Interview
"Digitalisierung [leistet] einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des Kulturerbes"
María Paula Fernández ist Mitbegründerin von jpg.space und dem Department of Decentralization. Für dieses Interview sprachen wir mit ihr über die Geschichte von NFTs und ihr Potenzial, unser Denken über Kunst und digitale Restitution neu zu gestalten.
Von Lucy Rowan
Bevor wir uns den Themen NFT und Digitalisierung von Kunst zuwenden, lass uns noch einmal auf die Grundlagen zurückkommen. Kannst du erklären, was ein NFT ist und wie NFT entstanden sind?
NFT sind im Grunde einfach nur „Smart Contracts“ – nicht fungible Vermögenswerte, das heißt, dass sie nicht geteilt werden können. Darüber hinaus sind sie unveränderbar, können also für alle Dinge genutzt werden, die eine Authentifizierung erfordern. Sie sind ausgesprochen vielseitig und lassen sich sehr gut programmieren.
Die Geschichte der NFT begann im Jahr 2014. Damals schufen Künstler Kevin McCoy und Technologe Anil Dash während einer der „Seven on Seven“-Konferenzen von Rhizome den Monegraph-Prototyp. Monegraph ermöglichte den Verkauf von Digitalkunst und die Zertifizierung der Herkunft und Eigentümerschaft mittels einer auf Namecoin (Krypowährung, Anm. der Redaktion) registrierten Transaktion. Zur gleichen Zeit hatten andere Gruppen ebenfalls großes Interesse an der Idee, ein digitales Objekt mit einer verifizierbaren Transaktion zu verknüpfen, um seine Herkunft nachzuweisen. In Berlin waren dies vor allem das Team bei Ascribe um Trent McConaghy, Masha McConaghy und ihre Mitarbeiter*innen und der Künstler Harm van den Dorpel, um nur einige wenige zu nennen. Die McConaghys entwickelten damals gerade Ascribe – ein von uns als „Projekt“ bezeichnetes Unternehmen, das Software verkauft. Es kam zwar nie in die Startphase, aber die Tests wurden fortgesetzt. Der zeitliche Ablauf der Ereignisse war nicht linear, weil viele Versuchsreihen synchron in verschiedenen Blockchain-Städten/-Hubs liefen…
Wo liegt das Potenzial von Web3? Welche Bedeutung hat es für die Gesellschaft als Ganzes?
Im Moment ist Web3 im Wesentlichen eine Sammelbezeichnung für viele Dinge – von unglaublich teurer generativer Kunst über Profilbild-NFTs bis hin zu verschiedenen Finanzierungs-, Kauf- und Handelsplattformen. Doch für mich hat es auch eine tiefere Bedeutung. Seit 2017 arbeite ich mit Blockchains. Als Argentinierin reizte mich die Möglichkeit, mit Hilfe dieser Technologien ein gewisses Maß an Selbstsouveränität und Einfluss auf das eigene finanzielle Schicksal und die finanzielle Würde wiederzuerlangen. In Lateinamerika sind wir es gewohnt, in Zeiten der Dauerkrise zu leben, in denen unsere Mittel versickern. Seit Jahrzehnten werden unsere Systeme zerschlagen, zerstört und missbraucht. Mit Blockchains erhalten dezentrale autonome Einrichtungen die Möglichkeit, den Umgang mit Währung und verschiedenen Finanzplattformen zu erproben – insbesondere diejenigen, die aufgrund ihrer Kreditscores und anderer struktureller Probleme vielleicht gar kein Bankkonto haben. Auf Gesellschaften in Not kann all dies eine ausgesprochen transformative Wirkung haben.
Übrigens stammt der Begriff Web3 ursprünglich von Gavin Wood als Bezeichnung für einen Technologie-Stack, in dem alle Komponenten dezentrale, frei zugängliche und „vertrauenlos (trustless)” Module sind, die keine Vermittlungsinstanz benötigen. Mit Hilfe eines solchen Stacks ließe sich ein Weltcomputer schaffen, aus dem alle Formen von Software hervorgehen könnten. Und genau das ist gewissermaßen geschehen, und dann auch wieder nicht. Web3 hat inzwischen in den Mainstream Einzug gehalten und ist zu einem Schlagwort, einem Marketingbegriff geworden.
