Umweltbewegung
Die Erben der Umweltbewegung sind unzufrieden
Die Klimaschützer*innen von Fridays for Future haben das Thema Umwelt wieder auf die Straße gebracht – so wie einst ihre Vorgänger in den 1970er-Jahren. Den jungen Aktivist*innen erscheint die alte Generation nicht radikal genug. Dabei haben beide Bewegungen viel gemeinsam.
Von Wolfgang Mulke
Mit globalen Klimastreiks und ähnlichen Aktionen hat die Bewegung Fridays for Future in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erzeugt. Allen voran schaffte es die Schwedin Greta Thunberg den Kampf gegen den Klimawandel in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Doch trotz allem, was die Jugendlichen mit ihrem Protest erreicht haben – es reicht nicht: „Die Klimakrise verschlimmert sich“, heißt es in einem Streikaufruf, „und nimmt verheerende Ausmaße an“.
Auch die kleinere, radikalere Schwester von Fridays for Future, Extinction Rebellion, sieht noch keine ausreichende Verminderung der Erderwärmung. Sie befürchtet, dass die Menschheit ausstirbt, wenn sich nicht alsbald einiges gravierend ändert und keine „Klimagerechtigkeit“ erreicht werde.
Es geht nicht schnell genug
Einig sind sich beide Organisationen in dem Punkt, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel weder konsequent noch schnell genug angegangen werden. Darin unterscheiden sich die neuen Umweltbewegungen kaum von ihren Vorgängern. Der Historiker Joachim Radkau sieht nur wenige Unterschiede zwischen den ersten Aktivist*innen in den 1970er- und 1980er-Jahren und den heutigen. Im Gegensatz zur damaligen Anti-Atomkraftbewegung, die nur ein konkretes Ziel verfolgte, habe die heutige Klimabewegung jedoch einen umfangreicheren Anspruch: Weniger Autoverkehr, ökologische Landwirtschaft, nur noch Ökostrom, weniger Konsum – die Palette der Forderungen lässt kaum einen Lebensbereich aus. Das hält Radkau für problematisch: „Zu glauben, dass sich alles auf einmal ändern lässt, ist illusorisch.“
Angesichts der weltweit massiven Umweltprobleme erscheint es erstaunlich, wie „jung“ die Bewegung noch ist. Erst vor rund 50 Jahren begann das Thema politisch relevant zu werden. Zwar gab auch im 19. Jahrhundert schon Gruppen, die sich dem Naturschutz verschrieben und sich sowohl in der Weimarer Republik als auch später im nationalsozialistischen Deutschland für den gesetzlichen Schutz beispielsweise von Gewässern einsetzten. So wurde die Vorläuferorganisation des heutigen NABU (Naturschutzbund Deutschland), eine der wichtigsten Umweltorganisationen Deutschlands, bereits 1899 gegründet. Doch erst das Europäische Naturschutzjahr 1970 mit rund 200.000 Aktionen gilt heute als Auftakt für eine breite Umweltbewegung. Kurz darauf gründete sich in mehreren europäischen Ländern und in den USA die Bewegung Friends of the Earth. Studien wie Die Grenzen des Wachstums vom 1968 gegründeten Thinktank Club of Rome sensibilisierten mit ihren düsteren Prognosen viele Menschen für die Umweltproblematik.
