„Alle anderen“, Maren Ade Deutsche Filme für den Sommer (II)
In ihrem zweiten Spielfilm erzählt Ade die Geschichte eines Paares, das im Urlaub in eine Krise gerät.
Von Miguel Muñoz Garnica
Chris (Lars Eidinger) ist mit dem Rücken zur Kamera in der rechten Bildhälfte zu sehen. Auf der linken Seite teilt eine Wand das Bild in zwei Hälften. Er hält ein Handtuch, eine Schwimmbrille und Flossen in den Händen. Im Hintergrund: eine Steinmauer. Die Komposition umschließt eine Figur, die – das sagt uns seine Ausrüstung – bis vor einer Minute noch auf dem Weg zum Strand war, um dort einen gewöhnlichen Urlaubstag zu verbringen. Es folgt ein Schnitt und Chris erscheint nun von vorne, auf der rechten Seite einer Totalen. Auf der gegenüberliegenden Seite ist Gitti (Birgit Minichmayr) zu sehen, sie wirkt eingeschüchtert, ihr Blick ausweichend. Als ob die beiden so weit wie möglich an den Bildrand gehen möchten, um möglichst großen Abstand zueinander zu haben. Was ist mit Chris und Gitti los?
„Wir“
An diesem Punkt im Film – die oben zitierte Szene markiert das Ende – wissen wir bereits Bescheid. Alle anderen spielt auf Korsika und versetzt uns in einen illusorischen Raum, der uns das Paar als eine Insel wahrnehmen lässt. Zumindest für eine gewisse Zeit. Chris und Gitti nehmen sich ein paar Tage Zeit für sich selbst, um frei von gesellschaftlichen Konventionen ihr kleines Schauspiel aufzuführen. Maren Ade lässt uns Publikum dieser enorm intimen Momente werden, die eines Paares, das zunächst nichts weiter tut, als sich gegenseitig kleine Witze zu erzählen, und dann, Szene für Szene, zu zeigen, wie die Beziehung langsam zerrüttet, wenn unweigerlich die anderen die Bühne betreten. Denn Alle Anderen ist vor allem ein frustrierender Tag am Strand. Die Erkenntnis, dass die Sommerferien weniger ein Ausnahmezustand als vielmehr eine angespannte Lethargie vom Druck des Arbeits- oder alltäglichen Lebens sind.
„Die anderen“
Was ist nun mit Chris und Gitti los? Wir können die Frage auf einer anderen, aufschlussreicheren Ebene beantworten. Das Paar lädt Hans, einen erfolgreichen Freund von Chris und dessen Frau zu sich nach Hause ein – und von da an bestimmt dieser eindeutig das Verhalten der anderen. Der implizite und brutale Vergleich, den er mit seiner Anwesenheit erzwingt, hat Chris' Sommer ruiniert. Dann spielt ein Lied von Herbert Grönemeyer auf einer Musikanlage. In der Aufnahme sehen wir Chris und Gitti, die still und regungslos wie Statuen die Verse mitsingen: „Ich hab dich lieb, so lieb ... lieber als du denkst“. Hans schaltet spöttisch die Musik aus und läuft durch dieselbe Einstellung. Dies tut darauf auch Gitti und beendet damit die unangenehm starre Situation in dieser Aufnahme. Und dort, in ihren Blicken, die sich nicht treffen, und in Gittis Abgang, offenbart sich, dass die Liebesbekundungen und der Tanz, den wir nie zu Gesicht bekommen, in der Luft schweben und sich von ihren Körpern getrennt haben. Dass man ihnen ihr sommerliches Schauspiel gestohlen hat und sie nur, indem sie es sich zurückholen, etwas miteinander anzufangen wissen – so erklärt sich die Schlusseinstellung des Films.