Prof. Dr. Luc Abbadie im Gespräch
Der Klimawandel in französischen Großstädten

Straßenlaterne während der Überschwemmungen in Paris 2018
Eine Folge des Klimawandels: Noch lange wird den Pariser*innen Januar 2018 im Gedächtnis bleiben, als die französische Hauptstadt von einem außergewöhnlich starken Hochwasser heimgesucht wurde. | Foto (Ausschnitt): Juanlu Fajardo von Pixabay (CC0)

Ist Ihnen auch aufgefallen, wie heiß es im Sommer 2020 war, bevor in Südfrankreich die extremen Regenfälle folgten? Erinnern Sie sich auch an die außergewöhnlichen Überschwemmungen in Paris im Winter 2018? Es lässt sich nicht mehr leugnen: Der Klimawandel ist in vollem Gange und seine Auswirkungen sind für uns Menschen gefährlich. „Alle sind betroffen, überall und zur selben Zeit. Das ist vermutlich das erste Mal in der Geschichte der Menschheit“, so Herr Luc Abbadie, Professor an der Universität Sorbonne, wo er das Institut für Ökologischen Wandel leitet. Wir sprechen mit ihm darüber, wie sich die französischen Städte besser gegen die Auswirkungen des Klimawandels wappnen können, und über die Frage, ob es vielleicht sicherer wäre, aufs Land zu ziehen.

Von Lena Kronenbürger

Herr Abbadie, inwiefern macht sich der Klimawandel schon heute in Frankreich bemerkbar?

Seit 1900 ist die Durchschnittstemperatur in Frankreich um 1,4 °C gestiegen, bei einem weltweiten Anstieg um fast 1 °C, was übrigens bestätigt, dass die Klimaerwärmung mit höheren Breitengraden umso stärker wird. Hitzewellen treten im ganzen Land intensiver und häufiger auf, während extreme Regenfälle im Süden immer heftiger werden. Auch der jährliche Gesamtniederschlag hat sich verändert, mit einer noch leichten Tendenz nach oben in den nördlichen Regionen und nach unten im südlichen Teil des Landes. Zu den Umweltauswirkungen dieses schnellen Klimawandels gehören Waldsterben, das regelmäßige Vorrücken der Erntezeit und die Gletscherschmelze in den Alpen.

Welche Herausforderungen aufgrund des Klimawandels erwarten Sie für die französischen Städte insbesondere in den nächsten Jahren?

Im Hinblick auf den Klimawandel gibt es in den Städten drei entscheidende Merkmale: eine geringe Albedo (Fähigkeit, Sonnenenergie zu reflektieren), eine spärliche Vegetation, wodurch das Phänomen der Transpiration reduziert wird, und eine Versiegelung der Böden. Daher ist die Durchschnittstemperatur in Städten immer 2 bis 3 °C höher als auf dem Land. Das nennt man städtische Wärmeinsel: Die Höchstwerte in einer Hitzewelle sind höher als in den umliegenden ländlichen Gebieten, während durch die reduzierte Aufnahmefähigkeit der Oberflächen Rinnsale und schließlich Überschwemmungen entstehen. All das birgt große Risiken für die Sicherheit von Menschen und Gütern. Mit jedem Hitzerekord steigt die Sterblichkeit, die je nach lokalen architektonischen und urbanen Gegebenheiten höher oder niedriger ausfällt. Hohe Temperaturen verstärken außerdem den Grad der Luftverschmutzung.

Und mit welchen Schwierigkeiten sind die ländlichen Gebiete konfrontiert?

In den ländlichen Gebieten wird es selbstverständlich dieselben Entwicklungen wie in den Städten geben, aber in geringerem Maß, was hauptsächlich am Vorhandensein einer viel dichteren Vegetationsdecke sowie in manchen Regionen auch an Feuchtgebieten liegt. Man darf auch nicht vergessen, dass das städtische Klima vom regionalen abhängig ist, also vom Klima, das in den angrenzenden ländlichen Gebieten herrscht. Die Dürreperioden werden sich stark auf die Land- und die Forstwirtschaft auswirken. Es wird also nötig sein, die Felder intensiver zu bewässern, was zu Problemen bei der Wasserverteilung zwischen Stadt- und Landbewohnern führen kann, aber auch zwischen dem Menschen und der Artenvielfalt in Flüssen und Wäldern. In den Wäldern werden wir das Aussterben vieler heute verbreiteter Pflanzen erleben. Wirtschaftlich nutzbare Bäume werden verschwinden und Arten Platz machen, die eigentlich aus dem Süden stammen. Wahrscheinlich wird es sogar notwendig sein, diese Erneuerung der Waldflächen voranzutreiben, da die spontane Mobilität vieler Baumarten angesichts dessen, wie schnell sich die für sie geeigneten Klimazonen verschieben, nicht ausreicht.

