„Herr Bachmann und seine Klasse“, Maria Speth
Im Innern des Raums und darüber hinaus

Filmstill „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth, 2021
Filmstill aus „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth, 2021 | © Madonnen film

Der im offiziellen Wettbewerb der Berlinale 2021 gezeigte Dokumentarfilm folgt den Methoden eines unorthodoxen Lehrers mit einer Gruppe von Schüler*innen aus neun verschiedenen Ländern.

Von Miguel Muñoz Garnica

Die Dokumentation beginnt mit einer Reihe von Landschaftsaufnahmen des hessischen Dorfes Stadtallendorf. Riesige Schornsteine ragen über die Skyline, die die industrielle Prägung der Stadt zeigen, das Substrat aktueller demographischer Entwicklungen. Denn 70 Prozent der Bevölkerung in Stadtallendorf machenEingewanderten und ihren (direkten) Nachkommen aus und 25 Prozent haben nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Schauplatz bietet daher eine kostbare Stichprobe der neuen soziokulturellen Wirklichkeiten in Europa. Speth geht es nicht darum, das große Ganze zu zeigen, sondern schließt ihre Bilder in das Klassenzimmer von Herrn Bachmann ein, einem unorthodoxen Lehrer, der Teil eines schulischen Integrationsprogramms ist. Ein Jahr lang bereitet er Studierende – aus neun verschiedenen Ländern – mit Anpassungs- oder Lernschwierigkeiten auf ihre spätere Eingliederung in den regulären Unterricht vor.

Beobachtung

Nun, dieser größere Kontext, der die vier Wände des Klassenzimmers einrahmt, wirft eine Reihe von grundlegenden Fragen auf, die mit den Bildern in Bezug gesetzt werden. Im Wesentlichen: Wie sollte das Bildungssystem auf die Migrationsdynamiken reagieren, die Europa verändern? Wo liegt das Gleichgewicht zwischen Integration und kultureller Vielfalt? Speth hütet sich sehr davor, hier eine These aufzustellen, sondern beschränkt sich auf eine geduldige und liebevolle Beobachtung der Methoden von Herrn Bachmann. Tatsächlich ist der Dokumentarfilm aus einer Einladung des letzteren an den Regisseur hervorgegangen, mit dem sie eine langjährige Freundschaft verband. Und Bachmann ist zweifellos ein faszinierender Protagonist. Selbst ein gesellschaftlicher Outsider, ein ehemaliger Revolutionär und Künstler, wird er zu einem Lehrer, der nie in ein konventionelles Profil gepasst hätte, und dessen Lehrphilosophie die Grenzen zwischen dem Lehrplan und Lebenslektionen verwischen lässt. Sein Unterricht reicht von Mathematik oder Deutsch bis hin zu kleinen Rockdarbietungen oder Bastelaktivitäten.
Filmstill „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth, 2021
Filmstill aus „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth, 2021 | © Madonnen film

Dauer

Im Grunde zeigt der Film uns aus nächster Nähe, wie sich langsam ganz unterschiedliche Identitäten herausbilden. Kinder oder Jugendliche, die praktisch vor unseren Augen ihre Individualität formen, während sie diese mit ihrer Situation, in zwei Kulturen aufzuwachsen, verhandeln. Deshalb setzt Speth auf die Dauer - fast vier Stunden -, welche sich dadurch rechtfertigt, dass die Montage dieses Ensemblefilms so gestaltet ist, dass wird jede*n Schüler*in recht gut kennenlernen -, die Szenen verlängert werden und dass das Wachstum vom Anfang bis zum Ende sichtbar ist. Das heißt, die Art und Weise, wie sich Erzählzeit und erzählte Zeit – der Film umfasst ein ganzes Schuljahr – überlappen und die enormen Fortschritte der Jugendlichen aufzeigt, bevor sie sich wieder von ihnen trennt.

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