Gesellschaft und Zeitgeschehen
The European Project - Promised Land No More?
Die aktuellen europapolitischen Entwicklungen erschüttern das Fundament der Europäischen Staatengemeinschaft zutiefst. Im Rahmen von Promised Land setzten sich Künstler, Filmemacher, Autoren, Dozenten sowie Kultur-und Politikwissenschaftler mit dem Aufstieg nationalistischer, populistischer und euroskeptischer Bewegungen auseinander.
Promised Land – Eintägiges Symposium, 3. Dezember 2016, Central Saint Martins, London, UK
Die aktuellen europapolitischen Entwicklungen, insbesondere der Aufstieg nationalistischer, populistischer und euroskeptischer Bewegungen erschüttern das Fundament der Europäischen Staatengemeinschaft zutiefst und stellen ihre Ideale wie nie zuvor in der Geschichte ihrer Entstehung infrage.
Sowohl die politischen Geschehnisse, welche sich jüngst auf internationaler Ebene ereignet haben, als auch die verheerende Flüchtlingskrise entlang der europäischen Grenzen verschärfen die Situation erheblich. Das Europa, welches für viele Menschen eine Art „gelobtes Land“ repräsentiert hat, konfrontiert sie nunmehr mit völlig anderen Realitäten. Großbritannien hat für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt, Staaten wie Polen und Ungarn werden von rechtsextremen Staatsgewalten regiert. Auch bei bevorstehenden Wahlen in Österreich, Italien, Frankreich und Deutschland könnte sich ein ähnlicher Trend abzeichnen. Europäische Stabilität, Expansion sowie das Konzept eines gemeinsamen europäischen Wertesystems scheinen schier Ilusionen der Vergangenheit zu sein.
Die Veranstaltungsreihe Promised Land regt in einer Serie von Events und Filmvorführungen sowie mittels einer künstlerischen Auftragsarbeit zur Diskussion der Herausforderungen, Verantwortlichkeiten und Konsequenzen, mit welchen wir uns folglich konfrontiert sehen, an.
Diese Herausforderungen, denen die Europäische Union aktuell gegenübersteht, sind im Kontext folgender weiterreichenderer internationaler Problematiken zu betrachten: Zahlreiche Regionen der Erde werden von fortwährenden gewaltsamen Konflikten sowie Umweltkatastrophen überschattet. Extreme Armut ist nach wie vor weit verbreitet, die Kluft zwischen Arm und Reich ist größer denn je. Neue Technologien scheinen menschlichem Leiden und Ungleichheit kaum gerecht werden zu können.
Anhand der Arbeiten und Ideen verschiedener Künstler, Filmemacher, Autoren, Dozenten, Kultur- und Politikwissenschaftler hat sich das Promised Land Symposium mit diesen und weiteren Problematiken auseinandergesetzt. Themenschwerpunkte der Veranstaltung waren hierbei: ‘Europe from outside and within’, ‘Displacement’ und ‘Home and Belonging’. Durch das Zusammenbringen all jener Stimmen schuf Promised Land eine Plattform, um gemeinsam zu diskutieren, sich auszutauschen und Fragen zu stellen.
In welcher Form wirken sich diese europapolitischen Entwicklungen auf Kunstwelt und Künstler aus? Welche Einblicke können Kulturschaffende innerhalb Europas sowie jenseits der europäischen Grenzen geben, welche Ideen generieren? Welche Mittel und Wege stehen der Kulturgemeinschaft zur Verfügung, um diese sorgenerregenden politischen Veränderungen zu thematisieren, sie zu hinterfragen? Was bedeutet „Promised Land“ heute? Und wie soll man sich ein künftiges, neues „Promised Land“ vorstellen?
Der Tag begann mit der Vorstellung von Christoph Schlingensiefs Foreigners Out!, einer auf der Fernsehserie Big Brother basierenden Arbeit aus dem Jahr 2002. Foreigners Out! zeigt die Reaktionen auf Schlingensiefs schockierende Installation eines Flüchtlingsgeländes vor dem Wiener Opernhaus , . Die öffentliche und mediale Empörung unterstützte Schlingensiefs Zielsetzung, Gefahren in der Rhetorik der nationalistischen Partei Österreichs aufzuzeigen. Auch 14 Jahre später, mit verschärften Grenzkontrollen und dem Aufschwung von Rechts, hat die Dokumentation nicht an Aktualität verloren.
