Berlinale-Blogger 2020
Das Streben nach Glück

Henry Fonda, Audrey Hepburn, Mel Ferrer in „Krieg und Frieden”, Regie King Vidor
Henry Fonda, Audrey Hepburn, Mel Ferrer in „Krieg und Frieden”, Regie King Vidor | Foto (Detail): © Park Circus/Paramount

Ein früher König des Melodrams: Die Retrospektive zu King Vidor feiert eine fast vergessene Hollywood-Legende.

Von Philipp Bühler

Audrey Hepburn und Henry Fonda können leider nicht kommen. Aber Krieg und Frieden (1956) noch einmal auf der großen Leinwand? Auch dafür werden Festivals gemacht! Nach vielen Themenschauen widmet sich die diesjährige Retrospektive zu King Vidor (1894-1982) wieder einem einzelnen Filmemacher.

In den 1920er-Jahren als innovativster Regisseur des US-Kinos gefeiert, geriet Vidor neben Größen wie John Ford oder Howard Hawks später fast in Vergessenheit. Dabei war er einer der vielseitigsten Filmemacher Hollywoods, der in mehr als 50 Filmen fast alle Genres bediente, den Übergang vom Ton- zum Stummfilm mühelos meisterte und bei allen Stilwechseln immer die sozialen und ökonomischen Probleme seiner Zeit im Blick behielt.

Zwischen sozialem Realismus und Avantgarde

Das beste Beispiel ist wohl Ein Mensch der Masse (The Crowd, 1928), die Geschichte eines kleinen Angestellten mit großen Ambitionen im New York kurz vor der Wirtschaftskrise – wer noch nie einen Stummfilm gesehen hat, sollte hier anfangen! Fantastische Großstadtmontagen verbinden Realismus und Avantgarde, die Darstellung des Lebens einfacher Leute überwältigt noch heute. Für den italienischen Neorealismus wurde der Film prägend wie kein anderer. Das Streben des Menschen nach Höherem war Vidors eigentliches Hauptthema, oft endete es unglücklich, so auch im weiblichen Pendant Stella Dallas (1937) mit Barbara Stanwyck als mit allen Mitteln gegen die Armut kämpfende Mutter.

Mit diesem Beharren auf dem amerikanischen pursuit of happiness begleitete Vidor die Große Depression und Roosevelts New Deal, leistete sich dabei aber immer wieder auch großartige Schnitzer wie Ein Mann wie Sprengstoff (The Fountainhead, 1949), eine krude Bebilderung der Theorien der neoliberalen Vordenkerin Ayn Rand – den Film sollte man vielleicht als letztes sehen.

Schöpfer großer Momente

Von Vidors epochalem Kriegsfilm Die große Parade (The Big Parade, 1925) behauptete der amerikanische Maler Andrew Wyeth, ihn 180-mal gesehen zu haben. Mit seinem ersten Tonfilm Hallelujah (1929) drehte er zugleich einen der ersten Filme mit ausschließlich afroamerikanischer Besetzung. Doch letztlich ist Vidor weniger ein Schöpfer großer Filme als großer Momente – Bette Davis, die als niederträchtige Femme fatale in Der Stachel des Bösen (Beyond the Forest, 1949) einfach ein Stachelschwein vom Baum schießt; oder der finale Shootout eines Liebespaars im Western Duell in der Sonne (Duel in the Sun, 1946).

An dieser Wahl für die Retrospektive lässt sich sehr gut Carlo Chatrians cinephiler Enthusiasmus erkennen. Auf King Vidor, sagt der neue Programmleiter der Berlinale, lasse er nichts kommen!

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