Toiletten für alle
Wie man die Welt durch Radfahren verbessert
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ein Urlaubssemester mit Inhalt zu füllen. Erik Fährmann ist nach Indien gefahren. Mit dem Fahrrad.
Zehn Länder haben Erik Fährmann, Thomas Jakel, Maushami Chetty und Johann Angermann in sechs Monaten mit dem Fahrrad durchquert. Auf dem Weg in den indischen Bundesstaat Maharashtra haben die jungen Berliner 10.000 Kilometer zurückgelegt, auf denen sie für das gemeinnützige Ziel ihrer Radtour geworben haben. Die vier haben ein Projekt ins Leben gerufen, um in Garade, einem Dorf südöstlich von Mumbai, den Bau von Trockentoiletten zu finanzieren.
„Mehr als 800 Millionen Inder, über 70 Prozent der Bevölkerung, leben ohne Zugang zu einer Toilette“, erklärt Erik den Hintergrund des Projekts (www.gutsforchange.de). Die Notdurft im Freien, die so genannte open defecation, sei der Grund dafür, warum das Trinkwasser in Indien und vielen anderen Entwicklungsländern so sehr verschmutzt sind, dass daran weltweit täglich 6.000 Menschen sterben. „Trockentoiletten sind eine einfache Lösung für das Problem“, sagt Erik. „Sie sind nachhaltig, weil die Fäkalien so recycelt werden, dass sie anschließend nicht ins Trinkwasser gelangen.“
Die Spendenkampagne brachte 13.000 EuroDas Problem: Sanitäranlagen sind teuer, in Dörfern wie Garade gehört open defecation außerdem zur kulturellen Normalität. „Man kann nicht einfach dorthin gehen, und Trockentoiletten aufstellen. Das muss in enger Abstimmung mit den Einwohnern geschehen“, erklärt Erik.
Die Finanzierung ist dabei das geringere Problem: Mit ihrer Spendenkampagne haben die vier Radfahrer bereits jetzt 13.000 Euro eingetrieben. Das Geld investieren sie in das Toilettenprojekt sowie in einen Dokumentarfilm über ihre Reise, der im April 2013 erstmals in Berlin gezeigt wurde.
Dass Erik an der Radtour teilgenommen hat, liegt nicht nur an dem Toilettenprojekt. „Es hat mich interessiert zu sehen, wie die Mehrheit der Menschen auf der Welt eigentlich lebt. Der Luxus, den wir in Europa haben, gehört ja schon einer winzigen Minderheit.“
Iran: Zwischen Gastfreundschaft und InternetzensurMitunter am meisten beeindruckt haben ihn auf dem Weg nach Indien die jeweils etwa zweimonatigen Aufenthalte in der Türkei und dem Iran. „Es ist natürlich ein ganz anderes Gefühl, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein als mit dem Bus oder mit dem Auto. Allein die Tatsache, dass man so nah am Boden ist, macht eine Reise viel intensiver“, beschreibt der 27-Jährige seine Eindrücke.
Gerade in der Türkei und im Iran sei ihnen besonders viel Gastfreundschaft begegnet. „Als Berliner habe ich ja mein Leben lang Tür an Tür mit türkischstämmigen Menschen gelebt. In der Türkei ist mir erst aufgefallen, dass ich über deren kulturelle Hintergründe eigentlich gar nichts weiß.“
Auf der weiteren Reise habe es ihn wiederum überrascht, dass viele Iraner sich der ausländischen Radfahrergruppe gegenüber offen regierungskritisch geäußert hatten. „Ich hatte das Gefühl, dass jeder, dem wir im Iran begegnet sind, uns unbedingt einen positiven Eindruck von der Gesellschaft vermitteln wollte.“ Das sei den Iranern auch gelungen – „Wir haben im Iran die wohl beste Zeit verbracht. Wenn man mal von der Internetsituation absieht“, bemerkt Erik mit Verweis auf die dort herrschende Zensur.
Abenteuer mit VorbereitungWenn Erik von der Radtour erzählt, klingt das zunächst nach einem großen Abenteuer. Tatsächlich war die Reise vor allem eine bis ins Detail geplante Angelegenheit – von den Visa für die außereuropäischen Länder bis hin zu der konkreten Vorbereitung auf die Durchquerung der Länder. So begann die Gruppe ab der Türkei mit Crash-Sprachkursen für jedes Land, das sie durchquerte.
Kommunikation war jedoch schon vor Reisebeginn ein Thema gewesen. „Wenn man über Monate hinweg 24 Stunden am Tag miteinander verbringt, sind gelegentliche Krisen ja vorhersehbar“, sagt Erik. „Wir haben deshalb schon vorab versucht, uns mit Methoden und Literatur zum Thema auf zwischenmenschliche Konflikte vorzubereiten. Und natürlich kommt es auf so einer Reise zu solchen Situationen, weil jeder andere Bedürfnisse hat.“ Was da hilft? „Kommunikation“, sagt Erik, der seit seiner Rückkehr von der Tour wieder Kulturwissenschaften studiert.
Mit dem Ziel, eine nachhaltige Idee in einen anderen Teil der Welt zu transportieren, ist Erik mit dem Fahrrad losgefahren. Was er langfristig selbst von der Reise mitgenommen hat, bringt er ziemlich genau auf den Punkt: „Ich habe nicht mehr das Bedürfnis, an zwei Orten gleichzeitig sein zu müssen. Es mindert die Qualität des ersten Erlebnisses, wenn ich mich gleichzeitig in ein anderes wünsche.“