Texte für die Zukunft
Staatsbürgerschaft und nationale Identität (Jürgen Habermas)
Neben einem der anspruchvollsten Aufsätze des wohl bedeutendsten deutschen Gegenwartsphilosophen Jürgen Habermas enthält dieses Buch die berühmte Rede des großen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
Rede zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges von Richard von Weizsäcker
Als der Bundestag am 8. Mai 1985 zusammen kommt, um den 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges zu begehen, spricht sich Richard von Weizsäcker in seiner Ansprache vor dem Abgeordnetenhaus unmißverständlich gegen eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschen und Juden aus. Er betont die Unerläßlichkeit der Erinnerung an die Schoa. Die von Deutschen begangenen Gräueltaten sind einzigartig. Die Vergangenheit seines, des deutschen Volkes, wird in den Beziehungen zum jüdischen Volk ewig präsent bleiben. Seitdem fühlt sich jede politische Führung der Bundesrepublik diesem in Weizsäckers Rede so nachhaltig zum Ausdruck gebrachten politisch-moralischen Auftrag verpflichtet. Der Mord am jüdischen Volk ist in der Geschichte der Menschheit beispiellos. Die Deutschen, jeder Deutsche, hat deshalb die Pflicht, sich zu erinnern und sich um Versöhnung zu bemühen. Auf jungen Deutschen laste zwar keine Schuld, allerdings haben sie eine Verantwortung, die im Gegensatz zur Schuld über Generationen hinweg besteht und keiner „Normalisierung“ unterliegt. Es ist heute nur schwer nachzuvollziehen, doch haben Weizsäckers Äußerungen damals die Bundesrepulik bis auf ihre Grundfeste erschüttert.
Jürgen Habermas: Staatsbürgerschaft und nationale Identität
Der in diesem Buch abgedruckte Essay von Jürgen Habermas (aus dem Jahr 1992) ist der Feder eines in den Achtziger Jahren politisch gereiften Intellektuellen entsprungen. In den Achtziger Jahren hat Habermas zu den starken Stimmen im Historikerstreit gehört. In diesem Aufsatz hat sich Habermas, der Philosoph, gegen die abstrakte theoretische Analyse zugunsten von Pragmatismus und Gegenwartsbezug entschieden. Dabei hat er es nicht bei der Erforschung menschlicher Rationalität und der Entwicklung des Öffentlichen Raumes, ein von ihm geprägter Begriff, belassen, sondern ist den enormen Veränderungen insbesondere nach dem Fall der Berliner Mauer in Deutschland, in Europa, ja auf der ganzen Welt nachgegangen. Seine Beobachtungen haben Habermas zum staatlichen und internationalen Recht geführt. Auf dem Höhepunkt der Euphorie über die Einigung Deutschlands und im Schatten einer bitteren deutschen Erfahrung formuliert Habermas die Schlüsselfrage: Wie kann ein Bürger sich mit seinem Staat identifizieren, ohne finsterem übersteigerten Nationalismus anheim zu fallen? Habermas Antwort auf diese so essentielle deutsche und im Zeitalter der Globalisierung auch für jedes andere Land so relevante Frage, liegt in einer wichtigen, neuen Verknüpfung von partikularer Kultur und universellen Werten, die es auszubalancieren gilt. Das Partikulare dürfe das Universelle genauso wenig zerschlagen, wie das Universelle das Einzigartige des Partikularen auslöschen dürfe?