• Die Künstlerin stempelt ihr Gesicht © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe Foto: Anatole Serexhe
    Different Conditioning (Selma Alaçam)

Different Conditioning

Selma Alaçam
* 1980 in Mannheim (DE), lebt und arbeitet in Karlsruhe (DE)
 
Different Conditioning
2011, Video, 2 Min 37 Sek

Eine junge Frau, leicht erkennbar als die Künstlerin selbst, stempelt den Bundesadler auf ihr Gesicht, bis er ganz mit schwarzer Tinte bedeckt ist, bis ihr Gesicht unkenntlich wird. Als Symbol und Abzeichen weist dieser Stempel eine spezifische nationale Identität zu. In der frühen Neuzeit wurden unwillkommene Angehörige der Roma gebrandmarkt, damit sie bei einem erneuten Grenzübertritt identifiziert werden konnten. Different Conditioning zeigt, dass Identität keine anthropologische Konstante ist, sondern durch verschiedene kulturelle Techniken und diskursive Praktiken konstruiert wird: Briefmarken, Pässe, Nationalitätsnachweise, Interviews, Versprechen und Geständnisse.
 
Unsere Gedanken bewegen sich vorwärts, wenn wir das Video rückwärts zu einer bestimmten, aber fehlenden Ursache lesen, die nie auf diese Weise geschehen ist, die wir aber annehmen müssen. Denn was bleibt von einem Gesicht, von einem Subjekt, von dem alle identifizierenden Merkmale entfernt wurden? Der italienische Philosoph Giorgio Agamben würde dieses Überbleibsel, dieses biopolitische Substrat, "nacktes Leben" nennen: Leben, das zwar keinerlei Rechte hat, aber immer noch völlig der Macht des Staates ausgeliefert ist. Die Gefangenen in Guantánamo oder die Migranten an der italienischen Küste, die später als "Illegale" in den Städten Europas ein Dasein fristen, haben selbst keine Rechte, aber das Gesetz hat maximale Rechte, sie zu ergreifen.
 
(Selma Alaçam und Lívia Nolasco-Rózsás)