Goethe at LUX Residenz
Interview mit Anahita Razmi
Anahita Razmi ist die aktuelle Goethe at LUX Residenz Künstlerin am Goethe-Institut London. Sie spricht hier über ihre Arbeit, die Verschmelzung von Politik und Kunst und warum uns eine betrunkene Diskussionsrunde helfen könnte, die Zukunft von Staaten besser zu verstehen.
Sie haben jetzt die Halbzeit Ihrer Goethe-at LUX-Residenz erreicht. Wie sind Ihre Eindrücke bis jetzt?
Die ersten sechs Wochen waren sehr intensiv, denn ich kam in London an mit einem Projekt, das sehr viel Zeit für Recherche und Networking bedarf. Seit ich hier bin, habe ich viel gelesen, neue Kontakte gewonnen und viele Menschen getroffen. Es ist also auf keinen Fall eine einsame Residenz und das ist wunderbar. Ich habe auch sehr viel Unterstützung vom Goethe-Institut und LUX bekommen.
Der Titel ihrer Residenz heißt THE FUTURE STATE, erzählen Sie uns doch bitte von dem Projekt und was Sie damit erreichen wollen.
„The Future State“ ist ein bewusst offen gehaltener Titel. Das Projekt spekuliert über den zukünftigen Staat/Zustand der Islamischen Republik Iran, aber auch über die Zukunft anderer Staaten. Ich lade politische AktivistInnen, JournalistInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen, FilmemacherInnen und Kulturschaffende ein, aus verschiedenen Perspektiven über das Thema zu diskutieren – ein Thema, das momentan besonders aufgeladen ist.
Ich habe für dieses Projekt eine Reihe von Diskussionsrunden geplant. Diese versuchen nicht in Konkurrenz zu den üblichen Runden im Fernsehen oder anderen gängigen Formaten zu stehen, sondern sind offen für Experimente und unorthodoxe Ansätze. Eine Diskussionsrunde setzt zum Beispiel voraus, dass alle die daran teilnehmen sich betrinken. Ich lasse mich hier von Herodot inspirieren, der über die Perser im ersten Perserreich schrieb. Er erzählte, wie alkoholselige Diskussionsrunden Ideen und wichtige Entscheidungen brachten. Wir versuchen dies jetzt mal im Jahr 2018! Mal sehen, was dabei herauskommt. Vielleicht scheitert das Ganze, aber das ist dann auch Teil des Projekts.
Ich habe für die Offenheit des Formats viel positives Feedback bekommen und es könnte gut sein, dass ich, nach meiner Residenz in London, ähnliche Veranstaltungen auch in Berlin oder anderswo organisiere.
In den vergangenen Jahren hat sich das politische Klima dramatisch verändert, auch was die Möglichkeiten der Kommunikation betrifft.
Sie beziehen auch die Perspektive politischer Gemeinschaften in der Diaspora mit ein, wenn es um Iran und seine Zukunft geht – was bringen diese Gruppen in die Diskussion ein?
Wenn man sich die iranischen politischen Gruppen in der Diaspora anschaut – und davon gibt es in London einige - dann finde ich die Umstände spannend, politisch aktiv außerhalb des eigentlichen Landes zu sein. Ist es überhaupt möglich, aus einem 'Anderswo' eine Stimme zu haben und einen relevanten Beitrag zu leisten? In den vergangenen Jahren hat sich das politische Klima dramatisch verändert, auch was die Möglichkeiten der Kommunikation betrifft. Viele der Gruppen sind aktiv in den Sozialen Medien und das ist gerade im Zusammenhang mit einem Land spannend, wo es offiziell nur staatlichen Medien gibt und Facebook und Twitter verboten sind. Eine Frage, die sich da immer stellt, ist – mit wem stehen diese Gruppen im Dialog? Reden sie nur mit Gleichgesinnten in London oder erreichen sie wirklich die Menschen im Iran? Was haben die Fabrikarbeiter, die 2018 in Ahwaz demonstrieren, mit diesen Gruppen in London zu tun? Diese Verbindungen aber auch die fehlenden Verbindungen finde ich sehr interessant.
