Filmvorführung
Kafka + Film: Ottomar Domnick: Jonas + Intro

Schwarzweißbild eines Mannes, der in ein Schaufenster mit einem Hut guckt
©Genske, Humboldt, Corso Film

Facets of Kafka

Goethe-Institut London

Ottomar Domnicks experimentelles Bravourstück lässt die zunehmende Entfremdung und Paranoia eines Mannes in der urbanen Realität des westdeutschen Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit zu einer zutiefst kafkaesken Erfahrung werden. Wir zeigen eine 35mm-Filmkopie mit projizierten Untertiteln und einer Einführung von Martin Brady.

Jonas von Ottomar Domnick ist keine Kafka-Verfilmung. Er ist Teil dieser kleinen Reihe, aufgrund seiner stark kafkaesken Züge. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der sich verfolgt und ausgeliefert, von seinen Mitmenschen isoliert und seiner großstädtischen Umgebung bedroht fühlt. Der im Titel genannte Jonas ist dieser Mann, ein Druckereiarbeiter, der sich spontan einen neuen Hut kauft, weil dies die Norm ist - „Man geht nicht mehr ohne Hut!“. Und nachdem ihm alsbald der neue Hut gestohlen wird, stiehlt er einen anderen. Dieser entwendete Hut löst viel aus, ruft Kriegserinnerungen und Schuldgefühle hervor, wird zur Bedrohung, die sich nicht abschütteln lässt und daher besser dem unbekannten Besitzer zurückgegeben werden muss. So irrt Jonas teils gejagt, teils suchend durch die feindselige Stadt, ist zunehmend verzweifelt, zunehmend allein, denn auch einer sich anbahnende Beziehung zu einer Frau entzieht er sich.

"Der mutigste, einsamste, und unwiederholbarste deutsche Film unserer Tage. Kein anderer deutscher Film seit Jahr und Tag verfügt über ähnliche Bildkunst.", so schrieb Kritiker Gunter Groll in der Süddeutschen Zeitung 1957. Grolls enthusiastisches Urteil spielt auf die stark experimentelle Gestaltung des Films an, die die im Grunde spärliche Handlung zu einer tief kafkaesken Erfahrung werden lässt. In kontrastreichem Schwarzweiß und aus ungewöhnlichen Perspektiven gefilmt, wirkt die urbane Architektur abstrakt, anorganisch, inhuman. Der Drehort Stuttgart wird zum Sinnbild der von Konsum und Kontrolle geprägten modernen Großstadt. Wesentlich verstärkt wird dieser Eindruck durch die komplexe Tonspur. Hans Magnus Enzensberger, damals Hörfunkredakteur beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart, lieferte den vielstimmigen Kommentar, aus u.a. Werbeslogans, Schlagzeilen, Statistiken, oder amtlichen Formulierungen. Warme Jazzklänge von Duke Ellington kontrastieren mit der mit elektronischen Sounds durchsetzen Musik des Schönberg-Schülers Winfried Zillig.

1957 war Jonas eine absolute Ausnahmeerscheinung im westdeutschen Film der Nachkriegszeit, und es mag bezeichnend sein, dass sein Regisseur Ottomar Domnick nicht aus der Filmbranche kam, sondern ein erfolgreicher Facharzt für Neurologie und Psychiatrie war. Zugleich war er ein Kenner und Sammler moderner Kunst, organisierte Konzerte Neuer Musik, war in der Stuttgarter Kunstszene gut vernetzt und geschätzt. In Jonas, letztlich das Portrait einer gestörten Psyche, konnte Domnick sowohl seine medizinischen als auch seine ästhetischen Interessen und Kenntnisse einfließen lassen. Es war sein erster Langfilm, und trotz seiner formalen Herausforderungen war er überraschend erfolgreich. Er lief 1957 im Wettbewerb der Internationalen Film Festspiele in Berlin, erhielt u.a. Deutsche Filmpreise in Silber für die beste Musik und die Beste Kamera (1957), den Preis der Deutschen Filmkritik für die Beste Bildgestaltung (1957) und erreichte gute Zuschauerzahlen. Ein weiterer Langfilm blieb jedoch erfolglos und nach drei experimentellen Kurzfilmen und einem filmischen Selbstportrait erreichte Domnicks filmische Karriere 1979 ihr Ende, und selbst Jonas geriet in Vergessenheit und bleibt bis heute ein wenig bekanntes und gezeigtes Hauptwerk des deutschen Films.
 



Jonas. Westdeutschland 1953. 35mm, schwarz-weiß, 81 min. Deutsch mit englischen Untertiteln. Regie, Drehbuch, Produktion, Schnitt: Ottomar Domnick. Mit Robert Graf, Dieter Eppler, Elisabeth Bohaty.


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Martin Brady ist emeritierter Dozent für Germanistik und Filmwissenschaft am King's College London. Er hat über das Brecht'sche Kino, dokumentarischen und experimentellen Film, über Musik, Literatur, bildende Kunst, jüdische Exilarchitekten, Behinderung, Nahrungssammeln und das Alltägliche veröffentlicht. Darüber hinaus arbeitet er als Übersetzer und Dolmetscher.
 

Details

Goethe-Institut London

50 Princes Gate
Exhibition Road
London
SW72PH
Vereinigtes Königreich

Preis: £5, Ermäßigt: £3 / Frei für SprachkursteilnehmerInnen und Bibliotheksmitglieder des Goethe-Instituts. Reservierung erforderlich.

+44 20 75964000 info-london@goethe.de
Diese Veranstaltung ist Teil der Veranstaltungsreihe Facets of Kafka.