Max Baitinger
Die Absurdität des Alltags
Eine Routine, die sich in einen paradoxen Situationismus verwandelt, alltägliche Gesten, die in grafische Elemente zerlegt werden, die geschwungene Linien und starre Geometrien kontrastieren, Figuren, die von Situationen überfordert zu sein scheinen und in kontrollierten Wutausbrüchen explodieren (wie Röhner) oder die ihren Alltag ohne Geschrei, aber unerwartet verlassen (wie Birgit) sowie die Biographie einer 17-jährigen Dichterin, die im Dreißigjährigen Krieg gefallen ist (Sibylla Schwarz), die eigentlich gar keine Biographie ist, sondern zu einer Hymne auf das Leben und die Kunst sui generis wird – das ist die Welt von Max Baitinger, einem der interessantesten und innovativsten deutschen Comickünstler der Gegenwart.
Von Emilio Cirri
Hallo Max und danke, dass du dir Zeit für uns nimmst. Erstmal möchte ich dir ein paar Fragen stellen, um dich unserem Publikum vorzustellen. Hast du als Kind und Jugendlicher Comics gelesen? Was waren die Ersten, mit denen du in Kontakt gekommen bist?
Ich habe zwei ältere Brüder, die eine große Sammlung von Asterix und Lucky Luke hatten, also bin ich mit diesen Büchern aufgewachsen. Aber ich war nicht wirklich ein Fan: Ich habe schon als Kind gezeichnet, auch Comics, aber nicht nur. In der Schule habe ich im Unterricht mit meinen Freunden gezeichnet, aus Spaß und zum Quatschen. Und seitdem habe ich einfach nie wieder damit aufgehört.
Wann hast du angefangen, Comics zu zeichnen, und welches waren deine ersten Schritte in diese Richtung?
Ich habe mich erst recht spät entschieden, während meines Studiums. Ich habe dann Illustration studiert und genau das wollte ich machen, Illustrator und Künstler. Während des Studiums habe ich dann die Comics wiederentdeckt und auch neue Sachen entdeckt, die ich vorher nicht gelesen hatte, zum Beispiel französisch-belgische Comics, aber auch US-Comics, wie Chris Ware und andere. Und dann kam ich in Kontakt mit zeitgenössischen Comics, auch mit deutschen Comics, zum Beispiel durch die Zeitschrift Strapazin. Von da an wurde mir klar, wie viele Möglichkeiten es in Comics gibt und dass ich meinen eigenen Raum finden konnte. Mein Stil ist nicht klassisch und ich war nicht daran interessiert, klassische Geschichten, Abenteuer und so etwas zu schreiben.
Du hast Chris Ware als einen Einfluss erwähnt, und das merkt man deiner Arbeit auch an.
Ja, besonders am Anfang war er eine große Inspiration.
Und abgesehen davon, gibt es andere Autoren, die dich inspiriert haben?
Robert Crumb war ein Einfluss, aber wir sprechen hier bereits von einer Legende, die man nicht mehr als „Underground“ bezeichnen kann. In der Generation der jungen deutschen Autor*innen könnte ich Aisha Franz, Sasha Hommer nennen, diese Autor*innen, die Dinge getan haben, die sonst niemand vorher getan hat. Eine große Inspiration für mich war auch Armanda Baeza, eine chilenische Künstlerin, die in Portugal lebt. Sie ist jünger als ich, hatte aber zu dieser Zeit bereits in internationalen Magazinen veröffentlicht, darunter Strapazin.
Du hast einen ganz besonderen Stil: Die Konstruktion des Panels ist sehr geometrisch, aber auch die Figuren folgen sehr geometrischen Linien, die sich mit Kurven und gestrichelten Linien abwechseln. Wie hast du diesen Stil entwickelt?
