Mit dem Rad quer durch Europa
Vašek, David, Vilda und Pavel sind dieses Jahr ans Meer gefahren. Wie? Das sei nichts Besonderes? Na gut, also ans Meer nach Lissabon. Klar, mit dem Flugzeug eine Sache von drei Stunden, aber die Jungs wollten eine richtige Herausforderung und sind mit dem Fahrrad in die portugiesische Metropole aufgebrochen. 45 Tage waren sie unterwegs, legten über 4500 Kilometer zurück und durchquerten acht Länder. Wie das geht? Mit großer Freundschaft, Begeisterung und starkem Willen. Klar ist aber auch, dass sie keine Fahrrad-Anfänger sind. In den vergangenen Jahren sind sie mit dem Drahtesel schon nach Kopenhagen und Kroatien gefahren, darüber hat Vašek Michovský sogar ein Buch geschrieben. Dieses Jahr wurde die Tradition fortgesetzt, und diesmal ging es Richtung Westen, und zwar so weit es geht.
Vašek, wieso hast du dein neues Buch nicht dabei?
Vašek: Das braucht wohl noch ein bisschen Zeit, bis ich das innerlich alles sortiere und schaue, was das Interessanteste, Wichtigste, Beeindruckendste war. Erst wenn ich merke, dass es sich lohnt, fange ich an zu Schreiben. Diesmal bin ich aber schon mit dem Gedanken losgefahren, dass vielleicht ein Buch entstehen könnte. Deshalb habe ich mir neben dem Reisetagebuch auch persönliche Notizen gemacht, die ich den Jungs nicht gezeigt habe. Jetzt kann ich mich besser an den konkreten Tag erinnern und auch die direkte Rede verwenden, das macht den Text lebendiger. Gerade das hat mich beim ersten Buch ein wenig eingeschränkt, weil ich den Jungs nichts in den Mund legen wollte, was sie nicht gesagt haben.
Was haben eure Eltern und Freunde gesagt, als ihr das erste Mal über die Reise nach Lissabon gesprochen habt?
David: Es ist schade, dass die das schon als etwas ganz Normales betrachteten. Wenn wir es bis Kopenhagen und Kroatien geschafft haben, dann schaffen wir es bestimmt auch nach Lissabon, sagten sie. Für uns war das aber eine riesige Herausforderung, weil der Weg nach Lissabon viermal so lang ist.
Vašek: Auf eine gewisse Weise war diese Erwartung der anderen für uns bindend. Dabei waren wir uns diesmal überhaupt nicht sicher.
Wie war es denn unterwegs? Gab es Momente, wo ihr aufgeben wolltet?
Vašek: Bei unseren vorherigen Touren hatte ich das nicht, aber diesmal schon, das war nach 22 Tagen auf dem Fahrrad. Als wir auf einem Campingplatz in Frankreich ankamen, schauten wir uns die Karte an. Da wurde uns klar, dass wir mindestens noch mal so viel Strecke vor uns haben. In dem Moment kamen mir ernsthafte Zweifel, ob wir das packen.
Es war also weniger ein körperliches Problem, sondern eher die Vorstellung der enormen Entfernung, die euch Angst gemacht hat?
Vašek: Genau. Von der Psyche her war das viel anstrengender.
David: Bei den vorherigen Touren haben wir meinetwegen 1200 Kilometer eingeplant, im Endeffekt waren es dann vielleicht 1000. Im Falle von Lissabon sind aber aus den geplanten 3000 Kilometern schließlich 4000 geworden. Andererseits kommt es einem erst dann richtig weit vor, wenn man mit dem Auto oder dem Flugzeug zurückreist.
So eine lange Fahrt zu bewältigen ist nicht ganz ohne. Habt ihr euch im Vorfeld speziell vorbereitet?
Vašek: Dieses Jahr waren wir im Erzgebirge. Da sind wir das erste Mal in neuer Zusammensetzung gefahren, haben die neue Ausrüstung getestet. Dass wir in schwierigem Gelände gefahren sind, hat uns natürlich auch körperlich weitergebracht.
