Tiny House
„Akzeptiert, dass es ein Abenteuer wird!“
Ich freue mich sehr, Euch Boris Lebedev vorstellen zu dürfen, einem in München lebenden Tiny House Pionier, Speaker, Berater und wie ich Think Tank 30 Mitglied. Ursprünglich ist er Nachhaltigkeitswissenschaftler, Musiker und arbeitet gerade als Baumkletterer. Coole Mischung, oder? Boris erklärt uns, wie man trotz städtischer Umgebung im Einklang mit der Natur leben kann.
Von Santa Meyer-Nandi
Lieber Boris, erzählst Du mir kurz etwas zu dem Tiny House Projekt in München, das viel mehr als nur Euer Zuhause ist, sondern als ein Pilotprojekt dient.
Noch ist das Tiny House leider nicht unser Zuhause – denn wir dürfen auf der Fläche wo wir stehen nicht offiziell leben. Doch haben wir dennoch die Möglichkeit auf dieser Fläche zu experimentieren. Und wir experimentieren und sehen uns als Reallabor für Nachhaltigkeit. Was das genau heißt? Wir sind vier Mitstreiter, die mit der Art und Weise wie gewohnt und gelebt wird, nicht einverstanden sind. Für ein WG-Zimmer in München 600 Euro zahlen, schlecht angebunden, in einer Betonplatte – man hat keine Wahl, man nimmt eh was kommt. Nein, das wollen wir nicht, das entspricht nicht unserer Lebenshaltung- und Einstellung.
Aus unserer Antihaltung entwickelte sich die Idee eines Tiny Houses. Wieso nicht auf kleinem Raum leben – wir sind eh kaum da. Und zack, war die Idee des Minimalismus da. Und ökologisch bauen – ist ja klar. Und energieautark sein – das sollte gehen. Und wasserautark? Lasst es uns probieren. Permakultur – klar, nehmen wir mit!
Und zusätzlich: Ich wollte ein Abenteuer. Das Abenteuer meine Ideale der Nachhaltigkeit mit der Wirklichkeit zusammentreffen zu lassen. Kann ich ein Haus selber bauen – also selbstbestimmt sein? Kann ich Verzicht üben – also den Konsum weglassen? Kann ich mein Leben auf die Launen der Natur anpassen – den PC aufzuladen, wenn genug Strom da ist, oder nur dann zu duschen, wenn es vorher geregnet hat? Wo sind meine Komfortzonen, kann ich aus diesen austreten oder neu denken?
Aus den oben genannten Bausteinen und diesen Fragen entwickelte sich dann nach und nach unser Tiny-House-Projekt in München. Dabei befassen wir uns nicht nur mit nachhaltigem Leben in der Stadt, sondern führen auch einen Wohnraumdiskurs in München: bezahlbarer, flexibler Wohnraum, der zur Brachflächenwiederverwendung und -aufwertung führt.
Ich habe Leute in meinem Umkreis, die sehr mit dem Gedanken flirten, in ein Tiny House zu ziehen. Auch ich finde den Gedanken erst einmal ganz herrlich. Was gilt es zu beachten bzw. nicht zu übersehen? Wo romantisiert man und wo ist es viel besser, als manche denken?
Also Eines vorweg: Energieautarke Tiny-Houses sprengen Arbeits- und Lebensroutinen doch ganz schön. Da wären Sachen wie:
- das Kompostklo zu leeren, auch wenn man keine Zeit hat,
- nur dann zu duschen, wenn es genügend geregnet hat
- abends und morgens den Ofen einzuheizen
- Holz bei miesestem Wetter zu hacken
- kalte Füße zu haben – sorry, es geht nicht anders
- der liebe Platz: für eine Person genügend, für zwei Leute schon kritisch. Mein Tipp: Schaut zu, dass ihr mit dieser Person klarkommt und euch Rückzugsräume schafft.
- und immer, ja wirklich immer: ein-, um- und aufräumen. Schon ein unaufgeräumtes Handtuch lässt das Haus chaotisch wirken.
Auch von denen gibt es natürlich viele:
- Man hat sein eigenes Reich selber geschaffen und auf seine Bedürfnisse angepasst.
- Es fühlt sich nach einem großen Stück Unabhängigkeit an.
- mit der Natur zu leben und sie anders zu erfahren.
- Die Lebenskosten bleiben bezahlbar.
- Man kommt nicht drumherum sich dabei zu ertappen, dass man zufrieden sein Werk anschaut und einem das Gefühl von Stolz überkommt.
Ich befinde mich ja selber noch auf dem Weg und bin noch lange nicht in einer idealen Situation für mich angekommen. Zum Beispiel habe ich Schwierigkeiten mir neue Dinge zu kaufen.
Das Tiny House zum Beispiel ökologisch zu bauen war eine Zerreißprobe. Es wird uns Menschen ja nicht leicht gemacht – es gibt ja fast alles, was man braucht, direkt verfügbar; wozu die Nägel aus alten Holzpaletten aushebeln, abschleifen, ölen um dann für die Inneneinrichtung verwenden? Dieser fünfstündigen Arbeit steht oft nur ein kurzer Trip zum Bauhaus und 20 Euro entgegen. Und hier stellt sich die Frage: Wie möchte ich meine Zeit verwenden? Und da stelle ich oft fest, dass mein ideeller Anspruch mich im Nachhinein nicht immer glücklich macht.