Im Jahr 2018 habt ihr das Department of Decentralisation (DoD) mit Sitz in Berlin gegründet. Könntest du uns erzählen, was euch zu diesem Schritt veranlasst hat und was das DoD macht?
Bei allem, was ich in Web3 entwickle, orientiere ich mich immer an einem „Leitstern“. Ich bin überzeugt, dass Kryptowährung – wie viele andere Technologien – lebensrettend sein kann. Doch im Falle von Lateinamerika oder Nigeria, die zu den Hauptnutzerinnen von Kryptowährungen während des letzten vollständigen Marktzyklus gehören, ist sie es tatsächlich. Als ich mich zum ersten Mal in einer sehr frühen Phase mit Blockchain beschäftigte, habe ich nicht allzu viel verstanden. Gleichzeitig verfolgte ich die Entwicklung von Berlin zum Hub dieser vielen anerkannten Technologieexpert*innen, wo es jedoch keinen Raum für Vernetzung oder Ideenaustausch gab.
Also starteten wir ein einfaches Projekt. Wir versammelten alle Beteiligten auf einem Slack-Kanal und sagten: „Ok, wir organisieren jetzt eine Art Blockchain-Woche wie andere Länder, weil wir ständig am Reisen sind, und das andauernde Reisen schlaucht, obwohl wir das geballte Wissen – vor allem im Technologiebereich – doch hier haben.“
Dies war der Startschuss für das Department of Decentralization. Unser Hauptziel bestand darin, Menschen über die Möglichkeiten von Blockchain-Technologien zu informieren. Außerdem wollten wir eine Schulungsreihe ins Leben rufen. Alle unsere Veranstaltungen waren kostenfrei, und für Hacker aus aller Welt gab es Reisestipendien. Nicht zuletzt wollten wir tiefer in den Bereich der Blockchain-Kunst eintauchen. Ruth Catlow war eine der Ersten, mit der wir im Zusammenhang mit einem geplanten Bericht über Blockchain-Kunst ins Gespräch kamen. Inzwischen läuft die Arbeit im Department of Decentralization reibungslos – seit letztem Jahr unter neuer Leitung.
Welche Haltung haben Museen und andere Einrichtungen gegenüber NFT? Gibt es einen Sinneswandel?
Museen haben NFT auf dem Radar. Doch die Mühlen mahlen in einigen Fällen etwas langsam. Im vergangenen Jahr hat das Buffalo AKG eine fantastische Spendenaktion veranstaltet. Dafür haben Kunstschaffende Auftragswerke gestaltet, von denen das Museum im Anschluss Editionen erworben hat.
Das Los Angeles County Museum of Art hat NFT gekauft. Und das MOMA hat NFT ausgestellt und Workshops zu NFT veranstaltet. Das Centre Pompidou hat aus meiner Sicht den besten Kauf von allen getätigt, weil er damit der Geschichte der NFT-Kunst Rechnung getragen hat. Andere Institutionen haben bereits große Fortschritte im Bereich der Forschung, Entwicklung und Erprobung gemacht. Natürlich geben die Serpentine Galleries und das HEK hier den Ton an.
Es gibt keinen Grund, warum Museen diese Entwicklung nicht als positiv betrachten sollten. Jenseits des Hypes gibt es wirklich gute Kunst in der NFT-Welt. Außerdem experimentieren viele talentierte Menschen mit dem Potential von Smart Contracts als Medium. Beispielsweise bei Folia, wo die Mitarbeitenden auch weiterhin die Grenzen der Möglichkeiten von Smart Contracts ausloten.
