Christian Berg im Gespräch
Nachhaltigkeit durch sozialen Zusammenhalt
Ihr Lieben, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, euch heute folgendes Gespräch mit Prof. Dr. Christian Berg anbieten zu dürfen. Christian Berg gehört zum deutschen Präsidium des Club of Rome, hält Vorträge und lehrt an verschiedenen Hochschulen. Er war verantwortlich für die Arbeitsgruppe „Nachhaltiges Wirtschaften und Wachstum“ im Rahmen des von Angela Merkel initiierten Zukunftsdialogs und in der Managementberatung bei SAP für das Thema Nachhaltigkeit zuständig. Dazu ist er ein prima Typ, mit dem ich mich in den letzten Monaten zu Nachhaltigkeit und viel mehr austauschen durfte. Sein Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch?“, erschienen beim OEKOM Verlag ist für mich ein großer, sehr umfassender Wurf, indem er technischen Fortschritt und Innovation und menschliche Werte, Zusammenhalt und Wertschätzung sehr eindrücklich und einleuchtend als wichtige Pfeiler der zukunftsfähigen Welt aufführt. Christian schreibt mit Kopf und Herz über Kopf und Herz. Nur wenige Sachbücher haben einen derartigen Gänsehaut-Effekt auf mich. Genug der Elogen, ab zum Interview!
Von Santa Meyer-Nandi
Lieber Christian, ich freue mich so sehr mit dir zu unserer humaneren Stadt-Challenge zu plaudern. Für mich liegen die Prinzipien ganz nah mit dem Zustand, den Du Futeranitity nennst. Würdest Du uns ein wenig zu Futeranity erzählen und es in Beziehung zu unserer Challenge setzen?
Sehr gern, liebe Santa. Futeranity meint die Vision einer Welt, die zukunftsfähig ist, in der die Menschen untereinander und mit der Natur im Einklang leben. Ähnlich wie Nachhaltigkeit. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir zwischen der Vision einer solchen Welt und den konkreten Taten, die uns dorthin bringen sollen, unterscheiden können. Manches, von dem wir heute denken, dass es nachhaltig ist, stellt sich vielleicht morgen doch ganz anders dar – allerdings darf das doch unsere Vision nicht kaputtmachen! Deshalb verwende ich für die Vision, für unser großes Ziel den Begriff Futeranity – the Future of Terra and Humanity – beim konkreten Handeln verwende ich den Begriff Nachhaltigkeit.
Wie also wäre unsere Vision für eine nachhaltige Stadt?
Mehr als die Hälfte der Menschen lebt heute in Städten, und es werden immer mehr. Damit geht eine Ausdifferenzierung von Tätigkeiten, Berufen und Aktivitäten einher, die auch ein großes Angebot von Kulturleistungen ermöglicht, was wiederum weitere Menschen anzieht. Menschliche Kultur ist seit ihren frühesten Anfängen mit Siedlungen und Städten verbunden. Zugleich wissen wir aus der Glücksforschung, dass unser Glück sehr stark vom sozialen Miteinander abhängt, davon, wie wir mit anderen Menschen zusammenleben. Und hier bieten Städte tolle Möglichkeiten, denn wir haben eine große Vielfalt auf engem Raum – die Chance, Gleichgesinnte zu finden, aber auch immer wieder neue, spannende Leute, ist in der Stadt viel größer.
Wir wissen aber aus der Nachhaltigkeitsforschung auch, dass das soziale Miteinander, der gesellschaftliche Zusammenhalt super wichtig für die Frage ist, wie nachhaltig wir sind. Wenn dieser Zusammenhalt fehlt, sind Menschen weniger hilfsbereit, egoistischer, legen mehr Wert auf Konsum etc. Zusammenhalt aber entsteht nicht einfach nur dadurch, viele Menschen auf engen Raum zu packen, sondern zum Beispiel, wenn Menschen einander begegnen können und Dinge gemeinsam erleben, dabei aber ganz unterschiedliche Hintergründe haben – bezüglich Bildung, Einkommen, Ethnie etc.
Es ist wichtig, Räume zu schaffen, in denen Menschen gemeinsam Dinge erleben und sich begegnen können.