Ich glaube, mein Stil entwickelt sich immer ein bisschen weiter, meine Bücher unterscheiden sich immer ein bisschen voneinander. Ich habe während meines Studiums viel mit verschiedenen Stilen experimentiert, weil ich mich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen wollte. Ein großer Vorteil von Comics ist, dass du experimentieren kannst, ohne finanzielle Grenzen zu haben, denn du brauchst nicht viel, um zu zeichnen und auszuprobieren, du hast also viel Freiheit. Schon bei meinem ersten Buch, Heimdall, habe ich einen Stil gewählt, der für mich damals auch ein bisschen notwendig war, d.h. der mir helfen würde, eine ganze Geschichte als Graphic Novel zu machen, weil das erste Werk immer eine große Herausforderung für einen Comiczeichner ist. Es gibt nicht nur den Stil, sondern auch viele andere kleine oder große Dinge, an die man denken muss, wenn man eine Geschichte schreibt, aber natürlich muss der Stil erkennbar und von Anfang bis Ende gleichbleiben. Ich glaube, der geometrische Zeichenstil hat mir dabei sehr geholfen, ein Grundgerüst zu erstellen, das mir helfen würde, einige Unsicherheiten und schwierigen Punkte zu limitieren. In späteren Büchern war das nicht mehr nötig, und so konnte ich etwas mehr experimentieren, mit mehr Freiheit.
"Sybille" zum Beispiel ist ganz anders als andere Werke.
Genau, viel abwechslungsreicher und kurvenreicher.
Du zeichnest abwechselnd in Farbe und in Schwarzweiß, ohne dass sich dein grundlegender Stil ändert, zumindest für den Eindruck des Lesers. Steckt hinter die Entscheidung entweder mit oder ohne Farben zu arbeiten ein anderer Grund?
Das ist von Arbeit zu Arbeit sehr unterschiedlich. Birgit war die erste Farbgeschichte, die ich mir ausgedacht habe und es war eine echte Herausforderung für mich, sie am PC zu kolorieren. Generell versuche ich immer, alles von Hand zu machen. Ich mag es nicht, digital zu arbeiten. Ich bin auch daran interessiert zu verstehen, wie etwas handwerklich hergestellt werden kann, die Techniken der Herstellung und des Drucks, die Werkzeuge, das Papier und so weiter, das macht mir mehr Spaß als vor einem Computer zu sitzen. Bei der täglichen Arbeit macht die Digitalisierung das Leben natürlich sehr viel einfacher. Leider erwies sich die Arbeit an Birgit als große Enttäuschung, denn die Farben waren nach dem Druck ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte und wie ich sie haben wollte. Deshalb ziehe ich es vor, meine Arbeit nicht nur auf der Festplatte zu haben, sondern sie zuerst auf Papier zu realisieren.
Bevor du bei Verlagen veröffentlicht hast, hast du mit Self-Publishing experimentiert und Fanzines gemacht. Was hast du aus diesen Erfahrungen gelernt? Spielen sie immer noch eine wichtige Rolle für dich?
Vielleicht hat es für mich jetzt eher eine soziale Funktion, Teil einer bestimmten Kulturszene zu sein, sich mit anderen Autoren auszutauschen und auch einen Freundeskreis aufzubauen. Ich denke, dass Self-Publishing und Fanzines Teil der Entwicklung eines Künstlers, eines Comicsautors sind. Ich habe nicht von Anfang an beschlossen, Graphic Novels zu machen, ich habe mit Selbstproduktionen angefangen, mit sehr kleinen Zines-Verlagen. Jetzt ist es für mich kein wichtiger Teil meiner Arbeit mehr. Ich denke, im Moment suche ich nach einer sehr präzisen Verbindung zwischen dem, was ich tue und wie ich es veröffentlichen möchte. Ein kleines Beispiel: Im Moment arbeite ich an einem Buch, das ich schon vor langer Zeit geschrieben, aber nicht veröffentlicht habe. Es geht um eine Freundschaft und eine Reise nach Leipzig, und im Moment veröffentliche ich es in Fortsetzungen in einem Leipziger Stadtmagazin, weil ich finde, dass es sehr gut dazu passt. Ich hatte darüber nachgedacht, ein Fanzine zu machen, aber da es in der Geschichte um die Stadt geht, denke ich, dass ein Stadtmagazin besser geeignet ist und ich daraus vielleicht später einen eigenständigen Comic machen könnte.
In anderen Fällen haben mir die Zines, die ich gemacht habe, sehr geholfen, weil man dort wirklich mit dem experimentieren kann, was man will, man kann sogar eine einzige Illustration machen und damit spielen, sowie mit Materialien und Produktionstechniken experimentieren.
