Datenanalyse
Ähnlich in der Ungleichheit
Idealerweise sollen alle Menschen den gleichen Zugang zu Bildung haben. Doch die Realität sieht in Deutschland und Frankreich anders aus, die Gründe dafür sind unterschiedlich. Wie steht es um die Bildungsgerechtigkeit in den beiden Ländern aktuell? Und wie hat die Coronakrise die Chancen junger Menschen beeinflusst?
Von Michael Hörz
Hinreichende Bildung ist der Schlüssel zu guter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe. Die Hochschulreife als Abschluss, der alle Möglichkeiten eröffnet, ist ein entscheidender Schritt für einen Aufstieg durch Bildung.
Doch der Zugang zu Bildung ist nicht für alle gleich. So zeigen etwa große Vergleichsstudien wie PISA 2015, dass vor allem der Berufs- und Bildungsstatus des Elternhauses einen entscheidenden Einfluss auf den Bildungserfolg eines Kindes hat. Denn bildungsnahe Kinder haben zuhause ein höheres Sprachniveau und mehr Unterstützung beim Lernen als Kinder aus bildungsfernen Schichten und besonders aus migrantischen Familien.
Auch die Struktur des Bildungssystems hat einen großen Einfluss auf den Erfolg der Schüler*innen. Sowohl Frankreich als auch Deutschland schneiden im Bildungsbericht “An Unfair Start” des Unicef-Forschungszentrums Innocenti aus dem Jahr 2018 recht schlecht ab. Der Bericht vergleicht, wie gut Vorschulen, Grundschulen und Weiterführende Schulen dafür sorgen, dass Kinder unabhängig vom Bildungsstand ihrer Eltern eine gute Bildung erhalten.
Unterschiedliche Gründe für Ungleichheit
Der immer noch ungleiche Bildungszugang hat in Frankreich und Deutschland unterschiedliche Gründe. In Deutschland herrschte lange eine starke Trennung zwischen Berufs- und Hochschulbildung: Gymnasien sollten aufs Studium vorbereiten, Realschulen in einen Beruf münden. In Frankreich wiederum gibt es eine tief verankerte Trennung ab dem Zeitpunkt der Hochschulreife: Aus den grandes écoles rekrutierte sich die Elite, während der Rest an Massen-Universitäten studiert. Allerdings ist der Anteil Studierender in Frankreich deutlich höher als in Deutschland.
Formal ist es in Frankreich und Deutschland inzwischen weniger kompliziert, außerhalb der allgemeinbildenden Schulen zum Abitur zu gelangen. So ist in Frankreich auch ein Berufsabitur möglich. Doch mehr als die Hälfte der Berufsabiturient*innen brach dem französischen Bildungsministerium zufolge 2012 das Studium ab. Von den allgemeinen Abiturient*innen war es nur ein knappes Zehntel. Eine formale Öffnung reicht also nicht, um Personen, die die ersten Studierenden ihrer Familie sind, einen erfolgreichen Abschluss zu ermöglichen.
Formal offener, in der Praxis nicht unbedingt
Deutschland baute seit den 1990er Jahren den dritten Bildungsweg deutlich aus, seit 2009 ermöglicht ein beruflicher Fortbildungsabschluss ein allgemeines Studium. Ein spezifisches Studium ist auch mit Berufsausbildung und mindestens drei Jahren Erfahrung möglich. Solche Verfahren existieren in Frankreich schon länger, im Gegensatz zu Deutschland gibt es viele berufsorientierte Kurzstudiengänge. Eine hohe Zahl von Absolvent*innen muss allerdings nicht einen schnellen Berufseinstieg bedeuten. So ist in Frankreich die Erwerbsquote unter den 20- bis 34-Jährigen ein bis drei Jahre nach ihrem Abschluss deutlich niedriger als in Deutschland.
Der Beginn der Coronapandemie hatte in beiden Ländern völlig unterschiedliche Auswirkungen. So ging der Anteil der Arbeitslosen unter den 15- bis 24-Jährigen in Frankreich im Frühjahr und Sommer 2020 deutlich nach oben, sank im Anschluss aber wieder ab.