Claire Courdavault im Gespräch
Feministische Kunst verändert das Stadtbild
Gemeinsam mit den Frauen des Pariser Viertels der Goutte-d’Or malt die Künstlerin Claire Courdavault eine riesige Freske. Ihr Ziel: dem weiblichen Geschlecht mehr Platz im öffentlichen Raum geben.
Wir treffen uns in einem kleinen Café in der Rue de la Goutte d‘Or im 18. Arrondissement von Paris. Sie könne den Tag nicht ohne Kaffee beginnen, rechtfertigt Claire Courdavault die Wahl des Treffpunkts. Ende 2017 malte die 31 Jahre junge Künstlerin hier, keine zehn Meter entfernt, mehrere Wochen lang eine 30 Meter lange Freske für und mit den Frauen des Viertels. Es ist eine Auftragsarbeit für die Stadtverwaltung, gleichzeitig aber vor allem eine Hommage an diese Frauen, die im noch immer männlich dominierten öffentlichen Raum ihren Platz einnehmen wollen.
Stefanie Eisenreich: Guten Tag, Claire! Du hast hier in dieser Straße mit und für die Frauen dieses Viertels eine enorme Freske gemalt. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Claire Courdavault: Ich habe auf eine Ausschreibung der Stadtverwaltung geantwortet. Die Holzpalisade, auf die ich die Freske gemalt habe, wurde auf Anfrage der Bewohner nach mehreren gemeinsamen Treffen zur Gestaltung des Viertels, errichtet. Und da es sich um eines der vielen Viertel handelt, die nach wie vor stark von Männern dominiert werden, hatte ich schnell die Idee, den Frauen hier mit der Freske einen Platz im öffentlichen Raum zurück zu geben. Daher auch die Idee der starken Frauenfiguren, die man in der Freske sehen kann. Ich nenne sie auch die Hüterinnen oder Beschützerinnen.
„Die meisten haben sich gefreut.“
Und die Männer? Wie haben sie darauf reagiert als du begonnen hast, an der Freske zu arbeiten?Ah, hier im Viertel begegnet man fast ausschließlich Männern. Es gab also sehr viele verschiedene Reaktionen! Sie haben mich zum Beispiel gefragt, warum ich keine Männer male, klar. Manchmal, wenn ich auf der Straße arbeite, kommt es vor, dass ich als Schlampe beschimpft werde. Aber hier haben sich die meisten eigentlich gefreut, dass die Freske ein bisschen Farbe in ihr Viertel bringt.
Ist die Street-Art-Szene deiner Meinung nach ein sehr von Männern dominierter Bereich?
Ja, nach wie vor. Es ist schon ziemlich heftig, so wie das aber allgemein der Fall ist in diesen beruflichen Milieus, die von Männern dominiert sind. Da gibt es eine Mischung aus Ignoranz, Geringschätzung und Bevormundung. In der Street Art Szene ist das recht subtil. Das ist eher ein Bereich, in dem man sich gern cool und entspannt gibt. Aber mir ist es schon passiert, dass ich mit einem Künstler zusammengearbeitet habe, und während der ganzen Arbeit an dem Gemeinschaftsprojekt war ich in den Augen der Anderen, die vor Ort waren, unsichtbar.
Wenn man ein bisschen recherchiert, bekommt man schnell den Eindruck, dass es gerade in der Kunstszene viele versteckte Konflikte dieser Art gibt...
Oh ja! Das erinnert mich an ein Magazin namens Gonzine. Die Künstlerin Sarah Fist’Hole hat es gegründet, um die Arbeit der Zeichnerinnen hervorzuheben und ihnen eine Plattform zu bieten. Diese Frauen haben viele Schwierigkeiten zu veröffentlichen, gute Verträge zu bekommen oder überhaupt ernst genommen zu werden. Es ist sehr selten, dass Frauen in diesen Bereichen genauso schnell vorankommen und Erfolg haben wie Männer.
Ist der Akt des Zeichnens für dich wie eine Performance oder eher etwas ganz Intimes?
Beides. Im Fall der Straßenkunst entscheidet man sich bewusst dafür, aus dem Intimen herauszutreten, weil man ja auf der Straße arbeitet. Aber es ist extrem intim, den Ort und das Motiv auszuwählen, dies vor den Augen aller zu tun und in ständiger Interaktion mit einem Publikum zu stehen. Aber ich bin überzeugt, dass es auch ein politischer Akt ist, das Intime sichtbar zu machen. Das gilt auf jeden Fall für meine Kunst, die ich sehr mit meinen feministischen Idealen verknüpfe.
Daher auch die Wahl der Frau als zentrale Figur deiner Werke?
Ich war immer schon vom Schicksal starker Frauen fasziniert. Als ich klein war, habe ich mir bereits tausend Fragen über all diese Ungleichheiten gestellt. Warum sollten Frauen etwas nicht tun können? Ich interessiere mich sehr für Ökofeminismus, einer Bewegung, die in den 1960er-Jahren in den USA entstanden ist und Feminismus mit ökologischen Idealen verbindet. Die Frauen dieser Bewegung eignen sich die Figur der Hexe neu an und wollen verstehen wie es in der Geschichte zur Unterdrückung der Frau kommen konnte. Sie praktizieren Riten der Emanzipierung, um sich Kraft zu geben. Diese Symboliken zu nutzen heißt für mich auch, sich durch die Kunst neu zu emanzipieren.
„Es ist unmöglich für mich, nichts zu tun.“
Denkst du, dass diese Freske oder ähnliche Aktionen etwas ändern und den Frauen im öffentlichen Raum wie auch in der Kunstszene einen größeren Platz einräumen können?Davon bin ich überzeugt. Aktionen wie diese Freske ändern immer etwas, auch wenn es nur ein kleiner Tropfen in einem riesigen Ozean ist. In jedem Fall aber ist es mir unmöglich, nichts zu tun. Ich möchte meine Hände dafür nutzen, Schönes zu schaffen und einen anderen Blick auf die Dinge möglich zu machen. Wir dürfen nicht vergessen, dass in der Geschichte der Kunst Frauen immer wieder herabgewürdigt oder sogar in die Psychiatrie gesteckt wurden. Erst in den 1940er-Jahren hat sich das etwas gelockert und auch da wurde die Arbeit der Frauen, die zu dieser Zeit vor allem Muse oder Modell waren, nicht anerkannt.