Band des Monats
Levin Liam
Levin Liams Musik ist voller nostalgischer Sehnsucht und bittersüßer Melancholie. Oft wird die Liebe mit all ihren Facetten besungen, ohne in den Kitsch zu rutschen. Liams Musik wird getragen durch eine unverkennbar weiche und hohe Stimme, die im Zusammenspiel mit den selbstproduzierten, organischen Beats dennoch viel Tiefe besitzt. Sprachlich sind die Inhalte in Rap-üblichen Reimstrukturen verpackt, die wiederum in poppigen, aber doch ungewöhnlichen Melodien durch den Raum oszillieren. Warum das Gesamtpaket funktioniert, ohne stereotypisch zu sein, hängt nicht zuletzt mit dem poetischen, also uneindeutigen, bzw. mehrdeutigen Charakter der Lieder und Texte zusammen. Verträumt und träge. Zwischen Spleen und Ideal. Eine Musik, die in Wolken verharrt.
Von Michel Lorenz-de Laigue
Schlummern: zwei Gesichter
Levin Liam ist 1999 in Berlin geboren, aber in Hamburg aufgewachsen. Schon als Jugendlicher war er im Fernsehen und auf der Kinoleinwand zu sehen. Unter anderem hatte er die Hauptrolle im Kinofilm Wolfskinder inne und trat als Ermittlersohn im Tatort Hamburg auf. Er studierte von 2018 bis 2021 Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Die erste Sparte - Musik - blieb lange Zeit sein privates Hobby und ein persönlicher Raum, in dem er sich kreativ austobte. Bis er 2020 seine anfängliche Scheu überwand, über seinen Schatten sprang und eine damals noch englischsprachige Single veröffentlichte: Either Way. Darauf folgten noch drei weitere Singles sowie eine EP, die in Bezug zum anfänglichen Verhältnis Liams zur Musik passenderweise den Namen For Myself trug. Seine erste deutschsprachige Single Keine Geduld veröffentlichte er 2022. Wie der Sprachwechsel zustande kam, erzählt er in einem Interview:
Halb wach: Hier und da
2022 folgten mehrere Single-Releases sowie die Veröffentlichung der EP Levin Liam Leaks 2022. Ende desselben Jahres veröffentlichte der Künstler sein erstes, 10 Titel umfassendes Album Vergiss mich nicht zu schnell, das er mit dem Produzenten Cato konzipierte. Auf dem Lied lange nicht mehr hier ist auch der Hamburger Newcomer-Rapper Ansu vertreten. Auf der meistgehörten Single des Projekts - Graues Papier - wie auch auf dem restlichen Album treten Levin Liams musikalische Identität und seine nachdenkliche und selbstreflektierte Ader zutage. Und so auch seine Vorliebe für die Themen Liebe und Beziehung als lyrischer Ankerpunkt:
Seit wann bin ich mit dem Kopf nicht mehr hier?
Denk' nicht an mich, red' andauernd von „Wir“
Schreib' aus mei'm Kopf in das graue Papier
Und hoff', am Ende bringt's mich näher zu mir
Der mehrdeutige Begriff „hier“ scheint sich durch Liams Diskographie zu ziehen und beschreibt mal die Präsenz einer geliebten Person, mal die Präsenz im gegenwärtigen Moment. Liam weckt insgesamt oft den Eindruck, tief in seiner Gedankenwelt versunken zu sein. So singt er in Wieder hier, welches thematisch ältere Releases aufgreift und auf der vom Produzentenduo Miksu & Macloud produzierten EP Neue Ufer zu hören ist:
Wie oft du schon wеg warst und wieder hier
Wiе oft ich gesagt hab': „Nie wieder wir“
Sonne ballert, mir geht's gut für'n Augenblick
Das Gefühl ist gleich weg, muss es inhalier'n
Trockener Boden, der mir Staub in die Augen schickt
Blinzel' den Sand kurz weg und bin wieder hier
Doch Levin Liam kann auch witzig, selbstironisch oder unbeschwert. Auch wenn das gern übersehen wird. Neben Texten mit doppeltem Boden gelingen ihm in Rap-Manier auch Egotrip-Lieder, in denen er Kritiker auf den Boden der Tatsachen holt. So auch auf seinem viel beachteten Featurepart auf dem Lied der Berliner Rap-Ikone OG Keemo:
Gib mir noch ein Jährchen und die Scheiße hier wird unfair
Du bist auf dei'm Höh'nflug, wir hol'n dich wieder runter
Auf was ihr da schon wieder hingeschissen habt, holt ihr euch ein'n runter
Du bist nicht ma' ein Prozent, warum sagst du, du bist —
Aufwachen: Gesicht verlieren und Gesicht zeigen
Auch auf seinem vor kurzem erschienen Album Gesicht verlieren zeigt Levin Liam vielerlei Gesichter, ordnet die Geschehnisse der letzten Jahre ein und reflektiert seinen graduellen Aufstieg in der Musikindustrie. Dieser beschert ihm eben die Angst, sein Gesicht zu verlieren, also entfremdet zu werden durch die Verstrickungen und Verlockungen des Erfolgs. Doch die Angst vor Entfremdung scheint von mehr als einer Quelle herzurühren. Ihn beschäftigen eine Trennung, das Weltgeschehen sowie das Vergehen der Zeit und ihre jeweiligen Auswirkungen auf seine Identität. So singt er im Refrain des Liedes leben lang mit seiner gut beherrschten Kopfstimme:
Es reißt mich in zwei, ich will, dass sich alles bewegt
Aber zur selben Zeit will ich, dass alles besteh'n bleibt
Ganz einerlei, wohin sich das alles bewegt
Lass mich Teil davon sein, lass mich Teil davon sein
Musikalisch ist das Projekt stimmig und knapp drei Jahre nach den ersten Single-Releases auch ausgereifter. Das Album lebt von organischen Instrumenten; es kommen Klavier, Streicher, Blasinstrumente und E-Gitarren zum Einsatz. Dennoch, und das beschert der Musik einen angenehmen Wiedererkennungswert, ist eine musikalische Kontinuität zu verbuchen: Die Produktionen sind – relativ - minimalistisch gehalten und luftig. Es werden ähnliche Drumsets wie in den ersten Veröffentlichungen verwendet. Liam produzierte auf dem Album all seine Tracks selbst. Dies hebt er am Ende des Albums hervor. Nach neun introspektiven Liedern tritt Liam auf btw und aufwachen mit mehr Selbstsicherheit auf und klopft sich selbst für seine Arbeit auf die Schulter:
Ich brauchte nur ein bisschen Zeit und ich brachte mir das bei
Deswegen klebt die halbe Industrie an mei'm Ei
Deswegen zeigen die mit Fingern auf mich, gehe ich vorbei
Liam ist besorgt, die Seiten seines Ichs, die er für gut, bzw. identitätsstiftend befindet, zu verlieren. Zeitgleich strahlt er auch die Lust aus, sich mit all seinen Widersprüchen zu zeigen. Am Ende des Albums scheint er so einen Kompromiss, eine zufriedenstellende Balance gefunden zu haben. Zudem auch die Einsicht, dass Leben Prozess, Veränderung und Schmerz bedeutet:
Mittlerweile will ich’s doch lieber verlier’n
(btw)
Auch da, wo er auf dem Album entfesselt wirkt, lässt er Vorsicht walten und weiß um die Vergänglichkeit und Brüchigkeit von allem – besonders von Ruhm und Erfolg. Dies bedeutet dennoch nicht, dass er einzelne Lebensepisoden nicht genießen kann:
Und ja, ich weiß, so schnell wie's kommt, geht's auch vorbei
Deswegen bild' mir nichts drauf ein, doch manche Sachen müssen sein
[…]
Aufwachen
Ihr habt lang genug geschlafen
Zeit, dass alle aufwachen
(aufwachen)
Im April 2025 zeigt Levin Liam auf Tour sein ganzes Gesicht.
Diskografie
2024 Gesicht verlieren
2023 Neue Ufer (Levin Liam / Miksu & Macloud)
2022/23 Levin Liam Leaks
2022 Vergiss mich nicht zu schnell
Band des Monats auf Spotify
Jeden Monat stellen wir euch eine Band oder eine*n Sänger*in aus einem deutschsprachigen Land vor – den Musikstilen sind keine Grenzen gesetzt. Mit dieser Playlist könnt ihr in die Musik der vorgestellten Künstler*innen hineinschnuppern.