Welche konkreten Ideen und Projekte entwickeln Ökologen wie Sie, um die französischen Städte besser zu wappnen?

Der Klimawandel ist bereits da und wird weiter zunehmen. Es entsteht eine neue Welt, an die wir uns anpassen müssen. Zuerst müssen wir unsere Werte und alles, was direkt damit zusammenhängt, infrage stellen, nämlich unsere Lebensweise. Um diesen ökologischen Wandel zu meistern, brauchen wir Lösungen: Viele Lösungen gibt es bereits, andere müssen noch verbessert oder erfunden werden. Die Artenvielfalt hält unzählige Lösungen bereit, die technologische Lösungen ersetzen oder ergänzen können: die sogenannten naturbasierten Lösungen. In der Stadt besteht das ganz konkret vor allem darin, Pflanzen wieder einzubeziehen, indem neue Parks angelegt, in den Straßen mehr Bäume gepflanzt und Dächer sowie Außenmauern von Gebäuden begrünt werden.
  • Bepflanzte Wand des Musée du quai Branly - Jacques Chirac Foto (Ausschnitt): Lauren Manning (CC-BY-SA-2.0)

    Die Pflanzenwand, die eine der Fassaden Musée du quai Branly – Jacques Chirac bedeckt, ist Teil des architektonischen Zusammenspiels, den sich Jean Nouvel für die Unterbringung der Sammlungen des Museums ausgedacht hat. Ihre Pflanzen reinigen die Luf, halten Wasser zurück, senken die Umgebungstemperatur herab, regulieren Wäre und fördern die Biodiversität in der Stadt.

  • Park de la Gaudinière in Nantes Foto (Ausschnitt): François de Dijon Lauren Manning (CC-BY-SA-4.0)

    Parks wie der Park de la Gaudinière in Nantes, Gärten und andere Grünflächen sind in Städten echte „Null-Emissions-Zonen“. Sie dienen als Ort der Ruhe, unterstützen die Biodiversität und bringen Erfrischung inmitten heißer Betonwüsten.

  • Springbrunnen am Musée du Louvre in Paris Foto (Ausschnitt): Patrick Barbaud von Pixabay (CC0)

    Das Thema Wasser ist eine große urbane Herausforderung, die in Projekte zur Anpassung an den Klimawandel integriert wird. Es muss sichergestellt werden, dass insbesondere während der Hitzewellen genügend Trinkwasser für alle zur Verfügung steht, Badestellen, Springbrunnen und andere Wasserstellen dienen der Erfrischung und reflektieren Sonnenstrahlen.

Die Auswirkung dieser grünen Infrastrukturen auf das Stadtklima ist heute erwiesen, erkennbar und klar messbar. Aber das Ziel dieser grünen Lösungen ist, dadurch auch auf andere Aspekte der Umweltkrise einzuwirken: für die Wiedererschaffung von Lebensräumen zahlreicher Tier- und Pflanzenarten, den Kampf gegen die Luftverschmutzung und ein verbessertes Wohlbefinden der Stadtbewohner.

Natürlich beschränkt sich die Umsetzung dieser naturbasierten Lösungen nicht auf die Geografie der Stadt. Dazu gehören auch die Modalitäten des Energieverbrauchs, das Abfallrecycling, die Art der genutzten Baumaterialien, die Art der Bodenbedeckung, die Ernährungsgewohnheiten und noch viele andere Dinge, die hauptsächlich außerhalb der Stadt stattfinden, auf mindestens regionaler Ebene.
 

Eigentlich gibt es keine Grenze zwischen Stadt und Land, sondern es ist essenziell, die Stadt wieder mit dem gesamten Land zu verbinden.

Prof. Dr. Luc Abbadie

Haben Sie da ein konkretes Beispiel?

Die Nutzung von Holz statt Beton ist ein Lösungsbeispiel, durch das man sich an den Klimawandel anpassen und gleichzeitig seine Auswirkungen verringern kann, weil das Material Holz CO2 speichert. Man darf die naturbasierten Lösungen jedoch nicht für Wunder halten: Die Wälder zum Beispiel, aus denen das Holz stammt, speichern zwar CO2 und liefern Energie sowie verschiedene Materialien, aber sie sind auch Schlüsselfaktoren für die Artenvielfalt und regulieren wirksam den Wasserkreislauf und das regionale Klima. Die Wälder können gewiss nicht alles leisten, was wir uns wünschen würden.

