Band des Monats
Fynn Kliemann

Fynn sitzt mit Synthesizer auf der Couch
Fynn Kliemann | © Valentin Ammon

„Immer bisschen mehr als die andern
Früh angefang'n, wenn nicht jetzt, bitte wann dann?
Gibt nicht viel, was ich nicht lern'n kann
Für ferne Ziele lohnt sich's zu wandern“

(aus Fynn Kliemanns Song Morgen, 2018)

Musiker, Songwriter, Produzent, Heimwerker, YouTuber, Unternehmer, Webdesigner, Künstler. Fynn Kliemann ist – untertrieben ausgedrückt – eher vielseitig unterwegs.

Von Lisa Ehrenburg

„Ich glaub, ich kann alles“

„Ain’t no mountain high enough, ain’t no valley low enough“, das könnte sein Motto sein, denn er hat keine Angst vor neuen Herausforderungen. Für Angst hat er auch gar keine Zeit. Bei, nach eigenen Aussagen, bis zu einer Million neuer Ideen pro Tag kann die Zeit schon mal knapp werden. Stattdessen macht er einfach. Seien es unzählige DIY-Bauprojekte, wie der Umbau eines alten Hausbootes zu einem Studio, ein Podcast, eine Dokumentation, zwei Alben, ein Musiklabel, faire Klamottenproduktion, ein Blog, ein Buch, drei YouTube-Kanäle und und und… Machen, anpacken, ausprobieren, scheitern, wiederholen, bis es klappt. Das ist sein offen kommuniziertes Erfolgsrezept.

Fynn, der Macher und Künstler

Der 33 jährige Fynn ist in Heeslingen, einem kleinen Städtchen in Niedersachsen, aufgewachsen und lebt heute noch in der Nähe. Aus einem alten Bauernhof in Norddeutschland baut er sich 2016 mit einer Gruppe von Leuten seine eigene Welt - das Kliemannsland - einen Kreativhof, der zugleich auch eine Produktionsfirma und ein Veranstaltungsort ist. Das Kliemannsland bietet Abenteurer*innen, Visionär*innen und Macher*innen mit ihren Ideen und Projekten eine Spielwiese zum Austoben. Dort befinden sich ein Café, ein Atelier, ein Teich, ein Garten und vieles mehr. Schaut es euch hier selbst gerne an.

Der gelernte Webdesigner und selbst ernannte Heimwerkerkönig führt die vor fast 10 Jahren von ihm gegründete Online-Agentur herrlich media und wird mit DIY-Heimwerkervideos im Internet bekannt. Er designt und verkauft fair und nachhaltig in Europa hergestellte Kleidung seiner Marke ODERSO und ist Co-Autor eines Buches von unterhaltsam absurden Kurzgeschichten Öv Aeöv Eueij. Fast 21 beknackte Romane in großer Schrift. Als Unternehmer legt Fynn Wert auf Fairness und Nachhaltigkeit. Dafür wird ihm im Dezember 2020 der Next Economy Award, ein Sonderpreis für Nachhaltigkeit, verliehen.

2017 kauft er mit Musiker Olli Schulz das Hausboot des verstorbenen Gunter Gabriel und baut es zu einem schwimmenden Studio um, in dem Musiker*innen sich zum Schreiben, Aufnehmen und Produzieren niederlassen können. Der Umbauprozess lässt sich in der Netflix-Serie Das Hausboot mitverfolgen. Funfact: Die Band des Projekts „Deine Band“ des Goethe-Instituts war dort auch schon. Das Interview mit der Band ok.danke.tschüss findet ihr hier.

In Fynns musikalischem Format Sounds of nehmen renommierte deutsche Musiker*innen wie Catt, Clueso, Lea oder Deichkind Geräusche einer ausgewählten Umgebung auf (z.B. Berge, Werkstatt oder Freizeitpark) und bauen daraus Beats und Tracks, aus welchen spannende und unkonventionelle Songs entstehen.

Seit April 2021 bringt Fynn den Podcast Von A nach B heraus, für welchen er Menschen einlädt, die ungewöhnliche, spannende, schockierende und bewegende Geschichten von ihren Reisen erzählen.

Als sei diese Vielfalt an Tätigkeiten nicht genug, hat Fynn nun seine Leidenschaft für das Malen entdeckt. Dabei bricht er als „Amateur“ die Barriere zur Hochkultur auf und bietet seine Kunstwerke zum Verkauf an. Fynn plädiert für weniger Angst beim Kunstschaffen: „Ich hab mich viel zu lange gefragt, ob ich irgendwas darf. […] Mittlerweile bin ich mir sicher: Natürlich darf ich! […] Ich finde, alles ist für alle da und je mehr sich ausprobieren und sich dabei finden, desto besser.“ (ODERSO.) Die gleiche Meinung vertritt er, wenn es ums Musikmachen geht. Im Song Alles, was ich hab von seiner zweiten Platte singt er: „Wer's nicht versucht, ist irgendwann ganz traurig […] Komm schon, trau dich“.