Ein besonders einflussreicher politischer Aktivist der iranischen Diaspora in Großbritannien war der Marxist Mansoor Hekmat. Er arbeitete im Iran bis 1981, ging dann nach London ins Exil und schrieb von dort bis zu seinem Tod 2002. Die Leute, mit denen er zusammenarbeitete, sind auch heute noch aktiv. Seine Witwe wird sogar an unserer nächsten Diskussionsrunde teilnehmen und ich freue mich schon sehr, mit ihr zu reden.
Ist Kommunismus überhaupt ein Konzept, das wir erwägen können, wenn wir an die Zukunft des Irans, Großbritanniens oder Deutschlands denken?
Sie haben bereits den iranischen Marxisten Mansoor Hekmat erwähnt. Sein Grab liegt auf dem Highgate Friedhof ganz in der Nähe des Grabes von Karl Marx – was würden Sie sagen, können wir von diesen beiden Denkern heute noch lernen?
Wenn man sich die Schriften von Hekmat anschaut oder mit sich seiner Witwe auf Skype unterhält, hat man das Gefühl, dass sich seine Schriften auf die politischen Umstände seiner Zeit beziehen, aber gleichzeitig passen sie auch gerade jetzt zu unserer Zeit und haben eine Relevanz in der Frage nach einer mögliche Zukunft . Sie sind nicht zeitlich fixiert. Für mein Projekt habe ich diese Schriften als Referenz genommen, um über die Zukunft zu spekulieren. Mich interessiert auch was diese Schriften für die Gegenwart bedeuten, aber auch was sie nicht bedeuten.
Ist Kommunismus überhaupt ein Konzept, das wir erwägen können, wenn wir an die Zukunft des Irans, Großbritanniens oder Deutschlands denken? Wenn wir uns die Geschichte anschauen und mal die Iranische Revolution 1979 als Beispiel nehmen, war sie in ihrem Ursprung eine Revolution des Volkes, gar eine sozialistische Revolution, die dann zu etwas anderem wurde. Was kann man davon für die Zukunft lernen?
Die Ideen, die es zu Beginn der Revolution gab, veränderten sich im Laufe der Zeit und widersprachen sich irgendwann sogar. Sie haben wenig mit der heutigen Islamischen Republik Iran zu tun und das zeigt uns, dass sich die sozio-politischen Verhältnisse in der realen Welt ständig verändern. Ich habe das Gefühl, aus dieser Geschichte können wir lernen, auch in Bezug auf die Zukunft anderer Staaten.
Ihre Arbeit (zumeist Videos, Installation, Neue Medien und Performance) beschäftigt sich zumeist mit kulturellen Transfers und Translokationen. Es geht vor allem um den zeitlichen Kontext. Das klingt sehr abstrakt. Können Sie uns ein Beispiel geben, was das bedeutet?
Bei meinen verschiedenen Projekten in Bezug auf den Iran, habe ich zum Beispiel Objekte und Artefakte aus dem Iran in andere Kontexte wie Deutschland, die USA oder Großbritannien transferiert. Oder ich habe versucht, westliche Kunstgeschichte in Teheran nachzustellen. Oder meinen eigenen deutsch-iranischen Hintergrund dazu benutzt, um die Idee einer nationalen Identität explizit zu hinterfragen.
Iranische Objekte außerhalb des Irans werden entweder sanktioniert, exotisiert, oder beides. Ich frage mich, warum das so passiert. Was sind die sozio-politischen Umstände, die diese Wahrnehmung und diese Reaktionen beeinflussen? Wenn wir auf etwas in einem anderen Kontext schauen, was können wir für uns und unsere Gesellschaft lernen? Als künstlerische Strategie bedeutet das im Endeffekt, dass ich zwischen verschiedenen geografischen und zeitlichen Kontexten arbeite. Oft bringt das allerdings auch überraschend witzige Resultate hervor, durch unerwartete und merkwürdige Konstellationen.