Kennen Sie weitere Lösungen, zum Beispiel von Stadtplanern?

Die Wirksamkeit naturbasierter Lösungen hängt in der Stadt wie auch sonst überall stark von der Organisation der Stadt selbst ab. Die Geometrie des städtischen Raums, also die Ausrichtung der Straßen, die Höhe der Gebäude und die Abstände zwischen ihnen beeinflussen die Luftzirkulation und die Konzentration der Schadstoffe in der Luft sowie die Transpiration der Bäume. Die Materialien, mit denen die Gebäude errichtet sind, und die Farbe der Gebäude bestimmen, wie viel thermische Infrarotstrahlung sie aussenden, was wiederum die Lufttemperatur beeinflusst. Auch die Bevölkerungsdichte, die zugehörige Infrastruktur und die daraus resultierende Versiegelung des Bodens wirken sich auf einen großen Teil der zuvor genannten Kriterien aus und schaffen jeweils mehr oder weniger Platz für die Natur in der Stadt und ihre Dienste im Ökosystem. Eine Stadt sollte heute unter möglichst vielen verschiedenen Gesichtspunkten konzipiert werden, in Zusammenarbeit mit Bürgern, Architekten, Stadtplanern, Ökologen, Psychologen und Gesundheitsexperten usw. Dabei sollten die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Erfordernisse gleichberechtigt sein, und man sollte mithilfe einer ganzheitlichen Analyse der Interessen über die optimale Dichte nachdenken.

Was wünschen Sie sich für die kommenden Jahre in Bezug auf den Klimawandel?

Der Klimawandel ist nur ein Aspekt der Zerstörung unseres Planeten. Hinzu kommen beziehungsweise damit interagieren andere, ebenso globale Krisen wie das Aussterben von Lebewesen, die ungleiche Verteilung wirtschaftlicher Reichtümer, die Verknappung zahlreicher, vor allem biologischer Ressourcen, die Übermacht der Wirtschafts- und Finanzwelt und die massive Verschmutzung von Landflächen und Ozeanen. Alle sind betroffen, überall und zur selben Zeit. Das ist vermutlich das erste Mal in der Geschichte der Menschheit.

Wir sind in eine Zivilisationskrise nie dagewesenen Ausmaßes hineingeraten.

Prof. Dr. Luc Abbadie


Daher müssen wir alles infrage stellen, angefangen beim Glauben an die Möglichkeit unbegrenzten materiellen Wachstums durch ein ebenso unbegrenztes Innovationspotenzial. Wir müssen die Situation nüchtern betrachten und die notwendigen Schlüsse daraus ziehen: Wir brauchen eine wirkliche Neuordnung der Welt, für uns selbst und für die anderen Lebewesen, die mit uns betroffen sind. Jetzt müssen wir uns entscheiden: Schlittern wir in die Katastrophe hinein oder leisten wir Widerstand, arbeiten also gemeinsam ein Projekt aus, das allen nützt.
 

Über unseren Gesprächspartner

Luc Abbadie ist Professor an der Sorbonne Université, wo er das Institut für Ökologischen Wandel leitet. Er unterrichtet Allgemeine Ökologie, Praktische Ökologie und Biogeochemie an der Sorbonne Université. Zudem lehrt er an der Sciences-Po Paris, wo er einen Kurs für Angewandte Ökologie konzipierte. Es schuf und leitete mehrere multidisziplinäre Bachelor- und Masterstudiengänge. Des Weiteren war er Stellvertretender wissenschaftlicher Direktor am Institut für Ökologie und Umwelt des CNRS (INEE). Er leitete Forschungsarbeiten zum Kohlen- und Stickstoff-Kreislauf und zur Funktionsweise der Böden und Ökosysteme in der tropischen sowie der gemäßigten Zone. Nicht zuletzt startete er zahlreiche interdisziplinäre Arbeitsgruppen zu den Themen Umwelt und angewandte Ökologie für einen nachhaltigen Umgang mit der Artenvielfalt, den natürlichen Ressourcen und den Ökosystemen (Ökologisches Engineering) und leitete zahlreiche Forschungsarbeiten zur urbanen Ökologie.

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