Bernhard Beutler
Vom Symbol zur kulturellen Nachhaltigkeit. Hommage à René Leynaud (1994)
© Goethe-Institut Etwas „Bleibendes“ wollte das Goethe-Institut Lyon zum 50. Jahrestag der Befreiung Frankreichs schaffen. Eine literarische Anfrage beim Dramaturgen Michel Bataillon und dem Lyoner Journalisten Paul Gravillon führte zum gleichen Namen:
„Wie wäre es mit einer Neuauflage der 1947 erschienenen Gedichte des Lyoner Journalisten René Leynaud?“ Die Nazis hatten ihn, wie Albert Camus im Vorwort beschreibt, mit 18 anderen Widerstandskämpfern im Juni 1944 hinterrücks erschossen. Es stellte sich heraus, dass sich Paul Gravillon lebenslang für eine Anerkennung Leynauds in seiner Heimatstadt eingesetzt hatte - und bis heute über ihn publiziert.
Es galt zunächst, das Einverständnis der Witwe, Ellen Leynaud, und des Sohnes Pierre zu gewinnen. Diese teilweise intimen Unterhaltungen über Schuld und Sühne gehören zum Tiefsten, was ich im Berufsleben erlebte. Aus der Zustimmung der Familie wuchs inzwischen persönliche Freundschaft.
Als deutsches Kulturinstitut kam natürlich nur eine bilinguale Ausgabe in Frage. Als Verleger konnte Paul Gravillon Editions Comp’Act gewinnen. In Florian Höllerer und Judith Kees-Höllerer waren zwei einfühlsame Übersetzer gefunden.
Den Kampf um die Überlassung der bei Gallimard liegenden Rechte für eine Edition „hors commerce“ von 1.000 Exemplaren gewann die DRAC (René Gachet) für uns. Bei der Finanzierung wurde der Symbolwert der Neuedition eines französischen Dichters von manchen deutschen Instanzen nicht erkannt; dafür sprangen der baden-württembergische Ministerpräsident privat und der PROGRÈS ein; letzterer mit der Bemerkung, soweit sei doch die deutsch-französische Freundschaft gediehen, dass man hier bei fehlenden Ressourcen helfen wolle.
Die Buchvorstellung sowie die französisch-deutsche Lesung von Gedichten Leynauds im April 1994 im Goethe-Institut - in Anwesenheit der Familie Leynaud - wurde zu einem Moment des, wie die Presse schrieb, „recueillement“. Sie bildete den Höhepunkt unseres Versöhnungsprogramms „Conscience et Résistance“.
22 Jahre später – in 2016 – stellt nun Gilbert Amy seine Komposition zu 9 Gedichten Leynauds in Aix-en-Provence der Weltöffentlichkeit vor, ausgewählt aus unserer Edition; ein Beispiel unerwarteter kultureller Nachhaltigkeit.
gez. Dr. Bernhard Beutler, München