Mit politischen Enthüllungen wurde „Der Spiegel“ einst zum Leitmedium der deutschen Presselandschaft. Doch wird das Nachrichtenmagazin 70 Jahre nach seiner Gründung dieser Zuschreibung noch gerecht?
Das deutsche Flaggschiff des Nachrichten-Journalismus Der Spiegel ist ein Kind der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In der ersten Redaktion saßen junge Männer, viele von ihnen – wegen des damaligen Mangels an Stoffen und ziviler Kleidung – in gefärbten Wehrmachtsuniformen. Geführt wurden sie von John Chaloner, einem britischen Presseoffizier, und dem aus dem Exil heimgekehrten Journalisten Harry Bohrer. Gemeinsam wollten sie im zerstörten Deutschland eine Zeitschrift nach dem Vorbild des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins Time aufbauen und waren sich mit ihren deutschen Mitarbeitern in der Ablehnung von NS-Diktatur und Obrigkeitsdenken einig. Als Verfechter eines radikalen gesellschaftlichen Neuanfangs scheute Diese Woche, wie die Publikation 1946 zunächst hieß, auch vor Kritik an den alliierten Besatzungsmächten nicht zurück. Diese entledigten sich der Opposition aus dem eigenen Haus, indem sie die Woche in deutsche Hände übergaben. Am 4. Januar 1947 erschien die erste Ausgabe des in Der Spiegel umbenannten Magazins mit Rudolf Augstein als Herausgeber und Chefredakteur.
Das gelebte Ideal einer wehrhaften Demokratie ist das bedeutendste Erbe des Spiegel, der ansonsten keine feste politische Agenda verfolgte. Augstein nannte das Magazin einmal „im Zweifel links“, doch zeigt gerade die Kritik, die das linke politische Lager immer wieder am Spiegel äußerte, wie groß deren Enttäuschung über dessen „neutrale“ Haltung etwa zur 68er-Bewegung in Deutschland war. Allerdings beruht dieser Vorwurf auf einem grundsätzlichen Missverständnis: Augstein verstand seine Publikation als ersten Wächter der Demokratie und nicht als Propagandist gesellschaftlicher Entwicklungen. Ins Herz des redaktionellen Selbstverständnisses trifft hingegen die Kritik an Sprache und Erzählstil des Magazins: Hans Magnus Enzensberger monierte bereits 1957, die auf das politische Personal zugeschnittenen Geschichten seien nur ein Ersatzstoff für wahre, an Problemen und Sachfragen orientierte Aufklärung.