Die Professorin Ulrike Guérot sieht den Ursprung der europäischen Problematik in nationalen Denkweisen verankert und sprach sich für die Gründung einer umfassenden deterritorialisierten Europäischen Republik aus. Europa, meint sie, könne nur durch den Abbau jenes nationalen Denkens wiederhergestellt werden. Mit Ausnahme von regionalen Nuancen, wie ländlichen und städtischen Einkommensunterschieden, bringe die Europäische Union seine Mitgliedsstaaten aufgrund unterschiedlicher ökonomischer Leistungen gegeneinander auf. Um wirklich erfolgreich zu sein, könne sich Europa nicht länger an seinen Markt oder die politischen Bedürfnisse einzelner Mitglieder binden. Stattdessen, schlägt Guérot vor, sollten die Bürger ihre Souveränität durch Gründung einer echten Republik zurückerhalten: Ein politisches System, das soziale, finanzielle und juristische Repräsentation gleichermaßen zulässt und seinen Ausdruck in einem direkt gewähltem Repräsentantenhaus findet.
Europa von außen und innen
Der Gründer von Invisible Borders, Emeka Okereke, ergriff als Erster das Wort. Okereke dämmte die Kritik an der Europäischen Union als Bastion für Menschrechte ein und stellte die Flüchtlingskrise stattdessen mit der „erzwungenen Kartographie des Kolonialismus“ in Zusammnhang. Bewegungsfreiheit, so Okereke, sei der Schlüssel zu Grundrechten: „Ohne Bewegung kann es keinen Austausch geben“. In der Reflektion über die unterschiedlichen Begegnungen, die er im Rahmen eines Reiseforschungsprojekts zwischen Kamerun und Bosnien-Herzegovina erlebt hatte, überlegte Okereke, wie es möglich sei, „durch sein Dasein ein Objekt nützlicher Bewegung zu werden“.
„Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich Güter, Informationen und Bilder sehr schnell bewegen können, es für die meisten Menschen aber zunehmend schwieriger wird zu reisen und Grenzen zu überschreiten“, bemerkte der Künstler Tobias Zielony. Zielonys Arbeit setzt sich mit dem Aktivismus Geflüchteter in Deutschland auseinander, welche u.a. 2015 auf der Biennale von Venedig zu sehenwar. Er dokumentierte Märsche, Proteste und Stillstand, und zeigte die unterschiedlichen Motivationen auf, welche Flüchtende nach Europa führen – sei es die Flucht vor Diskriminierung Homosexueller in Uganda (darauf steht die Todesstrafe) oder lebensbedrohlichen Gefahren, die politisches Engagement im Sudan mit sich bringen.
Vertreibung
Während Zielonys Fotografien den Anspruch erheben, das journalistische Bild ‚Geflüchteter in der Rolle des passiven Opfers‘ umzudrehen, vertieft der Künstler Nikolaj Bendix Skykum Larsen, diese Opferrolle in seiner neuen Audioinstallation Quicksand. Quicksand wurde vom Goethe-Institut London und Culture+Conflict für Promised Land in Auftrag gegeben.: Larsen entwirft die Geschichte eines westeuropäischen Mannes auf der Flucht. „Ich wollte, eine sehr unangenehme Erfahrung für den Zuhörer schaffen“, sagte Larsen, „in der er quasi mit dem Protagonisten in einem Boot sitzt“. Larsen erhofft sich mit seiner Arbeit eine größere westliche Empathie für die physischen und psychischen Traumata derer wecken zu können, die gefährliche Reisen über das Meer auf sich genommen haben.
