Juli 2024
'Rude Girl' von Birgit Weyhe: Eine Graphic Novel, die neue Wege geht Juli 2024

Die Bücher 'Rude Girl' und 'The Talk' liegen neben einem Wörterbuch und weiteren Büchern auf einem Lautsprecher
© V&Q Books

Birgit Weyhes Rude Girl ergänzt den Kanon der Graphic Novels und nutzt ähnliche Techniken wie Darrin Bells The Talk, um Privilegien und institutionellen Rassismus zu hinterfragen: Eine fesselnde und augenöffnende Biografie.

Im Jahr 2018 erhielt die deutsche Comiczeichnerin Birgit Weyhe eine Interviewanfrage von der afroamerikanischen Wissenschaftlerin Priscilla Layne. Die Germanistikprofessorin befand sich im Rahmen eines Forschungsstipendiums in Berlin und wollte Weyhe über die Darstellung von People Of Colour in ihren Graphic Novels befragen. Daraus entwickelte sich eine lange und intensive Zusammenarbeit, in deren Verlauf Weyhe zunächst einen Zeitungscomic und dann die Graphic Novel Rude Girl schuf, die auf Laynes Lebenserfahrungen basiert. Dieser visuell beeindruckende, herausfordernde und wichtige Roman wurde nun von Priscilla Layne selbst ins Englische übersetzt.

Rude Girl ist ein fiktiver Bericht darüber, wie Layne – die im Roman als Crystal auftritt – in Chicago aufwuchs und mit Armut, sexuellem Missbrauch, Angst, Rassismus und Diskriminierung konfrontiert wurde; wie sie Zuflucht in der Musik, im Sport und in Subkulturen fand, eine Softballspielerin und Skinhead wurde, dann ihr Interesse an der deutschen Sprache bis nach Berlin verfolgte, und wie sie schließlich eine Karriere als Übersetzerin, Kritikerin und Professorin für Germanistik und African Diaspora Studies machte. Weyhe erzählt ihre Geschichte in einer Reihe von aussagekräftigen Streifen und verwendet eine gedämpfte Farbpalette aus Schwarz, Weiß, Beige und Orange für ihre lebendigen, von Menschen geprägten Illustrationen, die diesen Roman von der ersten bis zur letzten Seite zu einer fesselnden Lektüre machen.

Rude Girl ist jedoch nicht nur eine Biografie: Es setzt sich aktiv und nachdenklich mit systemischem Rassismus, Klasse, Geschlecht, Identität, weißem Privileg und der Repräsentation von People Of Colour in der Literatur auseinander. In seiner ständigen Infragestellung seiner selbst – in den blass-orangefarbenen Abschnitten zwischen den Kapiteln ist zu sehen, wie Layne Weyhe kritisches Feedback zu ihren Illustrationen gibt und den darin erzählten Ereignissen einen Kontext hinzufügt – geht es in diesem Roman ebenso sehr um seine Schöpferin wie um sein Thema; er hinterfragt kulturelle Aneignung und das Erzählen von Geschichten als Kunstform. Auf diese Weise fordert er die Leser auf, sich selbst zu hinterfragen, ihre eigenen Privilegien zu überdenken und sich zu fragen, welche Vorurteile sie in ihre Lektüre dieser Geschichte und in die Welt einbringen. Vor allem aber ist Rude Girl ein Roman über das Lernen, erzählt in einem einzigartig aufschlussreichen und augenöffnenden Format.

Fans von Graphic Novels werden zweifellos mit dem Werk des Pulitzer-Preisträgers Darrin Bell vertraut sein, dessen Autobiografie The Talk eine erleuchtende und bewegende Schilderung des Lebens eines jungen Schwarzen Mannes in Los Angeles bietet. Das im Jahr 2023 veröffentlichte Buch beleuchtet den Rassismus in Amerika bis zum Mord an George Floyd im Jahr 2020 und darüber hinaus, und nutzt dabei Techniken, die auch Weyhe verwendet, um die Gesellschaft direkt zu hinterfragen. Ähnlich wie Rude Girl ist The Talk visuell beeindruckend: Traumatische Erfahrungen werden durch Kritzeleien, Verwischungen und starken Farbauftrag vermittelt; beide Romane ziehen auch verschiedene künstlerische Medien mit ein, wobei Rude Girl sich auf Crystals Liebe zur Musik stützt, während The Talk ausgiebig mit Filmreferenzen arbeitet.

Weyhe nimmt sich eines Genres an, das allzu oft in eine Nische in der Buchhandlung verbannt wird, und zeigt – ähnlich wie Bell – die emotionale und intellektuelle Kraft der Graphic Novel. Rude Girl ist ein bahnbrechendes Werk aus Biografie, Kunst und Übersetzung, das die schlimmsten Fehler der Gesellschaft aufdeckt und deutlich macht, wie viel wir noch zu tun haben. Die Autorin weist auf eine globale „Polarisierung der Meinungen“ hin, doch indem wir miteinander reden und voneinander lernen, können wir unsere eigene Perspektive und die der anderen ändern. Mit diesem einzigartigen Werk haben Birgit Weyhe und Priscilla Layne die Herausforderungen offengelegt – aber auch bewiesen, was möglich ist.


Weitere Informationen zu dem Buch / den Bücher und wo sie ausleihbar sind finden Sie anstehend in den Links zum Thema.

ÜBER DIE AUTORIN

Eleanor Updegraff © Beatrice Updegraff

Eleanor Updegraff ist ein engagierter Bücherwurm mit einer besonderen Vorliebe für Literatur in Übersetzung. Sie verdient ihren Lebensunterhalt mit Worten in allen Formen: als Ghostwriterin, Übersetzerin aus dem Deutschen, Lektorin und Buchrezensentin sowie als Autorin von Kurzgeschichten und kreativen Sachbüchern. Nach neun Jahren in Österreich lebt sie jetzt in Hampshire, wo man sie normalerweise bei Spaziergängen in den Downs oder beim Stöbern in einer örtlichen Buchhandlung antrifft.
 

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