David: Ich denke aber auch, dass wenn man übers Jahr zumindest ein wenig Sport treibt, dann ist die körperliche Vorbereitung nicht ganz so wichtig. Die ersten zwei Tage im Sattel sind zwar anstrengend, aber allmählich gewöhnt sich der Körper daran, dass 100 Kilometer am Tag gefahren werden, und dann wird es angenehmer.
Gab es unterwegs irgendwelche größeren Komplikationen?
Vašek: Vor allem hatten wir alle befürchtet, dass wir Knieprobleme bekommen. Und paradoxerweise musste ausgerechnet David, der damit nie Probleme hatte, wegen des Knies in Genf aufgeben.
David: Ich hatte schon am dritten Tag Probleme, aber den Jungs habe ich das erst erzählt, als ich die Schmerzen nicht mehr aushielt. Da war es aber schon zu spät. Wir hätten einen Tag Pause einlegen können, oder Vašek hätte mir Tabletten geben könne, aber ich hatte mir das Knie richtiggehend kaputt gemacht.
Vašek: David hat die ganze Zeit geschwiegen, dann kommen wir in Lausanne an, und plötzlich sagt er: „Mensch, mir tut das dermaßen weh, morgen fahre ich wahrscheinlich nach Hause.“ Das war ein Riesen-Schock für uns. Wenn ich das schlimmste Erlebnis der Reise nennen sollte, dann muss ich nicht lange nachdenken.
Das tat nicht nur den Jungs, aber wahrscheinlich vor allem dir, David, sehr Leid.
David: Ich war vorher noch nie in Spanien, Gibraltar oder Portugal, auf die Reise hatte ich mich also sehr gefreut. Andererseits war das nach den furchtbaren Schmerzen auch eine Befreiung. Das war wieder eine weitere Erfahrung: Räder reparieren, den Weg planen, das haben wir schon alles drauf, aber mit solchen gesundheitlichen Problemen waren wir noch nicht konfrontiert.
Habt ihr mal nachgerechnet, was euch die Reise nach Portugal gekostet hat?
Vašek: Ursprünglich haben wir gedacht, dass wir mit zehn Euro pro Tag auskommen. Das hätte natürlich geklappt, aber ich bin der Meinung, dass das Urlaub ist, und wenn ich da auf etwas Lust habe, dann kaufe ich mir das und fange nicht an rumzurechnen, ob das Bier ein oder vier Euro kostet. Schließlich haben wir rund 15 Euro täglich ausgegeben, die Reise hat uns also einschließlich Unterkunft in Lissabon, Rückflugticket und sonstigen Ausgaben etwa 1100–1300 Euro gekostet.
Das geht doch eigentlich, vor allem wenn man bedenkt, dass ihr die gleiche Summe für 14 Tage in einem besseren südspanischen Hotel bezahlt hättet.
Vašek: Klar, und wir haben dafür noch sechs Reisewochen mit einer ganzen Menge an Erlebnissen. Außerdem haben wir dieses Jahr zum ersten Mal ein offenes Konto im Internet genutzt. Da konnte jeder unsere Reise finanziell unterstützen. Auf diese Weise sind über 1000 Euro zusammengekommen, davon haben wir die Unterkunft und für jeden die Hälfte des Flugtickets bezahlt. Wir hätten nie gedacht, dass so viel Geld zusammenkommt, also ein großes Dankeschön an alle, die dazu beigetragen haben!
David: Das kam auch daher, dass uns früher unsere Eltern was in die Hand gegeben hatten, jetzt konnten sie das direkt aufs Konto schicken.
Vašek: Sicher, das meiste Geld kam von Leuten aus der Familie, aber auch so war das eine super Erfahrung. Nicht nur, dass die Leute unsere Tour mitverfolgen, sondern auch bereit sind, uns finanziell zu unterstützen. Wir haben uns deshalb auch bemüht, mehr Aktivitäten nach außen zu entwickeln – es gab für Interessierte vor der Reise eine Zusammenkunft, wir haben eine Webseite ins Netz gestellt und auch GPS-Tracking übers Handy verwendet, dadurch konnten die Leute über Internet nahezu in Echtzeit verfolgen, wo wir uns gerade befinden. Das große Interesse hat mich echt überrascht. Das gipfelte darin, dass unter den treuesten Fans, die uns bei der Rückkehr am Flughafen einen Empfang bereitet haben, sogar ein vollkommen Fremder war.