Fynn, der Popmusiker

Musik macht Fynn schon sein ganzes Leben lang gern. Sein erstes Instrument ist das Schlagzeug, später spielt er Gitarre in einem Singer-Songwriter-Duo. Ein bisschen Klavier und Saxophon kann er auch. Irgendwann fängt er an, Live Sets mit der Loopstation aufzunehmen und Musik am Computer zu produzieren. „Was aufnehmen kann jeder […]. Aber klar, man muss da ein bisschen dran rumfrickeln, das mache ich nachts. Da sitze ich im Tonstudio. […] Es hat Jahre gedauert, bis ich gut geworden bin.“, erklärt Fynn (Dein SPIEGEL, 2020).

Mittlerweile hat das Energiebündel zwei Pop-Alben rausgebracht. 2018 Nie und 2020 Pop. Und das aus eigener Kraft und ohne Label. Beziehungsweise gründet er dafür kurzerhand sein eigenes Label Two Finger Records. Auch um den Vertrieb der Alben kümmert er sich selbst.

Bei der Herstellung und im Verkauf seiner Alben überlegt Fynn sich etwas Besonderes. Zu kaufen gab es das physische Exemplar ausschließlich auf Vorbestellung. Produziert wurde also nur so viel, wie es tatsächliche Abnehmer*innen gab. Als Grund dafür nennt Fynn die stetige Überproduktion von CDs und Platten, die irgendwann gar nicht mehr gekauft oder wertgeschätzt werden. Jetzt ein Album von Fynn zu erwerben, ist also nicht mehr oder nur mit etwas Glück gebraucht möglich. Hören kann man seine Songs aber trotzdem noch über Streaming-Portale wie Spotify und Co.

In der Öffentlichkeit kennt man das Multitalent als „sympathischen Chaoten“, der, stets positiv eingestellt, ein Projekt nach dem anderen jagt. In seiner Musik zeigt er sich von einer verletzlichen Seite und lässt seine Fans ganz nah an sich ran. Zustande kommt diese Nähe durch seine kompromisslose Ehrlichkeit. Er hat keine Angst davor, zu zeigen, was ihn umtreibt und lässt sein Publikum auch an den Schattenseiten seines Erfolges teilhaben.

Seine Songs klingen intim und zerbrechlich, wie eine offene Wunde. Mit rauer Stimme singt er erbarmungslos offen über seelische Zustände wie Liebe, Verlust, Rastlosigkeit, Druck und den Kampf gegen den eigenen Kopf. Seine Texte schaffen es zu berühren, ohne kitschig zu sein. „Und ich bin riesig, aber du viel größer als ich / Alles jetzt, alles wichtig, aber wichtiger als du ist mir nichts / Auch mit faltiger Haut, das hier bleibt unser Tattoo / Ganz egal, wo wir landen, mein Zuhause ist kein Ort, das bist du.“ (aus Zuhause vom Album Nie, 2018)

In den Arrangements seiner Songs werden natürliche Sounds wie echte Klatscher, Alltagsgeräusche oder der Klang eines echten Klaviers von harten Synthesizern und EDM-Beat-Elementen (electronic dance music) kontrastiert (z.B. Die Hook, Frieden mit der Stadt aus dem Album Pop). Aber auch ganz sparsame Arrangements finden auf den beiden Alben Platz (z.B. Zuhause aus dem Album Nie).

Für seine Musik wurde Fynn von 1 Live Krone gleich zwei Mal ausgezeichnet. 2018 in der Kategorie „Bester Newcomer“ und 2020 als „Bester Künstler“. Bei den MTV Europe Music Awards gewann er 2020 in der Kategorie „Best German Act“.

Live tritt Fynn leider nicht auf. Das scheint die einzige Barriere zu sein, die er nicht überwinden möchte.

Wer noch mehr über Fynn erfahren will, dem kann seine Dokumentation 100.000 – Alles, was ich nie wollte (2020) nur ans Herz gelegt werden. Ursprünglich sollte diese nur einen Tag lang in deutschen Kinos laufen, was aufgrund der Corona-Pandemie allerdings nicht möglich war. Stattdessen konnte sie 24h lang online gestreamt werden. Die Kinos wurden dabei zu 25% am Erlös beteiligt. Heute ist die Dokumentation kostenlos über Joyn zu sehen.

Wer sich nun die Frage stellt, wie dieser wahnsinnige Typ es schafft, Erfolg auf Erfolg zu verzeichnen, dem antwortet Fynn, dass ein kleines bisschen Schlaf, jede Menge Arbeit, aber auch Spaß an den eigenen Vorhaben dazugehören.

Selbstverständlich braucht es auch unternehmerisches Geschick und das Gespür für die richtigen Ideen zur richtigen Zeit: „Ich frag mich ganz oft in meinem Leben, warum das noch niemand macht. Ob das jetzt meine Platte, mein Film oder sonst was ist. Da sind so viele Sachen dabei, die haben alle nur einen Mini-Twist und werden dann super erfolgreich und es hat noch nie jemand auf der ganzen Welt vor mir gemacht.“ (Fynn, Musikexpress 2020)

Man darf also gespannt bleiben, was von ihm noch so alles kommt…

DISKOGRAPHIE:

Alben:
2018    Nie
2020    Pop
 

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Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.

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