Deswegen bin ich liebevoller und verständnisvoller mit mir geworden. Ich kann ja nichts dafür ein Mensch zu sein, der materielle Bedürfnisse hat. Und lasse meine Finger lieber auf meinem Saxophon tanzen, statt meine Hände wund zu arbeiten an altem Holz. Und jetzt gehe ich oft in den Baumarkt und freue mich, dass ich das richtige Material genau für diesen Zweck kaufe.
Bei wiederum teuren materiellen Dingen frage ich mich: Brauche ich das wirklich? Kann ich das auch über den Gebrauchtwarenhandel erhalten? Und selbst wenn ich glaube, das jetzt zu brauchen, versuche ich Distanz dazuzugewinnen. Ich nehme mir Zeit und frage mich zu einem späteren Zeitpunkt – brauche ich das wirklich? Verändert das mein Leben nachhaltig? 300 Euro teure Noise-Cancelling-Kopfhörer versus Standard-iPhone-Kopfhörer – die einen machen mich wohl kurzfristig glücklicher, doch ein besserer Musiker werde ich davon auch nicht. Die 300 Euro sind viel besser in meinen Saxophonlehrer investiert oder in ein Buch. Und manchmal – trotz dieser logischen, und selbstzüchtigenden Auseinandersetzung – kaufe ich sie trotzdem. Weil es auch ok ist und ich damit gut leben kann.
Und wie gehst Du mit dem um, was wir normalerweise so als Basics sehen, wie zum Beispiel Wasser, das bei uns wie Milch und Honig im Paradies fließt?
Wie die Meisten bin ich es gewohnt, an einem Wasserhahn zu drehen und oh – (k)ein, Wunder – jegliche gewünschte Menge an schmackhaftem Wasser umsonst zu erhalten. Hier im Tiny House war es ganz anders: Hier warte ich sehnsuchtsvoll auf den Regen, der zum Glück diesen Winter nicht ausfiel. Anschließend dauert es Stunden, bis so ein 200 Liter Tank voll ist, der immerhin mindestens 10 Tage ausreichen muss. Wenn man das herunterrechnet kommt man auf 20 Liter pro Tag – für ALLES, sprich: Kochen, Waschen, Zähneputzen und Spülen. Ein*e durchschnittliche*r Bürger*in benötigt etwa 122 Liter Wasser pro Tag. Und als ich dann die ersten Tage im Tiny House verbrachte, stellte ich plötzlich fest, welcher immensen Lebensgrundlage ich mich da entsagte: nur dann zu duschen, wenn es geregnet hat; das heiße Nudelwasser aufzufangen um es anschließend als ersten Spülgang zu verwenden. Ich musste mein Leben umstellen. Also fing ich an, beim Sport zu duschen – eine tolle Motivation wieder zum Sport zu gehen; oder das aufgefangene Grauwasser bei jedem Wetter in unseren Grauwasserturm zu kippen.
Ich gebe zu, manchmal bin ich immer noch schlecht gelaunt und möchte „einfach“ nur duschen, wann ich will und kann sogar in so einem Moment alles infrage stellen. Und doch komme ich dann immer wieder zu dem Schluss: „Mei, dann machste halt ne Katzenwäsche und morgen duschste halt beim Sport“. Und stelle dann erstaunt fest: So eine krasse Lebenseinschränkung ist es eigentlich nicht. Und wie schön es ist, völlig unabhängig von einem Wassernetz zu sein und nur mit Wasser zu leben, welches vom Himmel fällt.
Du weißt, ich arbeite gerade intensiv mit Christian Berg, dem Autor von „Ist Nachhaltigkeit utopisch“ zusammen und er schreibt über die Wichtigkeit der Naturerfahrung, um diese verstehen und lieben zu können und so auch schützen zu wollen. Was sind Deine Gedanken dazu? Und wie war Deine Beziehung prä-Tiny House zur Natur und wie ist sie jetzt? Hast Du Tipps, wie wir auch innerhalb unserer städtischen Kontexte, also bevor/ohne ins Tiny House zu ziehen, der Natur näher sein können?
Mit dem Tiny House hat sich dieses Empfinden verstärkt – ich lebe nun wortwörtlich mit den Launen und der Güte der Natur. Wo ich vorher betrübt über Regen war, freue ich mich, dass der Regen die Bäume und Pflanzen wässert. Zudem freue ich mich über Wasser, welches ich über das Dach auffange und dann für meinen Haushalt wiederverwende. Ich freue mich auch über die Sonne, denn dann weiß ich, dass ich meine elektrischen Geräte aufladen sollte. Es ist nicht immer einfach, vor allem wenn man gewohnt ist, alles jederzeit verfügbar zu haben. Doch ich finde es bettet einen in einen schönen Kontext ein – nicht über, sondern mit der Natur zu arbeiten und zu leben.
Meine konkreten Tipps um der Natur näher zu sein:
- Besorgt euch eine physische Wanderkarte von 50 Kilometer Entfernung von eurem Zuhause. Ja, physisch muss die Karte sein, lasst GoogleMaps aus. Greift beherzt nach den Karten und seid nicht so wählerisch.
- Sucht auf der Karte nach viel Grün, nach wenig Wegen/Straßen, nach einer Wasserquelle, also Seen, Bächlein, einem Fluss und idealerweise nach einem Berg.
- Sucht nicht allzu lang – dieser Prozess sollte nicht länger als 5 Minuten dauern. Pickt euch raus, was euch nach diesen Kriterien ins Auge fällt.
- Packt nur das Nötigste ein, stellt das Handy auf Flugzeugmodus, und begebt euch alleine dorthin.
- Akzeptiert, dass es ein Abenteuer wird, und lasst euch ein auf das was kommt – adventure perfect