Bei deinen Werken, ich denke da an "Röhner", "Birgit" oder "Happy Place", eine Sammlung von Geschichten, die zuvor in Fanzines erschienen sind, ist eines der Hauptthemen das Erzählen des Alltags in einem paradoxalen Licht, in dem normale Ereignisse ins Groteske und Absurde gleiten. Wie hast du dein Interesse an diesen Themen entwickelt?
Ich habe mir nicht wirklich vorgenommen, diese Art von Geschichten zu schreiben, aber jetzt, wo du es erwähnst und ich darüber nachdenke, glaube ich, dass das, was du in meinen Comics siehst, letztendlich ein bisschen widerspiegelt, wie ich den Alltag interpretiere und mit ihm umgehe. Der Alltag hat immer groteske Seiten und Elemente. Wenn man nicht darüber nachdenkt oder sich nicht darauf konzentriert, nimmt man sie nicht wahr, aber wenn ich über die Dinge nachdenke, die ich tue und was passiert, oder warum bestimmte Dinge getan werden, dann kann ich all das wahrnehmen. Und es ist auch witzig zu denken, dass es für jeden Beruf eine Ausbildung gibt, aber nicht für den Alltag. Wenn man mal bedenkt: Woher kommen bestimmte Konventionen, bestimmte Arten des Umgangs miteinander? Wir sind alle daran gewöhnt, bestimmte Dinge zu tun, aber manchmal halte ich inne und denke, warum wir uns in bestimmten Situationen oder gegenüber anderen Menschen auf eine bestimmte Weise verhalten, und manchmal finde ich keine klare Antwort. Es gibt so viele Arten der Interaktion, manche so subtil, dass sie fast unverständlich sind, und ich erkenne sie sowohl bei mir selbst als auch in meiner Umgebung.
Röhner vereint viele Eigenschaften, die ich in der Welt und in einigen Menschen, die um mich herum waren oder sind, wiedererkannt habe. P. ist nicht mein Alter Ego, aber er hat Eigenschaften, in denen ich mich wiedererkenne, aber gleichzeitig hat Röhner auch einige meiner Züge, aber ich hatte kein konkretes Beispiel aus meinem eigenen Leben für seine Darstellung im Kopf. In beiden stecke ich viel von mir, aber auch viel von anderen Menschen. Der Schwerpunkt des Buches war für mich, ein Gefühl, eine Atmosphäre, die ich in der ersten Person erlebt habe, einzufangen. Das war für mich das Wichtigste: einen Moment des Lebens zu zeigen, den man zusammen mit anderen Menschen in einem begrenzten, engen Kontext verbracht hat, in dem man sich vielleicht nicht wiederfinden wollte. Aus dem Gefühl heraus entstand die Geschichte, die es am Anfang nicht gab. Es war wirklich sehr schwierig, ihr eine Form zu geben, einen Erzählstil zu finden, die dem Ganzen Substanz verleiht.
Dein neuestes Werk ist "Sybilla", eine Biografie der Barockdichterin Sibylla Schwarz, die vor 400 Jahren geboren wurde und mit nur 17 Jahren starb. Wie bist du zu diesem Projekt gekommen? Hast du schon mal eine Biografie geschrieben?
Ich habe schon einmal etwas Ähnliches gemacht, eine Biografie von Victor Klemperer, einem Professor aus Dresden (weltberühmt für sein Werk LTI, die Sprache des Dritten Reiches, das die Beziehung zwischen Sprache und Massenkultur und dem Nationalsozialismus analysiert), als Teil eines Stadtprojekts. Was Sybilla betrifft, so wurde dieses Werk von der Sybille Schwarz Stiftung im Rahmen der Feierlichkeiten zum 400. Jahrestag ihrer Geburt direkt bei mir angefordert. Aber sie hatten wirklich keine Ahnung, was eine Graphic Novel ist. Sie gaben mir keine genauen Hinweise, was es sein sollte, und andererseits wusste ich nicht viel über Sybille Schwarz, so dass der Austausch zwischen uns in mancher Hinsicht ziemlich lustig war, weil wir von zwei völlig verschiedenen Planeten kamen. Sie waren jedoch äußerst freundlich und hilfsbereit mir Informationen zu geben, und es war sehr stimulierend für mich, an diesem Comic zu arbeiten. Ich musste einen Berührungspunkt mit einer Barockdichterin finden, die in den 1600er Jahren lebte und sehr jung starb, was nicht einfach war. Und ich muss sagen, dass das Ergebnis sehr speziell ist. Ich bin kein großer Fan von klassischen Comic-Biografien, aber diese hier hat mich sehr amüsiert, auch weil der streng biografische Teil in 20 Seiten ausläuft, da Sybille am Ende nur 17 Jahre gelebt hat, und du hast damit ein bisschen gespielt. Von da an beginnt etwas anderes. Du versuchst diese ferne Figur in einen zeitgenössischen Kontext zu bringen. Schon der Titel, allein der Name Sybilla, scheint diese ferne und etwas vergessene Figur in unsere heutige Zeit versetzen zu wollen.
