Goethe Annual Lectures 2022
Hearing Beyond

Mann sitzt im Tonstudio © Manuel Vasquez

Im Rahmen des 60. Jubiläums des Goethe-Instituts London veranstalteten wir in diesem Jahr drei Goethe Annual Lectures mit Autorin Mithu Sanyal, Professorin Mercedes Bunz und Musiker Matthew Herbert.

Wir haben uns gefreut, Matthew Herbert als einen der diesjährigen Redner*innen unserer Goethe Annual Lecture-Serie im Goethe-Institut London begrüßen zu dürfen. Anhand einer Reihe außergewöhnlicher Tonaufnahmen brachte Herbert uns dazu, weiter zu hören, als wir es für möglich hielten, und erklärte uns, wie systemisches Zuhören zu sinnvollem Handeln führen kann.

Seit etwa 140 Jahren ermöglichen Audioaufzeichnungen, dass wir uns selbst wieder-hören. Seitdem haben wir viel in Mikrofone gesprochen und gesungen und die Ergebnisse auf Wachszylindern, Schallplatten, Tonbändern und Festplatten festgehalten. Allein auf Spotify werden jeden Tag 65.000 Songs hochgeladen. Jenseits von Musik und der menschlichen Stimme entwickelt sich im Audiobereich jedoch ein neues einschneidendes Feld, das uns potenzielle neue Wege des Verstehens erschließt. Wir können das Wachstum von Krankheiten und die Wellen aus Schwarzen Löchern hören. Wir haben Aufnahmen von 23.000 Menschen, die eine einzige Note singen, und von 20.000 bellenden Hunden.

Zeitgleich mit der Entwicklung der Fähigkeit, Töne aufzunehmen, zu speichern und zu manipulieren, haben wir ein nahezu perfektes Wirtschaftssystem ins Leben gerufen, um das Falsche zur falschen Zeit zu tun. Von der Subventionierung fossiler Brennstoffe über die Priorisierung schädlicher Lebensmittel bis hin zur Verzerrung von Informationen um des Profits willen und der proaktiven Stimulierung eines übermäßigen Konsums – es ist bewusst darauf ausgelegt, kurzfristige Belohnungen gegenüber langfristiger Nachhaltigkeit zu begünstigen. Dieses System verlangt im Kern nach Ungerechtigkeit: ausgebeutete Arbeiter*innen, eine ausgebeutete Umwelt und ein Bekenntnis zu den patriarchalischen und weißen, rassistischen historischen Strukturen und den narrativen Rechtfertigungen, die es reibungslos am Laufen halten.

Was wäre, wenn wir die neue Reichweite von Tonaufnahmen nutzen könnten, um die Töne dieses Systems, seiner Funktionsweise und seiner Folgen zu hören? Und wenn wir diese Töne einmal gehört haben, können wir dann sogar noch weiter gehen als unsere Mikrofone – was Anne Balsamo „Hören mit Technologie“ nennt - , um das zuvor Unmögliche zu hören? Können wir alle Wasserpumpen auf Farmen in Iowa oder alle Supermarktkassen in Rio hören? Haben wir erst einmal solche Geräusche gehört, könnte es schwieriger werden, den Status quo als gesund oder harmonisch zu verteidigen.

Durch eine Reihe außergewöhnlicher Tonaufnahmen hat Dr. Matthew Herbert uns dazu gebracht, mehr zu hören, als wir es für möglich hielten, und schließlich gefragt, wie ein systemisches Zuhören zu sinnvollem Handeln führen kann.

Auf den Vortrag folgte ein Q&A mit der Künstlerin und Akademikerin Dr. Ella Finer.

Am 15. November zeigten wir außerdem den Dokumentarfilm A Symphony Of Noise, der einen Einblick in Matthew Herberts Gedankenwelt und Arbeitsprozess bietet. 
 

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