Christian Berg
„Vielfalt fördern“ als Handlungsprinzip für Nachhaltigkeit
In meinem Buch, um das es ja auch hier schon mal gegangen ist, habe ich ja unter anderem als ein Handlungsprinzip für Nachhaltigkeit vorgeschlagen, Vielfalt zu fördern. Denn Vielfalt ist Voraussetzung für Leben, für Innovation, für Kreativität. Natürlich ist nicht jede Vielfalt gut, und es gibt trotz Vielfalt in den Städten auch Probleme – etwa mit Kriminalität. Aber alles in allem denke ich, dass man sagen kann, dass Städte meist liberaler, weltoffener und jünger sind.Wenn man sich zum Beispiel anschaut, wo wir in Deutschland die größten Defizite beim Klimaschutz haben, dann gehören die Gebäude und der Verkehr ganz vorne mit dazu. Beispiel Gebäude: Wenn wir in Deutschland mit der jetzigen Sanierungsquote für unsere Bestandsgebäude weitermachen, hätten wir erst 2070 alle heute schon bestehenden Gebäude saniert! Sprich: Wir müssten dringend schneller werden mit der Isolierung von Gebäuden und unser Wohnen klimafreundlicher machen. Städte haben hier aus energetischer Sicht ein großes Potenzial: Denn Mehrfamilienhäuser haben allein schon aufgrund ihrer Architektur eine wesentlich bessere Klimabilanz als Einfamilienhäuser; Anlagen für Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärme machen viel mehr Sinn, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben.
Beispiel Verkehr: Das größte Problem im Verkehrssektor ist, dass wir zu viel Menschen und Fracht auf der Straße transportieren. Aber in vielen Städten machen viele Autos und LKWs ohnehin fast schon mehr Probleme als sie lösen. Viele junge Menschen schaffen sich gar keine Autos mehr an, weil es in vielen Städten schlicht keinen Sinn mehr macht. Es ist aber wesentlich einfacher, kostengünstiger und auch ökologisch sinnvoller, einen guten ÖPNV in einer Stadt zu organisieren als auf dem Land. Dasselbe gilt natürlich auch für die übrige Logistik, also für Waren, Dienstleistungen etc.
Großstädte haben durch das Sharing-Prinzip und die Anwendung von Technologien und sozialen Strukturen ein großes Potenzial zu Nachhaltigkeit.
Christian Berg
Natürlich blicken wir aus einer Corona-Perspektive noch einmal ganz anders auf das Gedränge in unseren Städten. Das Stress-Level ist dort sicher viel höher als beim Leben auf dem Land. Aber die Corona-Sorgen können wir ja hoffentlich bald hinter uns lassen, wenn es erstmal einen Impfstoff gibt. Wichtig erscheint mir allerdings, dass wir aus der Pandemie die richtigen Schlüsse ziehen. Dazu gäbe es viel zu sagen. Nur zwei Aspekte: Wir werden ganz sicher lernen müssen mit Infektionen umzugehen und die unterschiedlichen Übertragungswege möglichst rasch und möglichst „geräuschlos“ zu unterbrechen – also so, dass das Leben weitgehend normal weiterlaufen kann. Damit hängt der zweite Aspekt zusammen: Wir wissen, dass die Mehrzahl neu auftretender Infektionskrankheiten aus dem Tierreich auf Menschen überspringen (sogenannte Zoonosen) – die FAO (Food and Agriculture Organization) spricht davon, dass das für drei Viertel der neuen Infektionskrankheiten gilt. Und hier gibt es viel zu tun: Ein wichtiges Mittel gegen Zoonosen ist die Erhöhung von Biodiversität. Wir dürfen uns nicht wundern, dass sich Krankheiten rasant verbreiten, wenn wir Abertausende Tiere auf engstem Raum einsperren. Um das zu verstehen, muss man kein Virologe sein.
Und das führt uns zurück zu einer nachhaltigeren Lebensweise, hier: mit Schwerpunkt „weniger und besseres Fleisch“, das wiederum ein Win-Win für Tier, Mensch und Planeten wäre. Stephanie aus der Redaktion würde Dich auch super gerne Folgendes fragen: Wie gehen wir mit dem scheinbar grenzenlosen Wachstum von Metropolen bzw. Megapolen um? Hat der achtsame Umgang miteinander nicht seine Grenzen, wenn die urbane Infrastruktur überlastet ist? Wenn wir uns zum Beispiel aufgrund fehlender räumlicher Distanz eher aggressiv zueinander verhalten als achtsam?