Das Motto der Freunde der Erde lautete „Think global – act local“ (zu Deutsch etwa: Global denken – lokal handeln). Unter diesem Leitsatz entstanden viele Initiativen, die sich meist einem spezifischen Ziel verschrieben. Sie wehrten sich gegen Atomkraft, wollten das Waldsterben beenden oder Wale vor dem Aussterben bewahren. Mit spektakulären Aktionen sorgte zum Beispiel die 1971 gegründete Organisation Greenpeace immer wieder für Aufmerksamkeit, etwa 1984 mit einer europaweiten Besetzung von Schornsteinen gegen den sauren Regen. Doch trotz aller aufsehenerregender Aktionen und obwohl die Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung Massen von Menschen mobilisiert hatte, wurden in Deutschland weiter Atomkraftwerke gebaut – und beschloss der Bundestag 1983 die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Politik und Aktivismus
Ende der 1970er-Jahre verlagerten sich die Aktivitäten der Friedens- und Umweltbewegung daher zunehmend weg von der Straße und hin zu politischer Einflussnahme: Überall in Deutschland gründeten sich lokale Umwelt- und Friedensparteien. Sie sollten der Vorläufer der Partei Bündnis 90/Die Grünen werden, die seit 1983 im Bundestag vertreten ist. Politisch ließen sich die verschiedenen Bewegungen nicht einfach dem linken Spektrum zuordnen. So ging die Gründung der Grünen 1980 auf ein Bündnis alternativer Gruppen mit dem konservativen Umweltschützer Herbert Gruhl zurück. Der konservative Flügel verlor jedoch schnell seinen Einfluss. Zunächst waren es auch weniger Umweltziele, mit denen die Grünen antraten – sie waren eher das Sprachrohr der Friedensbewegung. Das Kernthema Umweltschutz gewann erst im Verlauf der Jahrzehnte an Bedeutung.
Heute bilden die Grünen in Deutschland den parlamentarischen Arm der Klimaschutzbewegung, allerdings mit einer klar auf Realpolitik ausgerichteten Strategie. Das zeigt beispielsweise die industriefreundliche Politik des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, eines stark von der Autoindustrie geprägten Bundeslands. Die junge Klimabewegung stößt sich daran: Sie wirft der Partei vor, nicht entschlossen genug gegen den Klimawandel vorzugehen. Und so ist das Verhältnis zwischen Partei und jungen Aktivist*innen kompliziert: Einerseits dürften die Klimastreiks von Fridays for Future (FFF) dazu beigetragen haben, dass die Grünen 2019 in den Umfragen erstmals sogar vor der konservativen CDU lagen. Viele FFF-Mitglieder sind auch Grünen-Mitglieder. Andererseits stehen sich beide Seiten etwa im Dannenröder Forst, der für eine neue Autobahn teilweise gerodet werden soll, unversöhnlich gegenüber: Fridays for Future kämpfte für den Erhalt des Waldes, die schwarz-grüne Landesregierung musste den Beschluss des Bundes umsetzen – und ließ Ende 2020 das Gelände räumen. „Wenn ich durch den Danni gehe, fragen mich alle, wann ich endlich [aus der Partei] austrete“, erzählt Luisa Neubauer, prominentes Gesicht von FFF in Deutschland – und Grünen-Mitglied.
Auch hielten FFF den Grünen 2020 wiederholt vor, zu schwammig in der Zielformulierung zu sein. Konkret: Nicht eine maximale Erwärmung von 1,5-Grad anzustreben, sondern bis zu zwei Grad akzeptieren zu wollen. In hitzigen Debatten warfen die Aktivist*innen den Politiker*innen Halbherzigkeit vor, diese verwiesen darauf, dass man als Partei Kompromisse eingehen und das politisch Umsetzbare im Auge behalten müsse. Das Ergebnis: Auf dem Parteitag der Grünen Ende 2020 setzte sich die Basis gegen die Parteispitze durch und beschloss ein Grundsatzprogramm, das sich verbindlich auf das 1,5-Grad-Ziel festlegt. Einige Aktivist*innen wollen 2021 für die Grünen im Bundestag kandidieren. Gleichzeitig sind unter dem Namen „Klimaliste“ in mehreren Bundesländern neue Parteien und Wählergruppen entstanden, die als grünere Alternative zu den Grünen bei Kommunal- und Landtagswahlen antreten – nicht wenige davon gingen aus FFF-Engagement hervor. So kandidiert in Baden-Württemberg im März 2021 neben dem Grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann auch die FFF-Aktivistin Sandra Overlack.