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Interview: Leilah Weinraub über das Entstehen einer Doku, "Paris is Burning" und utopische Momente

Shakedown
© Shakedown Film

Eines meiner bisherigen Berlinale-Highlights war Leilah Weinraubs Doku Shakedown über ihre Erfahrung in einem Club für schwarze, lesbische Frauen, den sie zehn Jahre lang besucht hat. Ich hatte die Gelegenheit, etwas Zeit mit der Regisseurin zu verbringen, um mit ihr den Film zu diskutieren.   

Von Grace Barber-Plentie

Wann haben Sie zum ersten Mal von Shakedown gehört?

Ich war in einem anderen Gay Club unterwegs, einem riesigen Club mit 2000 Menschen, und jemand hat mir einen Flyer gegeben. Der war ziemlich gut – am Ende habe ich ihn auch im Film verwendet.
 
Was hat Sie immer wieder dorthin zurückgebracht?

Alle waren so schön. Ich habe nur gesagt (schaut nach oben): "Danke!"
 
In der Fragerunde nach der Filmvorführung gestern haben Sie davon gesprochen, dass Sie zahlreiche Stunden an Rohmaterial hatten – wie viele waren es insgesamt?

400.
 
Und Sie haben auch über andere Projektvorschläge gesprochen, mit denen man auf Sie zugekommen ist. Glauben Sie, dass Sie irgendwann noch einmal auf dieses Rohmaterial zurückgreifen werden?

Ich glaube, das war's. Ich meine: Ich mag diese Story. Darum habe ich sie über zehn Jahre hinweg gefilmt. Die einzelnen Geschichten entwickeln sich über die Zeit hinweg auf eine sehr interessante Weise, aber um zu verstehen, was in diesen zehn Jahren passiert ist, muss man irgendwo anfangen. Ich wollte einen Film machen, der die Cluberfahrung authentisch rüberbringt und die Erfahrung dessen, was ich als utopischen Moment bezeichne.
 
Wie würden Sie so einen utopischen Moment beschreiben?

Ich habe an einigen utopischen Momenten teilhaben können. Im Shakedown selbst war mir schon klar: "Etwas passiert hier gerade". Das geschieht, wenn Menschen miteinander verbunden sind und zusammen an etwas arbeiten. Es ist eine Übereinkunft zwischen Menschen, die fast ohne Worte auskommt.
 
Als ich den Film gestern gesehen habe, war ich begeistert davon, wie revolutionär er sich angefühlt hat. Haben Sie das selbst auch gefühlt, als Sie den Film gemacht haben oder haben Sie einfach versucht, zu dokumentieren, was in ihrem Leben passierte?

Zu der Zeit kam gerade Reality TV auf und damit eine Art Demokratisierung von Berühmtheit. Für jede Nischen-Subkultur gab es auch eine Nachfrage, diese zu identifizieren, zu publizieren und eine Show daraus zu machen. Ich wollte einfach sichergehen, dass das nicht passiert. Daher ist dieser Film auch im Zusammenhang mit einem beschützenden Imperativ zu sehen.

Bevor Sie mit dem Filmen begannen, hatten Sie da eine Struktur im Sinn – Anfang, Mitte und Ende?
 
Es war ein Hin und Her. Manchmal lässt man sich von den traditionellen Erzählstrukturen beeinflussen und der Art, wie traditionelle Dokus gefilmt werden. Viele Filme, die sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen, problematisieren etwas und das wollte ich in diesem Film nicht tun. Er sollte nicht das Gefühl vermitteln, dass man intervenieren müsse. Ich wollte es introspektiver halten.
 
Haben Sie sich beim Filmen von Vorbildern beeinflussen lassen?
 

Es sollte vor allem filmisch sein und nicht wie eine TV-Dokumentation über eine Subkultur wirken. Es gab so viele Vorbilder, ich lasse mich allerdings eher von Filmen und Geschichten beeinflussen als von anderen Dokus. Es war eine Kombination von politischen Dokumentationen und Filmen, die großes Kino vermitteln, aber auch experimentell sind.
 
Ich bin sicher, dass ich nicht die erste bin, die sich an Paris is Burning erinnert fühlt.
 
Es gibt Ähnlichkeiten zwischen beiden Filmen, aber es gibt auch einen Unterschied. Ich weiß nicht, ob es an der unterschiedlichen Zeit oder am Unterschied zwischen den beiden Kulturen liegt: Es gibt bei Paris is Burning diesen Moment, wo sie sich über Voguing [Tanzart] unterhalten und dass es hier darum geht, eine reiche weiße Frau zu sein. Dem stimme ich nicht zu, aber ich kann jetzt auch nicht sagen, ob der Film das überhaupt aussagen wollte oder ob es etwas war, worüber man sich zu der Zeit Gedanken gemacht hat. Ich glaube nicht, dass die "Ballroom Culture" [LGBTQ-Subkultur in den USA] eine Weiterentwicklung von etwas ist, sie ist etwas Eigenes. Wenn es um schwarze Kultur oder Fashion-Kultur geht, gibt es so viele Ursprünge, auf die man verweisen könnte.
 
Außerdem ist hier eine weiße Frau die Regisseurin.
 
Das stimmt. Ich denke, sie wollte die Dinge vielleicht eher problematisieren, während ich einfach zeigen wollte, wie sich eine fabelhafte schwarze Kultur ständig erneuert. Punkt.
 

Shakedown  © © Shakedown Film Shakedown © Shakedown Film

Wollten Sie so viele verschiedene Gruppen von Frauen darstellen? Ich habe noch nie so viele verschiedene schwarze Frauen auf der Leinwand gesehen.
 
Aber so sieht die Welt doch nun mal aus und ich habe das Gefühl, dass es oft diesen Versuch gibt, zu verkürzen und damit die Dinge einfacher aussehen zu lassen. Das ist ein Problem. Ich wollte akkurat sein und habe das gezeigt, was ich gesehen habe.
 
Befürchten Sie bei dem Thema des Films, dass man ihn in die Schublade  "schwarzer Film" steckt?
 
Das fände ich sogar ganz toll! Ich fände es schön, wenn ich etwas zu dem Katalog schwarzer Kinogeschichte beitragen könnte.
 
Wie wichtig sind diese Orte, die speziell für lesbische schwarze Frauen da sind?


Menschen sollten ihre eigenen Ideen haben, ganz egal wer man ist, und sich dann aufmachen, sie zu verwirklichen. Jede einzelne Person spielt doch eine spezielle Rolle darin, eine kollektive Fantasie zu verwirklichen.

Die Filmmusik stammt von Tim Dewitt (Gang Gang Dance). Manchmal sah es so aus, als ob sie nicht zur Szene passte. Wollten Sie eine bestimmte Stimmung mit der Musik erzeugen?

Tim ist generell eher launenhaft, deshalb war es undenkbar, dass wir da irgendwie einen fiktiven fröhlichen Moment generieren. Der Sound ist eher introspektiv und man wird gezwungen, über die Dinge nachzudenken. Die Filmmusik ist nicht dazu da, die Handlung zu traumatisieren, sondern dem Zuschauer Raum zum Nachdenken zu geben.
 
Woran wollen Sie als Nächstes arbeiten?


Ich bin an Geld, Sexualität und Macht interessiert und möchte diese Themen so erzählen, dass man das Gefühl hat, man befinde sich inmitten eines Orkans. Die Ideen sind schon da und ich werde nächstes Jahr mit dem Filmen beginnen.

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