Was reizt euch dabei am meisten – ist es der Weg, die Reise oder doch eher die Erwartung, endlich das Ziel zu erreichen?
Vašek: Ich denke, dass das, was wir tun, der lebende Beweis dafür ist, dass der Weg das Ziel ist, und wir freuen uns auf alles, was mit diesem Weg in Zusammenhang steht. Man kann vollkommen abschalten und sich ausschließlich auf den konkreten Tag konzentrieren – vor allem darauf, etwas zu Essen zu organisieren, einen Schlafplatz zu finden, nicht nass zu werden, und wenn man doch nass wird, sich nichts daraus zu machen.
David: Und vor allem ist das Fahrrad ein großartiges Verkehrsmittel, weil man ausreichend schnell fahren kann, um täglich eine gewisse Strecke zurückzulegen und gleichzeitig ausreichend langsam ist, um das Land deutlich wahrzunehmen. Man kann es kennenlernen, Leuten begegnen; es ist einfach sehr viel persönlicher, als wenn man mit dem Motorrad oder Auto unterwegs wäre.
Ihr habt so viele Länder gesehen und dort zahlreiche Menschen getroffen – habt ihr dadurch Vorurteile oder Meinungen, die ihr vorher vielleicht hattet, revidieren müssen?
David: Mich hat Dänemark sehr überrascht. Wir hören über die Dänen vor allem dann, wenn wieder Schüler von dort massenhaft nach Prag kommen, um sich zu betrinken. In Wirklichkeit sind wir sehr angenehmen Menschen begegnet. Zum Beispiel hat uns da jemand einfach in seinem Garten übernachten lassen. Als ich dann später so darüber nachdachte, sagte ich mir, dass vielleicht die Leute immer angenehmer werden, je weiter man von Zuhause weg ist.
Vašek: Ich habe durch unsere Reisen wohl am ehesten meine Meinung über Deutsche geändert. So sind wir auf dem Weg nach Kopenhagen einem Herren begegnet, dem wir erzählt haben, wer wir sind und was wir machen, und der hat uns dann von selbst angeboten, bei ihm in der Wohnung zu übernachten. Schließlich stand uns eine ganze Dachgeschosswohnung zur Verfügung, und er hat uns sogar den Schlüssel von seinem Haus gegeben. Das hätte ich wirklich nicht erwartet. Und dieses Jahr war das genauso. Wenn wir irgendwo angehalten haben, um nach dem Weg zu schauen, haben die Leute fast darum gekämpft, uns helfen zu dürfen. Ich kann also über die Deutschen nicht ein schlechtes Wort sagen – ich habe sie als äußerst zuvorkommendes und hilfsbereites Volk kennengelernt.
Wenn man sich eure bisherigen Reisen anschaut, dann müsste der nächste Weg Richtung Osten führen. Gibt es schon irgendwelche Pläne?
David: Es war nie so, dass wir uns klar waren, wann die nächste Reise geplant wird. Untereinander haben wir über eine Reise Richtung Osten eigentlich noch gar nicht gesprochen, auch wenn wir alle wissen, dass wir das machen wollen. Der wichtige Impuls kommt immer zu Jahresbeginn, also können wir uns darauf freuen.
Vašek: Bis jetzt gibt es kein Projekt, aber es stimmt schon, dass ich nach den drei Jahren immer noch nicht den Spaß daran verloren habe, und es wäre schade, diesen Kreis der vier Himmelsrichtungen nicht zu schließen. Allerdings stehen uns Examensprüfungen bevor, und die politische Situation im Osten ist nicht die beste, also ist es schwierig zu planen. Wer weiß, ob wir den Osten im Sommer, in zwei Jahren oder mit unseren Kindern in 30 Jahren schaffen, aber ich würde da furchtbar gerne noch hinfahren.