böhmischen Mittelgebirges bei Litoměřice erwecken den Eindruck, als wäre man bereits in der Nähe der Grenze, also fast schon am Ziel. Das ist aber noch mörderische 100 Kilometer entfernt, eine Zahl, die nach 15 Stunden Fahrt nicht gerade ermunternd ist. Man wird immer stiller, und auch die Humorkurve zeigt nach unten, dabei jagte zu Reisebeginn noch ein Scherz den anderen. Eigentlich bewegt man sich nur noch mechanisch vorwärts“, beschreibt Navigator Petr einen der Krisenmomente der Fahrt. Zu allem Überfluss machte ihm dann auch noch ein immer stärker schmerzendes Knie zu schaffen. Ob er es will oder nicht – er musste die diesjährige Expedition genauso wie im Vorjahr bereits in Děčín abbrechen und warten, bis ihn das Begleitfahrzeug mit Aleš und David abholt.
Damit verliert die Gruppe ihren Navigator. Das hat später seine Folgen, als Aleš und David wegen einer falschen Ausschilderung in Bad Schandau aus Versehen die Flussseite wechseln und auf dem Weg nach Pirna „in den Genuss“ eines kilometerlangen Anstiegs kommen. Um sich ein Bild davon zu machen, wie der „Schluss-Spurt“ aussah, beschreibt Aleš die letzten Kilometer der Strecke: „Kurz vor der Ankunft in Dresden, als wir schon vor Erschöpfung – mit dem Kopf fast auf der Lenkstange – die letzten Kräfte mobilisierten, überholte uns ganz lässig ein Mann im Anzug auf dem Weg zur Arbeit.“ Dresden wurde dann aber schließlich doch erreicht, und ganz bestimmt nicht das letzte Mal!