Klar, das ist ganz bestimmt so. Aber ich glaube, dass das entscheidende Kriterium für den Dichtestress nicht allein die Größe der Stadt ist. Auch große Städte können eine hohe Lebensqualität haben, wenn es eine gute Stadtplanung gegeben hat, in der es Parks, Sportanlagen, Freiflächen und gute Verkehrsinfrastruktur gibt. Sehr problematisch ist es dagegen, wenn sich aufgrund unkontrollierten und ungeplanten Wachstums informelle Siedlungen bilden, in denen es keine vernünftigen Straßen gibt, in denen die Häuser improvisiert gebaut werden und nicht oder nur notdürftig an Strom-, Wasser- und Entsorgungsnetze angebunden sind.
Gender-Themen und die humanere Stadt
Lieber Christian, ich finde es immer sehr spannend, wenn man das Konkrete mit den Prinzipien verbindet. Das tust du hier sehr anschaulich an den Beispielen „Verkehr“ und „Gebäude“. Und jetzt nutze ich mal ganz ganz frech aus, dass ich Dich ein wenig besser kennen darf. Für mich bist Du ein ganz besonderer Mensch und Mann, eine Art Pionier direkt aus Futeranity. Ok, das sind natürlich steile Aussagen, die ich allerdings aus vollster Überzeugung sage. Christian, du bist sehr bekannt in der Nachhaltigkeitsszene. Du bist Nachhaltigkeitsprofessor, Autor, im Präsidium des Club of Rome, hast Merkel beraten und bist ein gern gesehener und gehörter Speaker. Das alles wusste ich von Dir, ich kannte und bewunderte Deine Arbeit. Doch seitdem wir uns näher austauschen, weiß ich, dass Du Dich intensiv um Deine Jungs kümmerst, kochst, Dich als Hausmann bezeichnest und Deiner Frau gefolgt bist, und vielleicht auch bestimmte Einbußen in Deiner eigenen Karriere in Kauf genommen hast. In Deiner Generation ist das sehr unüblich, und selbst in meiner kenne ich wenige, vielleicht gar keine Beispiele, die es ähnlich gemacht haben. Und neben all den Gender Equality Themen, liegt es auch oft daran, dass uns der Mut fehlt, dass wir Frauen und Männer doch einige genderspezifische Rollen in uns tragen. Dazu gibt es noch den Faktor, dass wenn wir das Zeug zum Erfolg haben, selten darauf verzichten und wenn wir es tun, uns damit irgendwie schlecht fühlen. Irgendwie auch in einer Art Rechtfertigungsnot. Und diese Tendenz sehe ich bei Männern, erkenne es aber auch in Frauen, inklusive mir selbst. Und umso wichtiger ist es, dass wir es vormachen, dass es anders geht. Dass einem Kinder und Karriere wichtig sind und man Kompromisse und kreative Lösungen aktiv sucht und findet. Und in unserem Falle haben wir sogar das Glück, dass wir innerhalb unserer Berufe unserer Berufung folgen können und etwas für das größere Ganze tun. Wie gehst Du mit diesen inneren und äußeren Stimmen um?Ehrlich gesagt, weiß eigentlich kaum jemand, der mich mit dem Thema Nachhaltigkeit in Verbindung bringt, von meinem Privatleben, also dass ich mich auch als Hausmann bezeichne. Grundsätzlich kann das auch gerne so bleiben, aber es ist auch kein Geheimnis, dass es eigentlich so ist, wie Du sagst. Ich bin ja kein öffentliche Figur, weshalb wohl kaum jemand davon Notiz nimmt. Für unsere Familie war es einfach der richtige Schritt, die Rollen so aufzuteilen, nachdem meine Frau und ich uns die Erziehung zu Beginn ziemlich gleichmäßig aufgeteilt hatten. Da ich immer schon eher ein Familienmensch war, gerne vom heimischen Schreibtisch arbeite und in den letzten Jahren auch immer mehr Spaß am Kochen gefunden habe, ist meine Rolle aber durchaus kein Opfer, das ich vollbringen würde, um meiner Frau Karriere zu ermöglichen. Jedes Paar und jede Familie muss seinen bzw. ihren eigenen Weg finden.