Ja, genau! Das war auch für mich notwendig, gerade weil ich etwas finden musste, das Sybille mit mir und der heutigen Welt verbindet. Ich habe ohne jeglichen Anspruch auf Authentizität angefangen, denn für mich gibt es sie einfach nicht und vor allem konnte ich solche Ansprüche für diese Geschichte nicht haben, da ich diese Figur am Anfang gar nicht kannte. Oft bemühen sich viele Biografien, die ich lese, sogar in Comics, diese Wahrhaftigkeit zu bewahren, aber für mich sind das alles Illusionen: oft weiß niemand wirklich, wie die Dinge in so fernen Zeiten waren und es sind nur Vermutungen, die mich zum Lachen bringen (lacht). Ich konnte mir nicht vorstellen, so etwas zu machen: Ich habe darüber nachgedacht, in ein Museum für Zeitgeschichte zu gehen und Gebäude und Kostüme und solche Dinge zu studieren, aber das interessiert mich letztendlich nicht besonders. Ich bin mehr daran interessiert, eine Geschichte mit verschiedenen Elementen zu erzählen.
Welche Elemente aus ihrem Leben hast du genutzt, um die Geschichte zu entwickeln?
Mich interessierte die Tatsache, dass sie ein junges Mädchen war, das während des Dreißigjährigen Krieges lebte, dessen Rechte und Freiheiten völlig eingeschränkt waren, und so war ich fasziniert von dieser Flucht aus der Unfreiheit durch Poesie. Und in diesen Gedichten findest du eine gewisse Lebensfreude, obwohl diese Zeit alles andere als fröhlich war. Das hat mich auf jeden Fall sehr beeindruckt und mir das Gefühl gegeben, dass sie lebendiger war, unerwartet näher.
Du hast jetzt eine Karriere von mehr als 15 Jahren hinter dir. Wie haben sich die deutschen Comics deiner Meinung nach in dieser Zeit verändert? Nicht nur, seitdem du welche veröffentlichst, sondern seit du sie liest?
Ich habe eine große Entwicklung und eine große Offenheit für neue Inhalte und neue Formen gesehen. Es gab eine Explosion von autobiografischen Comics, Independent Comics sind immer wichtiger und verbreiteter geworden, wie man auch in Erlangen sehen kann. Und generell sind alle ein bisschen mutiger geworden, die Arbeiten von Student*innen an den Universitäten werden unterstützt. Ich denke, das ist vielleicht eine der wichtigsten Entwicklungen.
Ich muss sagen, dass mich die Bedeutung der Universitäten in der deutschen Comicszene immer sehr beeindruckt hat. Ich denke, dass sie wirklich ein wichtiger Kanal für die Entwicklung und Verbreitung von Comics ist. Gibt es mehr Vorteile oder Risiken, wenn man so viele Ausbildungsstätten mit Comickursen hat?
Ich denke, es besteht die Gefahr einer "akademischen Homologation", wie ich es nennen würde.
Ich denke nicht, dass sie negativ sind, es sei denn, du belegst immer nur Kurse bei demselben Lehrer, der eine sehr genaue Vorstellung und Erwartung davon hat, was Comics sind. In diesem Fall kann es zu einer großen Einschränkung werden. Ich habe meistens Workshops gemacht, die nicht dazu gedacht sind, etwas zu lehren, sondern eher um Tipps und neue Ideen zu geben, um den eigenen Stil zu entwickeln.