Berlinale Blogger 2018
Sieben Dinge, die Sie über die Berlinale wissen müssen
Spektakuläres, Vergessenes, Denkwürdiges und Utopisches: Warum die Berlinale ist, was sie ist.
Von Ula Brunner
Der Heizpilzfaktor: Mangel als Trumpf
Nach Cannes und Venedig gehört die Berlinale zweifelsfrei zur Topliga der Internationalen Filmfestivals. Im frühlingshaften Mai erstrahlt Cannes mit Glamour, Stars und großer Filmkunst. Venedig, das älteste Filmfest der Welt, glüht im Spätsommer romantisch-entspannt nach. Und die Berlinale? Rein wettermäßig hat die deutsche Hauptstadt im frostigen Februar wenig zu bieten, meist noch nicht einmal Schnee. Kein Sekt unter Palmen, dafür Bibbern auf dem roten Teppich und deutsches Bier unter Heizpilzen.
Der Publikumsfaktor: Wir lieben, was wir haben
Starangebot und Glamoureffekt fallen vergleichsweise bescheiden aus. Doch mit zuletzt über 330.000 verkauften Eintrittskarten und einer halben Million Kinobesuchen ist die Berlinale das größte Publikumsfestival der Welt. Von ihren Besuchern wird sie geliebt. Warum eigentlich? Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 kam zu folgenden Ergebnis: An der Berlinale schätzen gut 90 Prozent aller Befragten neben guter Stimmung und außergewöhnlichen Filmen, Dinge, „die einem sonst nicht geboten werden“. Dinge, die einem auch die Berlinale kaum bietet, scheinen sie nicht zu vermissen: Nur ein Prozent gab an, zum Festival zu gehen, um Stars und Promis zu sehen. Glück gehabt!
Der Bibberfaktor: Wer frierT auf dem roten Teppich?
Spötter meinen, zur Berlinale kommen vergleichsweise wenige Stars, weil es elendig kalt ist. Ganz so verhält es sich bestimmt nicht. Aber tatsächlich schwänzen einige Hollywoodstars das Rote-Teppich-Defilee vor dem Berlinale-Palast. Wer also schreitet 2018 über die Auslegware in der Farbe „Berlinale-Rot RAL 30011500“? Tilda Swinton, Robert Pattinson, Isabelle Huppert, Franz Rogowski, Marie Bäumer, der Goldene-Ehrenbär-Preisträger Willem Dafoe und viele andere werden Frost oder Sprühregen trotzen und dabei sein. Übrigens: Bis 1978 fand die Berlinale im Juni statt. Man verlegte sie in den Winter, um sich aus dem Windschatten des Filmfestivals in Cannes lösen, das jeweils im Mai einlädt. Seither ist das Bibbern beste Berlinale-Tradition.
Der weibliche Faktor: Gleichberechtigung!
Wenn es nach Anna Brüggemann geht, könnte es mit dem Frieren im dünnen Fummel sowieso bald vorbei sein. Die Schauspielerin ruft auf #nobodysdoll dazu auf, beim Festival-Schaulaufen auf die klassische Kleiderordnung zu verzichten: „Wer einmal den Unterschied zwischen einem Abend im schützenden Sakko und Sneakern oder leichtem Kleidchen und High Heels am eigenen Leib erlebt hat, weiß, wovon ich spreche.“ Die Berlinale beteuert, längst sei die Sexismus- und #MeToo-Debatte auf dem Festival angekommen. Bei der Filmauswahl habe man eine besondere Sensibilität für sexistische Szenen bewiesen, doch es gehe auch „um Diskriminierung insgesamt“. Lassen wir die Zahlen sprechen: Laut diesjähriger Berlinale-Statistik stammen ein knappes Drittel, nämlich 32,9 Prozent aller eingereichten Filme von Regisseurinnen. Frauen haben ein Sechstel, also vier der 24 Wettbewerbsproduktionen gedreht. Fünf Bären haben Regisseurinnen in 67 Berlinale-Jahrgängen in den Händen gehalten, zuletzt 2017 die Ungarin Ildikó Enyedi für „Körper und Seele“.
Der Politikfaktor ...
Manche sagen, der dezidiert politische Anspruch der Berlinale entspringe einer Profilneurose, einer Verzweiflungsoffensive nach dem Motto: kein Strand, kein Wetter, keine Stars – dafür werden wir politisch. Wahr ist: Die Berlinale war von Anfang an ein Politikum. 1951 in der Trümmerstadt Berlin als „Schaufenster der freien Welt“ und „kulturelles Bollwerk gegen den Bolschewismus“ gegründet, jahrzehntelang geprägt vom Kalten Krieg. Erst nach dem Mauerfall endete der kulturelle Konfrontationskurs. Doch auch heute schimmert hinter der immer größer werdenden Vermarktungsmaschinerie des Festivals die Vision auf, etwas bewegen zu wollen.
... und ein bisschen Hunde-philosophie
Deswegen geht es im aktuellen Jahrgang – auch – um Nationalismus und Rechtsruck in der gesellschaftlichen Mitte, um Zivilcourage, Vergangenheitsbewältigung, Gegenwartsgestaltung und Zukunftsutopien. Erstmals eröffnet ein Animationsfilm die Berlinale: Isle of Dogs von Wes Anderson. Vielleicht, wie Festivalleiter Dieter Kosslick in seinem Grußwort schreibt, weil dort ein Hund die Sache auf den Punkt bringt: „Wer sind wir? Und wer wollen wir sein?“
Der Wettbewerbsfaktor: Überraschung!
Jede Sektion der Berlinale hat ihre Schätze, aber ihr Glanzstück ist der Wettbewerb. Von insgesamt 24 Filmen aus 24 Ländern sind 19 Werke im Rennen um den Goldenen Bären. Unter diesen 19 sind wiederum vier deutsche Produktionen. Sollte eine davon einen Goldenen Bären mit nach Hause nehmen, wäre es der 8. Hauptpreis für Deutschland seit Berlinale-Beginn. Spitzenreiter mit insgesamt 13 Goldenen Bären sind bislang die USA. In der Berlinale-Geschichte wurden auch schon mehrere Filme gleichzeitig ausgezeichnet: 1951 wurden fünf Goldene Bären verteilt, 1987 drei, mehrfach zwei und 1970 blieb bärenlos. Damals rief der Vietnamfilm o.k. von Michael Verhoeven so wüste Reaktionen hervor, dass der damalige Festivalleiter Alfred Bauer den Wettbewerb vorzeitig abbrach.
Der Dieter-Faktor: All History?
Bei diesem Festival kam es schon im Vorfeld zum Eklat. Seit einer gefühlten Ewigkeit, genau seit 2001, leitet Dieter Kosslick den Berliner Bärenzirkus: als bestens aufgelegter Gute-Laune-Papa. Im Mai 2019 wird seine Ära definitiv enden. Deswegen forderten 79 deutsche Filmschaffende Ende letzten Jahres, den Führungswechsel auch für einen kuratorischen und organisatorischen Neuanfang zu nutzen. Es folgte eine böse Debatte, in der Kosslick quasi die Fähigkeit als Festivalleiter abgesprochen wurde. Drei Monate später, kurz vor Start der 68. Berlinale erklärte dieser zwar, das sei „alles Geschichte, all history“. Doch Mister Gute Laune zeigte sich ungewohnt zurückhaltend: „Der Humor ist reduziert. Die Spaßbremsen mochten es ja nicht.“ Ganz spurlos wird der Thronstreit wohl nicht an ihm vorübergehen.
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