Mir tun die vielen Männer leid (und auch die Frauen, für die das zutrifft), die meinen, sie seien so unabkömmlich und wichtig im Job, dass sie keine Zeit für ihre Kinder und/oder ihre Partner*innen haben. Natürlich gibt es Zeiten oder Rollen, die sehr viel von einem fordern und wo das Private zurückstehen muss. Aber ich persönlich bin sehr froh und dankbar, dass ich unsere Jungs habe aufwachsen sehen, sie begleiten und für sie da sein konnte, wenn sie mich brauchten – und auch manchmal, wenn sie es vielleicht besser gefunden hätten, ich wäre nicht da gewesen…
Vielleicht brauchen uns Kinder genau dann? Aber bevor ich zu sehr ins Plaudern verfalle: Stephanie findet den Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen und dem Leben in der Stadt interessant. Hättest Du dazu noch ein paar Gedanken?
Ganz allgemein glaube ich, dass traditionelle Geschlechterrollen in Städten eher aufgeweicht werden können. Wir sehen überall auf der Welt, dass es gerade die jüngeren Menschen in die Städte zieht und dass Menschen in Städten tendenziell neuen Themen offener gegenüberstehen als Menschen in den ländlichen Räumen.
Es sind allerdings noch dicke Bretter zu bohren, bis sich etablierte Rollen durchgehend ändern. Neulich habe ich einen Cartoon gesehen, auf dem vier typische Situationen beschrieben waren, in denen sich Frauen gesellschaftlichem Druck ausgesetzt sehen und sich für ihre Situation rechtfertigen zu müssen: (1) als Frau mit Kind(ern) und Beruf, (2) als Frau mit Kind(ern), aber ohne Beruf, (3) als Frau ohne Kind(er), aber mit Beruf und (4) als Frau ohne Kind und ohne Beruf. Ich glaube, da ist etwas dran. Allerdings sind natürlich auch Männer bestimmten Erwartungen und Konventionen ausgesetzt – und ich glaube, es täte uns gut, wenn wir alle zunächst einmal auf uns selbst schauen und überlegen, was für uns richtig ist und weniger davon abhängig machen, was andere vielleicht erwarten oder denken könnten.
So klug und weise gesagt, lieber Christian. Und ganz am Ende möchte ich auf einen Paragraphen aus Deinem wunderschönen und klugen Buch eingehen, in dem Du darüber schreibst, dass wir unsere Umwelt nur schützen wollen, wenn wir auch eine Beziehung zu ihr haben. Wenn wir sie lieben, so dass sie schützenswert „wird“, so wie wir auch selbstverständlich unsere Kinder und Nächsten schützen. Ich bin davon überzeugt, dass Wandel sehr stark über das Gefühl geht, natürlich in Kooperation mit legislativen Prozessen. Möchtest Du noch irgendetwas hinzufügen für unsere Leser, lieber Christian?
Es ist doch klar, dass wir auf das, was wir lieben, besonders gut aufpassen, das kennen wir von Menschen, die wir lieben. Wir haben gerade über Achtsamkeit gesprochen. Dabei ging es um das menschliche Miteinander. Aber wir müssen natürlich auch (wieder) lernen, achtsam mit der Natur umzugehen. Albert Schweitzer hatte das Motto: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Wendet man diesen Gedanken auf unsere Massentierhaltung an, unsere Fleischproduktion (allein schon das Wort ist schrecklich!), unseren Umgang mit Tieren und Pflanzen, kann man das eigentlich nur als verächtlich bezeichnen. Und ich fürchte, das sagt eine ganze Menge über uns selbst. Wir müssen dringend wieder lernen, uns mehr als Teil eines großen Lebenszusammenhangs zu verstehen. Es gibt so viel Spannendes in der Natur zu entdecken – und dazu muss man nicht unbedingt in ferne Länder reisen. Es fängt schon bei der Pfütze vor dem Haus oder der Blume im Balkonkasten an. Wenn wir hier mehr Achtsamkeit üben, wird sich unser Verhältnis zur Natur verändern. Und das wird auch unser Verhalten beeinflussen – ganz von selbst, von innen heraus, und ohne, dass man uns über moralische Appelle dazu drängen müsste.
Danke, lieber Christian! Ich werde wohl noch lange an dieses Gespräch mit Dir denken. Und Ihr, liebe Leser, was geht Euch so durch den Kopf? Wie geht es Euch in dieser ungewissen Zeit? Welche „Take-Aways“ nehmt Ihr mit aus diesem Gespräch? Was würdet Ihr hinzufügen? Lasst es uns wissen und postet eure Kommentare mit dem Hashtag #GoetheFSEcoChallenge auf Facebook oder Instagram!
Ich freue mich auf Eure Kommentare!
Mit herzlichen und warmen Grüßen,
Eure Santa