Band des Monats
Microphone Mafia

Kutlu Yurtseven (Microphone Mafia) bei einem Auftritt mit Esther und Joram Bejarano, April 2015
Bejarano & Microphone Mafia | Foto: Jwh. CC BY-SA 3.0 lu

Die Geschichte von Microphone Mafia ist nicht nur die Geschichte der Entstehung der Hip-Hop-Szene in Deutschland, sondern auch die Geschichte des Lebens von Gastarbeitern und ihren Kindern im Köln der 1980er und 1990er Jahre. Die persönlichen Erfahrungen von Kutlu Yurtseven und Rosario Pennino, den Gründungsmitgliedern der Microphone Mafia, als damalige Jugendliche in Köln-Flittard, sind daher untrennbar mit ihrer Musik verbunden. Heute gilt die Microphone Mafia als einer der ältesten noch aktiven Hip-Hop-Crews Deutschlands.

Von Nicolas Garay Lukas

Therapie gegen Feindseligkeit

Microphone Mafia wurde 1989 als TCA the Microphone Mafia von vier Schulfreunden im Stadtteil Köln-Flittard gegründet. TCA stand für „Therapy Contra Animosity“ (Therapie gegen Feindseligkeit). Im Jahr 1991 präsentierte sich die Band erstmals offiziell im klassischen Line-Up mit den drei Rappern Dennis „Dio“ Morel, Kutlu „Little Asia“ Yurtseven, „Segnore“ Rossi Pennino und DJ Önder Bardakci. Hauptmerkmal der Gruppe war zu Beginn die abwechselnde Verwendung der Sprachen Deutsch, Italienisch, Neapolitanisch, Türkisch und Englisch. Die Gruppe suchte und fand im Hip-Hop, angelehnt an ihre Rapper-Vorbilder aus den USA, ihre künstlerische und politische Befreiung.

Underground statt Durchbruch

In den 90er Jahren politisierte sich die Band zunehmend, vor allem als Reaktion auf die rechtsextremistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Im Jahr darauf beteiligt sich die Microphone Mafia zusammen mit anderen Rappern der deutschen Szene am Album Hip Hop Hurra! Rap gegen Rechts, das gegen den zunehmenden Rechtsruck ein Zeichen setzen wollte.

Mit ihren ersten beiden Singles No! und Hand in Hand wurde die Gruppe offiziell zum Vertreter der Toleranz und Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät. Das Lied Hand in Hand lief sogar als Anti-Rechts-Kampagne beim Musiksender VIVA.

Hand in Hand, wir kämpfen Hand in Hand / für ’ne bessere Welt mit Herz und Verstand.

Schon damals kritisiert Kutlu „Asia“ Yurtseven jedoch, dass die Band in den Medien aufgrund des Migrationshintergrunds der Mitglieder für Kampagnen gegen die rechtsextreme Szene instrumentalisiert wurde, wobei ihre künstlerischen Fähigkeiten kaum Beachtung fanden. Eine Zeit lang konnten sie von der Musik leben, aber der Durchbruch blieb trotz eines Vertrages mit einer großen Plattenfirma aus. Nichtsdestotrotz ließ sich die Gruppe nicht von ihren Grundwerten abbringen, blieb politisch und sozial ­engagiert – und Underground.

So erschien 1996 das erste Album Vendetta, das Musik in drei Sprachen enthielt und auch in der Türkei verkauft wurde. Das Album wurde jedoch nicht im deutschen Radio gespielt, weshalb die Gruppe nach diesem Misserfolg dazu überging, nur noch in deutscher Sprache zu arbeiten. Ihr zweites Album Microphonia erschien und bezog sich mehr auf orchestrale Arrangements und härtere Texte. Nach dem dritten Album Infernalia stieg Rapper Morel aus. Anschließend machten Önder Bardakci, Yurtseven und Pennino als Trio weiter.

Zusammenarbeit mit Esther Bejarano

„Mit euch erreiche ich die Jugend“, soll Esther Bejarano mal den Rappern gesagt haben.

Kutlu Yurtseven erinnert sich noch genau an die erste Kontaktaufnahme mit Esther Bejarano. Als die Ausch­witz-Überlebende ans Telefon ging, stellte sich der Rapper höflich vor: "Hallo, hier ist Kutlu von der Microphone Mafia." Es entstand eine unangenehme Pause in der ­Leitung. "Ich dachte schon, sie hätte aufgelegt", erinnert sich Yurtseven, "da schreit sie in den Hörer: Sagen Sie mal, warum ruft die Mafia bei mir an?"

Das war im Jahr 2007 und der Beginn einer erstaunlich fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen der Musikerin und ­Aktivistin Bejarano und der Rap-Gruppe aus Köln. "Wir wollten nur sechs Lieder zusammen machen, aber aus den sechs Liedern sind drei Alben geworden", erzählt Yurtseven. "Wir wollten nur ein paar Konzerte spielen, aber aus den paar Konzerten sind allein in den letzten drei Jahren, bevor uns Corona gestoppt hat, fast dreihundert Konzerte geworden."

Ergreifend wirkt bei den Auftritten stets jene Geschichte, die Esther Bejarano anfangs vorträgt: vom Mädchenorchester in Auschwitz bis zum Moment der Befreiung vom Faschismus. Auf der Bühne folgt eine Mischung aus jüdischer Musik und kölsch-türkisch-neapolitanischem Rap.

Die neugeformte Gruppe nahm Lieder der Arbeiterbewegung wie Bella Ciao, aber auch die Ballade von der Judenhure Marie Sanders von Bertolt Brecht sowie jüdische Volkslieder und überarbeitete sie mit zeitgemäßen Texten.

Wie es weiter geht

Von den ehemals vier Gründungsmitgliedern sind nach gut 30 Jahren nur noch Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino als Duo erhalten geblieben. Meistens ist es aber nur noch Kutlu, der die Mafia repräsentiert.

Die Geschichte der Microphone Mafia, ihre künstlerische Praxis und ihre politische Haltung ist heute wichtiger denn je. Man kann der Mafia zum Schluss eigentlich nur danken. Dafür, dass sie uns nicht nur so viele gelungene Lieder hinterlassen, sondern auch die letzten drei Jahrzehnte als Künstler und kritische Beobachter dabei waren.

Die Gruppe will dieses Jahr wieder auftreten und plant schon Konzerte in ganz Deutschland, zusammen mit Esther Bejarano.


DISKOGRAPHIE:

Alben:
1996    Vendetta
1999    Microphonia
2002    Infernalia
2003    Lotta Continua (Kompilation)
2006    Testa Nera
2009    Per la Vita
2013    La Vita Continua
 

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Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

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