„In Europas Lampedusa(s) entsteht der Eindruck einer Invasion der Europäischen Union, die einfach nicht stattfindet“, eröffnete Dr. Giacomo Orsini während seines Vortrags Promised Land for Whom?. Nach Orsini haben 80-90% all derer, die europäische Grenzen illegal überschreiten, einen Rechtsanspruch auf Asyl, während diejenigen, die irregulär in Europa leben, größtenteils mit einem regulären Visum kamen und dieses überschreiten. „Es ist ein interessanter Diskurs“, beschreibt er, „die Obsession mit einer angeblichen Invasion verdreht das tatsächliche Geschehen an der Grenze, während relativ geringes Interesse an empirischen Daten liegt. Die Europäische Union beherbergt derzeit nur 6% der weltweit Flüchtenden – und die Vorstellung von Europa als ein ‚gelobtes Land´, zu dem es jeden hinzieht, verweist auf einen neuen Eurozentrismus.“
In ihrem Vortrag The Art of Migration verortet Nanna Heidenreich aktuelle migrationskritische Denkweisen in dem globalen Diskurs der 1990er Jahre. „In der heutigen Krise geht es im Grunde nicht um Migration sondern um das Europäische Projekt “, bemerkte Heidenreich und betonte, dass sich globale Völkerwanderungen durch die Geschichte ziehen. Migration sollte nicht als marginale, sondern als zentrale Bewegung in der Mitte der Gesellschaft betrachtet werden.
Heidenreich kritisierte die Verbindung zwischen Kunst und Aktivismus: auf der einen Seite sind beide zwar tief miteinander verbunden, auf der anderen Seite sind sie aber nicht bereit auf Grundlage der jeweiligen Konditionen zu verhandeln. Dennoch – die folgenden drei Künstler bewiesen eine Sensibilität, die im politischen Diskurs zu Migration und dem Recht auf Freizügigkeit oftmals vermisst wird. Accent Elimination, ein dreiteiliges Video aus dem Jahr 2005 von Nina Katchadourian, zeigt die Künstlerin und ihre Eltern ein Skript über die Herkunft ihrer Familie lesen, zunächst in ihrem eigenen Akzent und dann, in Zusammenarbeit mit einem „Akzenttrainer“, im jeweils anderen Akzent. Mit einem Augenzwinkern wurden Unterschiede aufgezeigt, wie Sprache über Kulturen hinweg konstruiert wird (die abgehakten armenischen Wörter im Gegensatz zu dem „Kaugummifluss“ des Amerikanischen) und wie einfach das Ändern des Akzents Stereotype untergräbt.
Heimat und Zugehörigkeit
Der Künstler Bisan Abu Eisheh sprach über seine Beteiligung an einem Projekt in Süditalien und berichtete nicht nur von Erfolgen sondern auch über die Notwendigkeit, Misserfolge aufzuzeigen – insbesondere dann, wenn international gearbeitet wird. In seinem Fall die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten die zwischen Teilnehmern aufgrund unterschiedlicher Sprachkenntnisse auftraten, als er als Palästinenser mit Italienischkenntnissen dort Workshops auf Englisch hielt.
Zum Abschluss des Tages trug Künstlerin Phoebe Boswell einen Bericht über ihre Zeit in einer Göteborger Unterkunft vor. „Malen eröffnet die Möglichkeit Empathie zu verkörperlichen“, sagte sie, während sie Zeichnungen aus dem Alltag dieser streng segregierten schwedischen Stadt zeigte. Dazu beschrieb sie das ständige Gefühl von gleichermaßen Affinität und Isolation und nahm Bezug auf James Baldwins Stranger in the Village um unterschiedliche Formen der Entfremdung zu beschreiben. Sie sprach darüber, was es verglichen mit einem Außenstehenden bedeute, sich willkommen zu fühlen und wie diese Unterschiede oftmals verschwimmen.
„Wenn Heimat kein physischer Ort sein kann, dann sind es die Menschen, deine Taten, deine Beschäftigungen. Das kann überall sein“, setzte sie fort, „durch meine Arbeit finde ich Wege ‚nach Hause‘ zu kommen und merke, dass ‚Heimat‘ kein Ort ist, sondern das Gefühl etwas besser zu verstehen.“
#PromisedLand
Das Symposium wurde vom Goethe-Institut London (@gi_london1) und Culture+Conflict (@ConflictCulture ) in Zusammenarbeit mit Central Saint Martins präsentiert.
© Verfasst von der Bloggerin Alex Quicho, 5. Dezember 2016