Ich denke, Museen sind bei dieser Entwicklung so ziemlich auf dem neusten Stand. Sie nähern sich NFT mit einem gewissen Sicherheitsabstand. Große Einrichtungen haben unterschiedliche Abläufe und Verfahren. Natürlich benötigen Museen mehr Zeit für den Erwerb verschiedener Werke, denn für sie gelten operative und rechtliche Aspekte, die wir aus der Blockhain-Welt nicht kennen.
Gibt es ein bestimmtes Museum oder eine bestimmte Kunstinstitution, die bei der Einführung von NFT Pionierarbeit leisten?
Da würde ich Christie's und Sotheby's für ihren Einsatz loben. Ihre Hauptaufgabe, Geld zu verdienen, machen sie ganz hervorragend! NFT-People sind ganz verrückt nach der Legitimität, die ihnen diese Auktionshäuser verleihen. Durch die Einführung von Web3-Produkten und -Marktplätzen haben sie – zumindest bis heute – einen entscheidenden Beitrag zur Legitimation der NFT-Welt geleistet. Dort gehen die spannendsten Entwicklungen von diesen beiden Institutionen aus, die ihren Ursprung im 18. Jahrhundert haben... Sie haben die Gelegenheit auf eindrucksvolle Weise am Schopf gepackt. Und sind damit ein großes Risiko eingegangen!
Ist es überhaupt möglich, Kulturerbe vollständig in ein digitales Format zu übertragen? Und welche Vor- und Nachteile sind damit verbunden?
Beim Kulturerbe geht es eben nicht nur um kulturelle, sondern auch um gesellschaftliche Aspekte. In manchen Fällen lässt sich das Kulturerbe nicht reproduzieren – und genau das macht es auch so einzigartig. Trotzdem denke ich, dass die Digitalisierung einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des Kulturerbes leistet. Es ist äußerst wichtig, Tresore zu schaffen, die verschiedene Phasen abdecken und nicht manipuliert werden können. Die digitale Restitution dient Menschen dazu, Raubkunst aus ihrem Kulturkreis, die sich in der Hand von Museen oder Sammler*innen befindet, zurückzufordern – in einigen Fällen werden die Objekte einfach nicht zurückgegeben. Menschen können sich unsere Dinge aneignen, wann immer sie wollen. Das lässt sich nicht vermeiden. Doch wenn wir das eigene Wissen auf irgendeine Weise bewahren können, dann muss es auch eine Möglichkeit der Wiederherstellung geben.
Hast du ein Beispiel für ein Objekt, bei dem du die digitale Restitution für eine Gemeinschaft unterstützt hast?
Ich habe mit dem Circle of Plantation Artists in Congo (CATPC), Renzo Martens und einer Organisation in den Niederlanden namens Human Activities zusammengearbeitet. Gemeinsam haben wir uns um die digitale Restitution der Statue eines belgischen Söldners bemüht, die der Gemeinschaft auf der Plantage geraubt worden und anschließend in ein Museum in Virginia verbracht worden war. Die Plantage hatte ein von OMA entworfenes Museum errichten lassen, das alle Voraussetzungen für die Aufbewahrung von Kunstwerken erfüllte. Die anschließende Bitte des CATPC um eine Leihgabe lehnte das Museum in Virginia jedoch ab. Daraufhin beschäftigten sich die CATPC-Organisationen mit der Frage, ob sie mit NFT eine digitale Kopie dieser Skulptur anfertigen könnten. Da ihnen die Originalskulptur gehörte, mussten sie lediglich die Bedeutung des Objekts, die immer ein Teil von ihnen sein wird, auf die digitale Reproduktion übertragen.
Als das Museum erfuhr, dass ihr Bild von der Skulptur zu diesem Zweck verwendet wurde, machten sie ihren Besitzanspruch geltend und reichten Klage ein. Natürlich hatten wir CATPC dabei unterstützt, mit Hilfe der Blockchain sicherzustellen, dass das Bild nicht entfernt werden konnte.
