„Je suis Karl“, Christian Schwochow
Deutsches Filmfestival (I)
Schwochow lenkt die Geschichte einer Familie, die durch einen Terroranschlag zerrüttet wurde, in einen Warnruf vor neofaschistischen Bewegungen um.
Von Miguel Muñoz Garnica
Nach dem Vorbild von Filmen wie New Order – Die neue Weltordnung (Michel Franco, 2020) befasst sich Je suis Karl mit dem Phänomen der neuen rechtsextremen Bewegungen, wobei der Film allmählich in eine Dystopie abdriftet, in Richtung von überaus radikalen „Was-wäre-wenn“-Szenarien, in die uns die angstgetriebene politische Hetze führen kann. Mit anderen Worten: was, wenn der Neofaschismus an die Macht kommt? Diese dystopische Komponente von Je suis Karl kann uns kalt erwischen, denn Schwochow versteckt sie hinter einer anfänglich intimen Geschichte über Verlust. Maxi (Luna Wedler) und Alex (Milan Peschel), Tochter und Vater, haben die übrigen Mitglieder ihrer Familie bei einem Terroranschlag verloren. Die Art und Weise jedoch, wie der Moment festgehalten wird, in dem die beiden die Nachricht erhalten – mit Darbietungen, die nicht mit Schmerzensschreien geizen und die auf dem Höhepunkt dieses inszenierten Leids jäh abgeschnitten werden – hätte uns vorwarnen müssen. Es geht darum, gerade Linien zwischen primären Gefühlen wie Schmerz, Wut oder Hass zu ziehen, welche die Zündschnur des Populismus entzünden.
Daher ist die Struktur von Ich bin Karl so gestaltet, dass mögliche Abweichungen von diesen Geraden korrigiert werden. Um Spannungselemente zu vermeiden, die ablenken könnten – und um die Gleichung zu kürzen, indem der islamistische Terrorismus aus ihr herausgestrichen wird – erlaubt sich Schwochow, den Fokus auf die Protagonisten zu brechen und uns durch eine Analepse die wahren Täter des Anschlags aufzuzeigen. So unterbricht er narrative oder zeitliche Geradlinigkeiten zugunsten einer vorrangigen ideologischen Geradlinigkeit. Auch Alex’ Gefühl der Anziehung zur titelgebende Figur Karl (Jannis Niewöhner), einem charismatischen jungen Aktivisten einer Bewegung für die „europäische Erneuerung“, könnte die Erzählung in Richtung einer Liebesgeschichte lenken, die die fanatischen Pläne des jungen Mannes ins Wanken bringt. Um jeden Zweifel daran zu zerstreuen, fügt Schwochow mehrere Aufnahmen ein, in denen Karl allein sein eigenes Spiegelbild küsst.