Aktuelle Bilderbücher
In Bildern die Welt erzählen

Bilderbuchcover
© Aladin, Jacoby & Stuart, Gerstenberg, Kunstanstifter, Moritz

Ein Kanarienvogel, der es bis nach New York schafft, ein gezeichnetes Stück deutscher Geschichte, ausgelassene Buchstaben, Seemannsgarn und ein Abenteuer rund ums Homeoffice – Bilderbücher sind mindestens so reich und bunt wie das Leben.

Von Holger Moos

Eine aus dem Harz stammende Kanarienvogelsorte, genannt Harzer Roller, wurde im 19. Jahrhundert weltberühmt: Diese Vögel konnten besonders schön singen. Ihre  Vorfahren kamen von Madeira und den Azoren nach Europa. Da die Kanarienvögel sehr schnell auf Sauerstoffmangel reagieren, wurden sie mit in die Harzer Bergbauminen genommen. Gleichzeitig besserten nicht wenige Bergleute mit der Zucht des Harzer Roller ihren Lohn deutlich auf. Hunderttausende dieser Vögel wurden bis nach Südafrika, Südamerika, Australien und vor allem in die USA exportiert. Das Bilderbuch 189 von Dieter Böge und Elsa Klever erzählt die Geschichte eines Kanarienvogels, dessen Reise gemeinsam mit 188 Artgenossen bis in die Neue Welt führt: nach New York, „wo er eine weitere große Überraschung erlebt. Zwischen wundervollen gedeckten Farben des Waldes und der Landschaft leuchtet strahlend das Gelb des Kanarienvogels, einer von 189“ (Deutschlandfunk - Die besten 7 im Monat Mai 2020).

Ein Haus im Lauf der Zeiten und ein Klabautermann

Die Illustratorin Britta Teckentrup hat ein sehr persönliches Sachbuch von Thomas Harding in ein Bilderbuch verwandelt. Sommerhaus am See erzählt die Geschichte eines Hauses am Rand von Berlin. Thomas Hardings Urgroßeltern hatten dieses Haus am Groß Glienicker See erbaut. 1936 musste die jüdische Familie vor den Nazis fliehen. Danach lebte ein NSDAP-Mitglied mit Familie in dem Haus, anschließend ein Paar, das während der Bombenangriffe aus Berlin geflohen war, und zum Schluss ein Stasi-Spitzel. 1961 errichtete die DDR mitten auf dem Grundstück die Berliner Mauer. Immer wieder steht das Haus leer. „Bis eines Tages der Autor dieses Buches sieht, dass das Haus Hilfe braucht. Zusammen mit Menschen aus dem Ort macht er sich an die Arbeit. Ein Haus, vier Familien und 100 Jahre deutsche Geschichte“ (Deutschlandfunk - Die besten 7 im Monat April 2020).
 
Viel Seemannsgarn gesponnen wird in Louise Heymans' Ein Seemann namens Ozean. Jonas findet im Keller einen winzigen Seemann, der sich als Herr Ozean vorstellt. Herr Ozean erzählt dem Jungen seine Geschichten, und die beiden schließen schnell Freundschaft. Jonas selbst ist neu in der Stadt und hat noch keinen Anschluss gefunden. Dank des klabauterhaften Winzlings kann er sich aber mit zwei Kindern aus der Nachbarschaft anfreunden – und zusammen gehen sie auf große Fahrt, festgehalten in einem poetischen Bilderbuch über das Entstehen von Freundschaften. „Seine Handlung und Figuren sind ungewöhnlich, die Sprache atmosphärisch dicht und die Illustrationen emotional berührend. Alles zusammen bringt ein Bilderbuch hervor, das tiefgründig und anspruchsvoll ist“ (janetts-meinung.de).

Gestresste Eltern, ausgelassene Buchstaben

Was alles passieren kann, wenn überforderte Eltern nicht so richtig aufpassen, erzählen Constanze Spengler und Katja Gehrmann in Seepferdchen sind ausverkauft. Mika hat Ferien, sein Papa ist daheim, muss aber noch am Computer sitzen und arbeiten. Also gibt es keinen Ausflug an den Baggersee. Aber Mika darf mit Papas Geldbeutel wenigstens alleine in eine Zoohandlung und sich ein Haustier aussuchen. Es folgt eine ebenso turbulente wie lustige Geschichte, in der verschiedene Tiere in Mikas Zuhause ein- und ausgehen, ohne dass der gestresste Papa überhaupt etwas mitbekommt. „Bilderbücher können sich auch über Erwachsene so lustig machen, dass sie nur noch Witzgestalten sind. Hier ist es noch so niedlich gemacht und dabei so logisch, dass man sich an jeder neuen Tiererwerbung und über jede folgerichtige Weiterentwicklung freut, die Mika in Gang setzt“ (titel-kulturmagazin.net).
 
Ein besonders originelles und witziges ABC-Buch ist Das ausgelassene ABC von Ina Hattenhauer. Das Wortspiel beginnt schon im Titel, denn das Bilderbuch erzeugt nicht nur eine ausgelassene Stimmung, sondern lässt auch Buchstaben einfach aus. Ohne A drückt die Taube auf die Tube, ohne C wird der Comicladen zum Omiladen usw. Kein Wunder also, dass dieses Werk in der Kategorie Bilderbuch für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020 nominiert wurde. Auch die Jury hat sich amüsiert, wie man in ihrer Begründung nachlesen kann: „Dieses Bilderbuch regt an zum Ohrenspitzen, genauen Hinschauen, lauten Lesen. Beim gemeinsamen Betrachten macht es jungen Buchstaben-Entdeckerinnen und -Entdeckern sicher genauso großen Spaß wie älteren Leseratten. Ina Hattenhauers cartoon-ähnliche Bildszenen bringen viel Augenzwinkern mit und unterstreichen den Wortwitz dieses sprachanregenden ABC-Bilderbuchs.“
 
Rosinenpicker © © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank
Dieter Böge / Elsa Klever (Illustrationen): 189
Hamburg: Aladin, 2020. 48 S.
ISBN 978-3-8489-0179-1

Thomas Harding / Britta Teckentrup: Sommerhaus am See. Das Bilderbuch
Berlin: Jacoby & Stuart, 2020. 48 S.
ISBN 978-3-96428-053-4

Ina Hattenhauer: Das ausgelassene ABC
Hildesheim: Gerstenberg, 2019. 56 S.
ISBN 978-3-8369-5623-9

Louise Heymans: Ein Seemann namens Ozean
Mannheim: Kunstanstifter Verlag, 2020. 48 S.
ISBN: 978-3-942795-60-9

Constanze Spengler / Katja Gehrmann (Illustrationen): Seepferdchen sind ausverkauft.
Frankfurt am Main: Moritz, 2020. 22 S.
ISBN 978-3-89565-391-9

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