Später entwickelten wir gemeinsam mit CATPC ein Fundraising-System, damit sie von Unilever stillgelegte Ländereien zurückkaufen und die Plantage vergrößern konnten. Anschließend brachte CATPC eine NFT-Serie mit der Holzskulptur und einer wunderschönen Illustration eines*r der Kunstschaffenden des Plantagenzirkels heraus. Innerhalb des Zirkels gingen die Meinungen über den Ablauf des Projekts stark auseinander – sie wollten an jedem Prozess beteiligt sein, also haben wir ihnen sogar den Zugriff auf den Smart Contract ermöglicht. Dafür haben wir ihnen zunächst die Nutzung von Ethereum und die Einrichtung von Wallets erläutert. Dann haben wir verschiedene Tools eingerichtet, sodass sie am Ende auf Knopfdruck alle gewünschten Funktionen ausführen konnten.
Daraufhin hat CATPC eine eigene NFT-Kollektion herausgebracht und verkauft. Der Erlös aus dem Verkauf ging direkt an den Zirkel. Wir haben ENS-Adressen für alle Beteiligten eingerichtet, damit sie auch im Internet erkannt werden, und es hat funktioniert. Durch diese Arbeit ist mir vor allem klar geworden, dass Kultur sozial ist.
Bei deiner Arbeit nutzt du makrotechnische Konzepte und entwickelst daraus Projekte, die noch klarer auf die lokale Mikroebene und auf Communitys ausgerichtet sind. Wie können wir auch weiterhin dafür sorgen, dass lokale Gemeinschaften einen besseren Zugang zu diesen oft abstrakten Konzepten haben und sie effektiver nutzen können?
Das ist eine großartige Zusammenfassung. Selbst nach vielen Jahren Therapie ist es mir noch nicht gelungen zusammenfassen, was zum Teufel ich da eigentlich mache. *lacht* Ich denke, die „lokale“ Ebene gibt es auch im Netz, und das darf bei der Förderung „lokaler Zirkel“ auf keinen Fall vergessen werden. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Erstens müssen wir diejenigen erreichen, die sich Reisen möglicherweise nicht leisten können. Einige Menschen leben an abgelegenen Orten und benötigen einen Zugang zur Gemeinschaft. Zweitens müssen wir an den Umweltschutz denken – und deshalb auf zu vieles Reisen verzichten.
Bezugsgruppen sind extrem wichtig, und wir müssen uns darum bemühen, mehr Veranstaltungen mit diesen Gruppen zu organisieren. Hier kann beispielsweise bereits eine Lesegruppe, eine kleine Initiative sehr wertvoll sein. Oder die von Ruth Catlow im Februar 2020 am Goethe-Institut veranstaltete Konferenz der DAOWO Global Initiative (DAOWO Global Initiative), die eine großartige Möglichkeit war, alle Beteiligten an einem Ort miteinander zu vernetzen und in den Austausch über wichtige Fragen zu treten. Ein solches „Miteinander“ ist von zentraler Bedeutung. Was auch immer Menschen das Gefühl von Substanz vermittelt – ein Ort des Austauschs und des Lernens ist unglaublich wichtig. Es geht darum, als Bürger*innen nicht nur an einem physischen Ort, sondern auch online zu existieren.
María Paula Fernández kommt ursprünglich aus Argentinien und ist Mitgründerin von jpg.space und dem Department of Decentralization. 2017 trat sie als damals dritte Mitarbeiterin der Stiftung Web3 bei. Sie hat für mehrere der bekanntesten Blockchain-Projekte gearbeitet und diese beraten. Im Jahr 2018 gründete sie in Berlin das Department of Decentralization, eine basisdemokratische Organisation, die web3-Hackathons, Forschungsprojekte und Publikationen zu Kunst und Technologie herausgibt bzw. veranstaltet. Zuletzt hat das Department of Decentralization mit Hito Steyerl an einem einjährigem Projekt gearbeitet, StrikeDAO, für das sie eine «quadratic voting» App entwickelt und einer deutsche Institution einen “Governance”-Vorschlag vorgelegt haben.
Anfang 2021 gründete sie zusammen mit Sam Spike und Trent Elmore ihr eigenes Unternehmen, jpg.space.